Das Drama des Mittelalters

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 Präsentation transkript:

Das Drama des Mittelalters Geistliches Spiel und Ständesatire

Höllenfahrt im geistlichen Spiel Höllenfahrt: Vorstellung, das Christus nach seinem Tod in die Hölle hinabgestiegen sei und die Vorväter und Patriarchen des Alten Testaments, beginnend mit Adam und Eva, befreit und in den Himmel geführt habe. Biblisch/neutestamentlich nicht belegt. Nachweisbar in der Lehre der Kirche seit dem 2. Jh. n. Chr.; eingegangen als Glaubensformel in das sog. Apostolische Glaubensbekenntnis: „Gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes (descendit ad inferos), am dritten Tage auferstanden von den Toten …“ Das Motiv der Unterweltfahrt ist in der griech. und röm. Literatur weit verbreitet (Homer, Vergil etc.). Die frühchristliche Literatur bietet im apokryphen ‚Evangelium Nicodemi‘ (4.-5. Jh.) einen ps.-historischen Bericht zweier Augenzeugen, die selbst in der Hölle waren, dann aber wieder zum Leben erweckt wurden. In der Hölle hätten die Teufel von einem Juden namens Jesus gesprochen, der kommen, die Höllentore zerbrechen und die dort Einsitzenden befreien würde. Das gelte es zu verhindern.

Evangelium Nicodemi: zunächst griechisch abgefasst, bald lat Evangelium Nicodemi: zunächst griechisch abgefasst, bald lat. Übersetzungen, die den Text im westlichen Europa verbreitet haben. Vom 13. Jh. an Übersetzungen in die europäischen Volkssprachen (zu den dt. Übersetzungen: VL). Starkes Interesse: wie sieht es in der Hölle aus? Was erwartet einmal den Menschen nach dem Tod? Wie kann er sich vor dem Schlimmsten – dem Verlust seiner Seele – bewahren? Antworten in zahlreichen medialen Formen: lit. Jenseitsvisionen (LexMA; Visio Tnugdali etc.), Predigt und geistliche Unterweisung, geistliches Spiel. Bildkunst (Buch-und Tafelmalerei, Skulptur). Eröffnung der Höllenfahrt durch eine dialogische Antiphon, die aus Ps. 23 genommen ist: Attollite portas principes vestras … et introibit rex gloriae. (‚Macht eure Tore auf ihr Fürsten … dass der Fürst der Ehre einziehe‘). In Feiern und Spielen dem auferstandenen Christus zugewiesen. Antwort: Quis est iste rex gloriae (‚Wer ist diese König der Ehre?‘). Adam: Advenisti desiderabilis, quem exspectabamus in tenebris ‚Nun bist du Ersehnter gekommen, den wir im Dunkel erwartet haben.‘

Höllenfahrten im geistlichen Spiel: Zeugnisse der Sachkultur Zum Beispiel Ausgaben für ein Osterspiel in Bozen/Südtirol 1494: Dem hainrich Weinprenner von 5 Teufeln das gewant schwarz gefärbt 1 Gulden 8 gr.; dem peter schweitzer umb 7 paar Handschuch für die Teufel und umb den Judasseckel 3 Gulden 4 Gr., dem Maler Jörg umb arbeit für fanen, judenhuet, 6 teufelstäbe, vier Gabeln, zwei Helmparten, ain Peterschlüssel 7 Gulden 2 gr. (Neumann, Geistliches Schauspiel im Zeugnis der Zeit, LV 31, S. 141f.)

Zum ‚Innsbrucker Osterspiel‘ Text: LV 5; Lit.: VL; Bergmann, LV 28) Handschrift: Innsbruck, UB, Cod. 960, Ende 14. Jh.; aus Thüringen stammend. Sammelhandschrift zur Bewahrung der Texte; direkter Aufführungszusammenhang ist nicht erkennbar. Enthält: a) Innsbrucker Spiel von der Himmelfahrt Mariens; b) Innsbrucker Osterspiel; c) Innsbrucker Fronleichnamsspiel. Text (1188 vv.). Prologsprecher (Expositor); Spiel: Bestellung der Grabwachen – Auferstehung – Höllenfahrt mit Seelenfangszene – Salbenkauf mit Salbenkrämerszene – die Marien am Grab – Hortulanus – Verkündung der Auferstehung durch die Marien – Jesus und der ungläubige Thomas – Jüngerlauf – Epilog. Durchgängig Szenengerüst mit lat. Gesängen und umfangreichen volkssprachigen Passagen, z.T. nur deutsch (Streit der Grabwächter, Hölle, Salbenkrämer etc.)

Höllenfahrt im Geistlichen Spiel 1. im ‚Innsbrucker Osterspiel‘ Umfang: v. 251-506. - drei Teile: a) v. 251-339: Lat. Szenengerüst mit dt. Bestandteilen und Erweiterungen. Christus zerbricht die Höllenpforten; Dialog mit Adam und Eva -> Venite benedicti (‚Kommt ihr Gesegneten des Herrn‘) b) v. 340-455: Beratung der Teufel, wie sie die Hölle wieder füllen können; Aufzählung aller Stände (große Rede Luzifers v. 388ff.). c) v. 446: Szenentrenner mit Gesang der Engel: Silete, silete, silentium habete. d) v. 457-506: Seelenfang: Bäcker, Schuster, Kaplan, Bierschenk, Metzger, Schneider. – Schluss: Tunc Sathan ducat animas ad infernum (‚dann soll Sathan die Seelen in die Hölle führen.‘). Seelenfangszenen mit deutlich erkennbarer Sozialkritik im Rahmen der spätmittelalterlichen Stadtgesellschaft.

Das ‚Redentiner Osterspiel‘ Text: LV 6. - Lit Das ‚Redentiner Osterspiel‘ Text: LV 6. - Lit.: VL; Bergmann, LV 28, Nr. 69; dazu LV 103;104. Karlsruhe, Bad. Landesbibl., Cod. K 369, 15. Jh.; geschrieben 1464 in Redentin bei Wismar, niederdeutsch. Kein Zusammenhang mit einer Aufführung erkennbar. Bestimmung des Spiels ursprünglich wohl für Lübeck (s. LV 103;104: mit Plädoyer für Zusammenhang mit dem Lübecker Totentanz). Überschrift: Comoedia de Christi passione et resurrectione (mittelalterl. Begriff der comoedia). Inhalt (2.025 vv.): Prolog. Spiel: Bestellung der Grabwachen – Auferstehung – Höllenfahrt – Enoch, Elia und der Schächer zur Rechten im Himmel – Grabwächter nach der Auferstehung – Seelenfang – Epilog. Es fehlen u.a. die Marien am Grab, Verkündung der Auferstehung, Jüngerlauf, Hortulanus-Szene. Deshalb ist zu fragen, ob nicht der überlieferte Text nur den Rest eines ursprünglich umfassenderen Spiels darstellt.

Höllenfahrt im Geistlichen Spiel 2. im ‚Redentiner Osterspiel‘ Zwei umfangreiche Partien, die zusammen etwa drei Viertel des Gesamtumfangs des R.O. von 2025 vv. einnehmen: a) Höllenfahrt v. 261-754; b) Teufel und Seelenfang v. 1044-1985. v. 261-372: Die Seelen in der Hölle: Abel, Adam, Jesaja, Simeon, Johannes der Täufer, Adams Sohn Seth. v. 373-486: Beratung zwischen Sathan und Lucifer über die Erlösung der Seelen aus der Hölle. V. 487- Jesus nähert sich der Hölle: Prophezeiung des David; Seelen (Advenisti desiderabilis), Eva. Tollite portas vestras …, Zerbrechen der Höllentore (nach v. 580), Befreiung der „Insassen“ (Venite benedicti): Adam, Eva, Johannes d.T.: sie werden vom Erzengel Michael in den „Himmel“ geleitet. Dort kommen ihnen entgegen die, die schon im Himmel sind: Enoch, Elias und der zur Rechten Jesu gekreuzigte Schächer. Folgt: Grabwächterspiel (v. 755-1043).

Bericht Lucifers über die Befreiung der Seelen aus der Hölle (v Teufelsberatung (v. 1088-1325): Sathanas und Lucifer und dessen Knechte; Aufforderung, Seelen in die nun leere Hölle zu bringen. Seelenfang (v. 1326-1986). Gebracht werden: Bäcker (v. 1350ff.), Schuster (v. 1396ff.), Schneider (v. 1434ff.), Schankwirt (v. 1470ff.), Weber (v. 1514ff.), Metzger, Fischverkäufer, Räuber, Priester. Struktur: jeweils Anklage-Rede eines Teufels; Bekenntnis der Tat durch die Seele, Kommentierung. Sprachlicher Gestus: vielfach von Obszönitäten durchsetzt. Ohne näheren Übergang schließt sich an die Seelenfangszene die Rede des conclusor an (v. 1987-2025), der das Spiel beschließt: alle singen: ‚Cristus is up ghestanden‘. (das ist auch der Schluss der im Kirchenraum gefeierten Osterfeier).

Ständekritik im Spätmittelalter Die differenziertere Gesellschaft des Spätmittelalters bietet gegenüber der Adelsgesellschaft der Zeit um 1200 ein erhöhtes Konfliktpotential, bedingt auch durch das enge Zusammenleben der einzelnen Gruppen im Sozialraum der Stadt. In diesem Zusammenhang sind auch die unterschiedlichen literarischen Gattungen mit Strategien der Konfliktbewältigung beteiligt. Die lit. Darstellungen der einzelnen Stände bieten in Beschreibungen der Aufgaben und Pflichten der Gesellschaft gegenüber Orientierung, bringen aber auch markante und jeweils spezifische Formen des Fehlverhaltens zur Anschauung. Gattungen: Ständesatire (‚Buch der Rügen‘; des ‚Teufels Netz‘); Ständekritik in der Sangspruchdichtung; Predigt (insbesondere Ständepredigt: ->Berthold von Regensburg); Geistliches Spiel; Totentanz.

Geistliche Feiern und Spiele: Zusammenfassung Feier und Spiele: Themen/Anlässe und Gegenstände - Hochfeste der Kirche: Passion/Ostern; Himmelfahrt; Pfingsten; Fronleichnam; Weihnachten. Spiele zu den Themen: - Weltgericht/Jüngstes Gericht Heiligenfeste/-legenden: Barbara, Nikolaus, Alexius etc. s. Bergmann, Katalog (LV 28), Register S. 532. Wirkungs- und Aufführungsraum: Feier: im Raum der Kirche, eingliedert in die gottesdienstliche Liturgie des Kirchenjahres. Spiel: thematisch an die geistliche Thematik angehängt, Aufführung aber in der Regel außerhalb des Raums der Kirche.

Aufzeichnung und Überlieferung: Feier: in den Büchern des gottesdienstlichen Gebrauchs: Missalien, Breviarien etc. Spiel: in unterschiedl. Kontexten, aber außerhalb liturg. Handschriften. Performanz/Sprache:Geistliche Spiele: Feier: nur gesungene Formen des gregorianischen Chorals (Antiphonen, Responsorien, Tropen, Sequenzen etc.; nur lateinisch (Ausnahme z.B. ‚Crist ist erstanden‘). Wendung an den Laien durch gestisches Handeln. Spiel: gesungene Teile vielfach im Szenengerüst, z.T. gregorianische Melodien; ergänzt durch dt. Reimdichtungen, z.T. gesungen, z. größeren Teil aber gesprochen. Wendung an den Laien durch gestisches Handeln und Verwendung der Volkssprache.

Geistliche Feiern und Spiele Zeitliche Verteilung Osterfeier Typ I ab 10. Jh.; Typ II/III ab 11. Jh. durchgängig bis ins 16./17. Jh. Sonstige Feiern zu den Hochfesten: ab 11./12. Jh. durchgängig belegt. Geistliche Spiele 13. Jh: 4 Texte 14. Jh.: 19 Texte 15. Jh., 1. H.: 22 2. H. 49 Texte.- gesamtes 15. Jh.: 71 Texte 16. Jh.: ca 100 Texte