Einführung in pädagogische Handlungsfelder: Sozialpädagogik

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Gesetzliche Bestimmungen zu
Advertisements

Jugendhilfeplanung Planungsaufgabe eines Jugendamtes
Die Entwicklung der Frühförderung in Thüringen -
Jahrestagung 2013 der EAH Workshop „Die rechtliche Situation von Pflegekindern“ am in Dortmund Referentin: Imke Büttner, Münster Aus sehr unterschiedlichen.
Susann Kasperski Juliane Schmidt
Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche
30. Sept. 2008Karl Gertler in der Fachtagung LAGF 1 Familienbildung in der örtlichen Jugendhilfe Potential und notwendige Weichenstellungen: Wie intensiv.
Präventionswegweiser e.V.
Es ist normal, anders zu sein
Intensiv Betreutes Wohnen
Perspektive Gemeinwesen? Prof. Dr. Albrecht Rohrmann
„Der Blick des Jugendamtes auf Kindeswohlgefährdung bei häuslicher Gewalt und die Schnittstelle zwischen richterlichem Beschluss und jugendrechtlicher.
Kinderschutzgesetz – Inobhutnahmen – und was dann?
Scheidung und Schule Auswirkungen von Scheidung und Trennung auf Kinder bzw. Jugendliche – Relevanz für die Arbeit an der Schule © Hans-Gerd Gerhards.
Vortrag und Praxisbeispiel zum Fachtag: Gesellschaft macht Prävention!
Materiell-rechtlich betrachtet
Die ambulanten Hilfen zur Erziehung (HzE)
Home BAS – JugendhilfeHome Home BAS – JugendhilfeHome Betreutes Wohnen für Kinder, Jugendliche und junge Eltern Betreutes Wohnen für Kinder, Jugendliche.
Home BAS – JugendhilfeHome Home BAS – JugendhilfeHome Ambulante Jugendhilfe  Nach dem Psychiatrieaufenthalt eines Kindes bzw. Jugendlichen organisiert.
Vollzeitpflege.
Referenten: Nicole Jahn Jan Krannich Marén Weisner Katja Wetzel
§ 72a SGB VIII erweiterte Führungszeugnisse
Eine Fotoreportage über junge Flüchtlinge in Deutschland
Coaching Suchttherapie Erziehungsberatung Kinder- und Jugendpsychotherapie Familienmedizin Kinder- und Jugendhilfe Supervision Paar- und Familientherapie.
Zusammenhänge zwischen eingreifender, leistender und “ermöglichender” Verwaltung: Am Beispiel des Jugendamtes Lt Koch; OFR Gerdeman.
Das L a n d e s j u g e n d s t r a f- v o l l z u g s g e s e t z (LJStVollzG) Vom 3. Dezember 2007.
Jugendhilfe wirkt nur als Ganzes gut
Das persönliche Budget ASG Treffen vom Vortrag Irene Goldschmidt Lebenshilfe Delmenhorst und Landkreis Oldenburg e.V.
W.J. Kainz 1 Mittagessen in Werkstätten für behinderte Menschen – eine Leistung der Eingliederungshilfe? Willi Johannes Kainz Richter am Bayerischen Landessozialgericht.
NETZWERK ERZIEHUNGSBERATUNG Netzwerk Erziehungsberatung im Vogelsbergkreis.
Prof. Dr. iur. Johannes Münder em. Universitätsprofessor TU Berlin Lehrstuhl für Sozialrecht und Zivilrecht Subsidiarität – Relikt aus der Vergangenheit.
Amt / Dienststelle1 Informationsvorlage Jugendhilfeausschuss Kinder- und Jugendhilfe auf dem „inklusiven Weg“ Sachbericht Angebote der Kinder-
Förderlogik Sozialgesetzbücher 1-12 Teilhabeleistungen Vom Allgemeinen zum Besonderen.
J UGENDHILFE ALS SICHERER O RT !? - P ROFESSIONELLE B EGLEITUNG VON JUNGEN M ENSCH AUF DEM SCHWIERIGEN W EG INS L EBEN Hiltrud Göbel Diplom-Sozialarbeiterin.
Kinder- und Jugendschutz Umsetzung des § 72a SGB VIII Erweitertes Führungszeugnis.
 Sind pädagogische Fachkräfte  Durch, Rahmenvereinbarungen von 1967 wurden die Ausbildungen zusammengefasst  Damals getrennt Kindergärtner, Hortner.
Was führt Jugendämter dazu, Jugendliche im Ausland unterzubringen? Friedhelm Haussels 02173/
Sonderpädagogische Bildungsangebote/ Inklusion
Untersuchung zur Haltung der Mitarbeiter
Konzeption der aufsuchenden Jugendarbeit
Verfahrensabläufe im Kinderschutz bei häuslicher Gewalt
Methodenlehre der Rechtswissenschaft
Maßnahmen zum Gewaltschutz im deutschen Recht
Arbeitsmarktinstrumentenreform
Berufsgruppen in der Frühförderung
Grundgedanken der Richtlinie:
Ausbildungshilfe für den Ausbildungsabschnitt Rechtsgrundlagen
Kinder, die Systeme sprengen?
Wir begleiten… Unser Angebot… Wir arbeiten…
Rechtsgrundlagen für die Hilfen für junge Volljährige
Dienstbesprechung für die Berufsbereiche Ernährung und Hauswirtschaft
Integrations- und Bildungszentrum
Dr. Hans-Jürgen Schimke
Schulische Förderung behinderter Kinder
WPM 04 Termin: Mittwoch, den 12. April von 10 bis 12 Uhr
Inklusion als Chance für Alle
Pastorale Rahmenkonzeption Kindergarten - Gemeinde erLeben
Pädagogische Ansätze der Elementarpädagogik
Für jetzt. für später. für mich. Lustvoll älter werden
Entwicklungsbericht Hilfe zur Erziehung
Soziale Ressourcen im Stadtteil nutzen
Begleiteter Umgang im Wandel Begleiteter Umgang aus der Sicht der Familiengerichte: Die Absicht des Gesetzgebers und aktuelle Fallkonstellationen Prof.
Pflegestärkungsgesetz
Ambulante Maßnahmen nach dem Jugendgerichtsgesetz (JGG) bei der Evangelischen Jugend Schwerin
Jugendhilfe im Strafverfahren
Integrationsmanagement im Landkreis Ludwigsburg
Informationen – Flucht
Wann wird die JGH tätig? Aufgaben der Jugendgerichtshilfe (JGH)
Beteiligung der Eltern an der Beteiligung von Kindern
Prof. Dr. Norbert Frieters-Reermann KatHO NRW - Aachen
 Präsentation transkript:

Einführung in pädagogische Handlungsfelder: Sozialpädagogik Dr. Susanne Volkmar Einführung in pädagogische Handlungsfelder: Sozialpädagogik Vorlesung 10 „Handlungsfeld – Hilfen zur Erziehung/ Heimerziehung“

https://www.youtube.com/watch?v=OBSf3SHBbag

Rahmung Hilfen zur Erziehung... Gleichrangigkeit aller Hilfen Ist ein fachlich qualifiziertes Leistungsangebot für Familie und Kinder/Jugendliche in schwierigen Lebenssituationen, dessen Inanspruchnahme und konkrete Ausgestaltung im Einzelfall in Zusammenarbeit der Familie und Kinder/Jugendlichen mit den Fachkräften des Jugendamtes und den beteiligten Einrichtungen und Diensten erfolgt Gleichrangigkeit aller Hilfen Jede Hilfeform hat ihr fachliches Profil und ist in ihren Wirkungsmöglichkeiten auf bestimmte individuelle/familiäre Problemkonstellationen ausgerichtet Prinzip des Lebensweltbezugs – regionale, soziale Bezüge des Kindes/Jugendlichen und der Familie sind mit einzubeziehen Inhaber des Anspruchs auf Leistungen der Hilfe zur Erziehung nach §§ 27 ff. SGB VIII sind die Eltern bzw. Sorgeberechtigten. Sie haben einen Rechtsanspruch auf Leistungen der Hilfe zur Erziehung, wenn eine dem Wohl ihres Kindes oder Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist, also ein sog. erzieherische Mangellagebesteht. Diese liegt vor, wenn konkrete Faktoren vorhanden sind, die der Erziehung eines Kindes oder Jugendlichen im Sinne des § 1 Abs. 1 SGB VIII entgegen stehen. [ ... ] Liegt eine erzieherische Mangellage in diesem Sinne vor, besteht ein Rechtsanspruch auf die im konkreten Fall geeignete und notwendige Hilfe Eltern oder andere Personen mit einem Sorgerecht für Kinder und Jugendliche (Großeltern, Pflegeeltern, Vormund) haben laut Kinder- und Jugendhilfegesetz ein gesetzlich verankertes Recht auf eine oder auch mehrere Hilfen zur Erziehung. Bei Erziehungsproblemen oder wenn das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen gefährdet ist, können Eltern sich an das Jugendamt wenden. Dieses ist verpflichtet, zu helfen. Junge Volljährige können auch selber zum Jugendamt gehen. Hilfen zur Erziehung sind freiwillig. Niemand ist verpflichtet, Hilfen zur Erziehung in Anspruch zu nehmen.

Formen der Hilfen nach SGB VIII

Arbeitsformen nach Eingriffsintensität Formen der Hilfen in Belastungs- und Krisensituationen (nach Gintzel/Jordan u.a. 1997) Arbeitsformen nach Eingriffsintensität Angebote Hauptzielgruppen Familienunterstützende Hilfen Erziehungsberatung Soz.päd. Familienhilfe Soziale Gruppenarbeit Erziehungsbeistände Eltern mit Kindern aller Altersgruppen Familien mit jüngeren Kindern Älter Kinder und Jugendliche Familienergänzende Hilfen Gemeinsame Wohnformen f. Väter/Mütter/Kinder Tagesgruppen Soz.päd. Tagespflege Allein erziehende Eltern mit Kindern unter 6 Jahren Kinder bis 14 Jahre Kinder im Vor- und Grundschulalter Familienersetzende Hilfen Vollzeitpflege Heimerziehung Intensive soz.päd. Einzelbetreuung Insbesondere jüngere Kinder Kinder/Jugendliche/junge Volljährige Jugendliche und Heranwachsende

Gesetzliche Regelungen § 27 SGB VIII Hilfe zur Erziehung (1) Ein Personensorgeberechtigter hat bei der Erziehung eines Kindes oder eines Jugendlichen Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. (2) Hilfe zur Erziehung wird insbesondere nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 gewährt. Art und Umfang der Hilfe richten sich nach dem erzieherischen Bedarf im Einzelfall; dabei soll das engere soziale Umfeld des Kindes oder des Jugendlichen einbezogen werden. Die Hilfe ist in der Regel im Inland zu erbringen; sie darf nur dann im Ausland erbracht werden, wenn dies nach Maßgabe der Hilfeplanung zur Erreichung des Hilfezieles im Einzelfall erforderlich ist. (2a) Ist eine Erziehung des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses erforderlich, so entfällt der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung nicht dadurch, dass eine andere unterhaltspflichtige Person bereit ist, diese Aufgabe zu übernehmen; die Gewährung von Hilfe zur Erziehung setzt in diesem Fall voraus, dass diese Person bereit und geeignet ist, den Hilfebedarf in Zusammenarbeit mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach Maßgabe der §§ 36 und 37 zu decken. (3) Hilfe zur Erziehung umfasst insbesondere die Gewährung pädagogischer und damit verbundener therapeutischer Leistungen. Sie soll bei Bedarf Ausbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen im Sinne des § 13 Absatz 2 einschließen. (4) Wird ein Kind oder eine Jugendliche während ihres Aufenthalts in einer Einrichtung oder einer Pflegefamilie selbst Mutter eines Kindes, so umfasst die Hilfe zur Erziehung auch die Unterstützung bei der Pflege und Erziehung dieses Kindes.

§ 8 Kinder- und Jugendhilfe, SGB I – Begriff des Personensorgeberechtigten Personensorgeberechtigte sind nach § 7 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII Personen, denen nach den Vorschriften des BGB die Personensorge zusteht. Die Personensorge ist Teil der elterlichen Sorge. Sie ist in § 1626 Abs. 1 BGB definiert. Danach haben die Eltern die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen (elterliche Sorge). Die elterliche Sorge umfasst die Sorge für die Person des Kindes (Personensorge) und das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge). Personensorgeberechtigt können auch sein: die getrennt lebenden Eltern oder die Mutter allein (§ 1626a BGB), die Adoptiveltern (§ 1754 Abs. 3 BGB), der Vormund (§ 1793 BGB) oder ein Ergänzungspfleger (§ 1909 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Personensorge umfasst gemäß § 1631 BGB insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen. Damit verbunden ist gemäß § 1632 Abs. 1 BGB das Recht, die Herausgabe des Kindes von demjenigen zu verlangen, der es den Eltern oder einem Elternteil widerrechtlich vorenthält. Eltern sind die leiblichen Eltern oder die Adoptiveltern (§ 1754 Abs. 3 BGB) und die geschiedenen Eltern, soweit kein Antrag auf Übertragung des Sorgerechts durch das Familiengericht gestellt wurde. Der Personensorgeberechtigte muss nicht volljährig sein. Ein minderjähriger Personensorgeberechtigter darf allerdings gemäß § 1673 Abs. 2 BGB nur in eingeschränktem Umfang die Personensorge ausüben. Der Stiefelternteil (§ 1687b BGB) und der Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft (§ 9 LPartG) haben das sog. kleine Sorgerecht. Dies beinhaltet ein Mitentscheidungsrecht in Angelegenheiten des täglichen Lebens sowie die Berechtigung, bei Gefahr im Verzug alle notwendigen Rechtshandlungen zum Wohl des Kindes vorzunehmen.

Wohl des Kindes... Das OLG Brandenburg (Beschluss vom 4.1.2016 – AZ: 13 UF 95/15) hat sich ausführlich mit dem Begriff des Wohls des Kindes und seiner Gefährdung auseinandergesetzt. Zugunsten des Wohls des Kindes hat das Familiengericht gemäß § 1666 BGB zu entscheiden, wenn das Wohl des Kindes gefährdet ist. Unter dem Wohl des Kindes sind die „grundlegenden, unverzichtbaren Lebensbedürfnisse des Kindes“ zu verstehen, auf deren vollständige und sichere, unbedingte, voraussetzungslose Erfüllung das Kind angewiesen ist. Dazu gehört neben der selbstverständlichen Versorgung mit Essen, Kleidung und Wohnraum auch besonders die emotionale Zuwendung. Ist das Kind dem Babyalter entwachsen, gehört auch die erzieherische und geistige Anregung dazu. Wird diese Zuwendung von den Eltern – oder einem Elternteil – nicht gewährt, ist das Wohl des Kindes gefährdet. Es kommt also auf einen (objektiven) Mangel an, nicht auf einen (subjektiven) Makel in der Person des Erzogenen oder des Erziehers; vielmehr genügt ein objektiver Ausfall von Erziehungsleistung, ohne dass dieser Ausfall vorwerfbar sein müsste. Mangellage ist zu messen am Ziel der Erziehung, also der Gewährleistung des Kindeswohls. Dieses besteht in der Entwicklung der leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit (in der Sprache des §1 JWG) oder der eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit (in der Sprache des §1SGB VIII). Maßstab hierfür sind weder Qualitätsstandards einer (abstrakten) Idealfamilie noch solche einer (durchschnittlichen) Normalfamilie 3, sondern die in der konkreten Familie erreichbaren. Die Standards sind also abhängig von Alter und Entwicklung des Kindes ebenso wie von dem Milieu, in dem es aufwächst. Ein Mangel liegt demnach vor, wenn die - an den konkreten Standards gemessene – normale körperliche, geistige, seelische oder soziale Entwicklung des Kindes gefährdet oder schon gestört ist. Das OLG Brandenburg hat entschieden, dass die Gefahr des Kindeswohls gegenwärtig ist, wenn für einen in absehbarer, nicht erst fernerer Zukunft liegenden Zeitpunkt zu erwarten ist, dass die zur Beeinträchtigung des Wohls des Kindes führende Entwicklung ohne den hoheitlichen Eingriff nicht mehr aufgehalten oder umgekehrt werden kann. Die Beeinträchtigung des Wohls des Kindes kann also in der Zukunft liegen, dennoch ist schon gegenwärtig davon auszugehen und eine Entscheidung zu treffen. Wird das Wohl des Kindes vernachlässigt, was schon dann der Fall ist, wenn die langfristige Entwicklung, die wegen der anhaltenden Vernachlässigung auf den Schaden zuläuft, begonnen hat und nicht mehr erwartet werden kann, dass die Eltern ohne behördliche Einwirkung diese Entwicklung stoppen können, hat das Familiengericht nach § 1666 BGB Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind. Konkret ist das Wohl des Kindes gefährdet, wenn das Kind verwahrlost, die Eltern drogen- oder alkoholabhängig sind und/oder die Kinder misshandeln.

Geeignete Hilfe... Weitere Tatbestandsvoraussetzung ist, dass eine Hilfe zur Erziehung "geeignet" ist, die Mangellage zu beseitigen. Sie ist es nicht, wenn die Eltern nicht mitwirkungsbereit sind; ferner dann nicht, wenn nicht die in §§28-35 SGBVIII genannten Hilfearten, sondern andere Leistungen nach dem SGBVIII oder außerhalb des SGBVIII (z.B. durch die Schule) tauglich sind, dem Mangel abzuhelfen. Zum Beispiel kann Legasthenie zwar eine Störung der geistigen Entwicklung des Kindes sein, aber sie ist i.d.R. weder durch elterliches Erziehungsverhalten verursacht, noch durch Hilfe zur Erziehung behebbar.

Die rechtlichen Grundlagen im einzelnen... § 28: Erziehungsberatung § 29: soziale Gruppenarbeit § 30: Erziehungsbeistand, Betreuungshelfer § 31: sozialpädagogische Familienhilfe § 32: Erziehung in einer Tagesgruppe § 33: Vollzeitpflege § 34: Heimerziehung, sonstige betreute Wohnform § 35: intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung § 35a: Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche

Heimerziehung Heim, Pflegefamilie ist außerhalb der Familie die wohl älteste sozialpädagogische Institution Drei verschiedene und zum Teil gegensätzliche Ursprünge: Waisenhäuser und Bewahranstalten (Verwahren, Betreuen) Arbeits- und Zuchthäuser (erziehende Disziplinierung) Jugendgerichtswesen (Strafe, Schutz der Gesellschaft) Pädagogische Konstitution: zwischen gesellschaftlicher Ausgrenzung und Bewältigung von Armut einerseits und integrierende Disziplinierung andererseits mit der die Kinder und Jugendlichen zu den Haltungen und Einstellungen gebracht werden sollen, die die bürgerliche Gesellschaft braucht Heimerziehung = „Ernstfall der Jugendhilfe“ (nach Hans Thiersch) Handlungsfeld von starken Spannung geprägt Übergänge - Übergang zur bürgerlichen Gesellschaft

Heimerziehung Überlegen Sie bitte kurz: Von welchen Spannungen könnte das Handlungsfeld stärker als andere Handlungsfelder gekennzeichnet sein? Erziehung vs. Disziplinierung Totale Institution vs. Entwicklungsraum Ausgrenzung vs. Entlastung Kontrolle vs. Hilfe

Heimerziehung Strukturmerkmale Häuser mit mehreren Gruppen für verschiedene Altersgruppen Relativ selbstständig wirtschaftende Einheiten Träger, der öffentliche Gelder zu beziehen berechtigt ist Ausgebildetes Personal Mehrjährige Dauer der Unterbringung Indikation (pädagogische Legitimation)

Heimerziehung heute... Umfasst das gesamte Spektrum des Aufwachsens in fremder, öffentlich organisierter Erziehung und Betreuung außerhalb des Elternhauses. Fremdunterbringung in der Form der Heimerziehung bedeutet – im Unterschied zur Familie – Leben in einer Organisation, deren Zweck die Bereitstellung eines Lebensrahmens und eines Settings ist, die Entwicklungsprozesse begünstigen sollen. Zielsetzungen nach Thiersch (1977, 76) Distanz und Entlastung von Aufgaben und Beziehungen, an denen der Adressat gescheitert ist Schaffung eines belastbaren und für die spezifischen Bedürfnisse des Adressaten geeigneten Lebensraums (u.U. mit therapeutischen Hilfen) Das Angebot stabiler, verlässlicher und belastbarer Beziehungen durch Erwachsene Eröffnung von attraktiven Lernfeldern und lohnenden Zukunftsperspektiven Heimerziehung will Kindern und Jugendlichen, die aufgrund individueller, familialer und gesellschaftlicher Problemlagen in ihrem derzeitigen Lebensort überfordert oder auch gefährdet erscheinen, vorübergehend oder auf Dauer einen professionell strukturierten und pädagogisch gestalteten Lebensort bieten, der Entlastung und kompensierendes Lernen ermöglichen soll.

Heimerziehung – Kritik I Kinder und Jugendliche werden aus ihrer Lebenswelt, ihrem vertrauten sozialen Umfeld herausgenommen und verlieren dadurch wesentliche Bindungen. Heime sind ein Ort der „totalen Versorgung“. Aufgrund der Struktur sind die Beziehungen zum Personal von Diskontinuität und Wechsel gekennzeichnet (Anonymität). Die regionale und oftmals soziale Isolierung der Heime begünstigt Stigmatisierungsprozesse und erschwert eine Reintegration in die Lebenswelt.

Heimerziehung – Kritik II Bezugnahme auf Goffmans Begriff der „Totalen Institution“ Goffman beschreibt den Begriff „Totale Institutionen“ folgendermaßen: „Eine totale Institution lässt sich als Wohn- und Arbeitsstätte einer Vielzahl ähnlich gestellter Individuen definieren, die für längere Zeit von der übrigen Gesellschaft abgeschnitten sind und miteinander ein abgeschlossenes, formal reglementiertes Leben führen. Ein anschauliches Beispiel dafür sind Gefängnisse, vorausgesetzt, dass wir zugeben, dass das, was an Gefängnissen gefängnisartig ist, sich auch in anderen Institutionen findet, deren Mitglieder keine Gesetze übertreten haben.“ (S. 11). Und weiter heißt es „In der modernen Gesellschaft besteht eine grundlegende soziale Ordnung, nach der der einzelne an verschiedenen Orten schläft, spielt, arbeitet - und dies mit wechselnden Partner, unter verschiedenen Autoritäten und ohne einen umfassenden rationalen Plan. Das zentrale Merkmal totaler Institutionen besteht darin, dass die Schranken, die normalerweise diese drei Lebensbereiche voneinander trennen, aufgehoben sind.“ (S. 17) Im Kontext der Studentenbewegung und unter Bezugnahme auf Goffmans Begriff der „Totalen Institution“ wurden Strukturmerkmale einer grundlegenden Kritik unterzogen. Der Begriff der „totalen Institutionen“ hat sich im Folgenden mit der Verbreitung und Übersetzung des Buches „Asyle“ in zahlreiche Sprachen verselbständigt und eine Art von Eigenleben jenseits der eigentlichen Studie entwickelt. „Totale Institutionen“ haben sich als soziologischer Fachbegriff sehr schnell etabliert. Wichtig ist für Goffmans Grundlegung der Aspekt der„Wohn- und Arbeitsstätte“, wobei die Betonung in diesem Zusammenhang auf dem „und“ liegt. „Totale Institutionen“ verknüpfen alle Facetten der Lebensäußerungen an einem Ort, etwas das sich im normalen Alltag zumindest insofern voneinander trennen lässt, als dass die meisten Menschen ein strikt umgrenztes Zuhause und einen strikt davon abgegrenzten Arbeitsplatz haben. In Abgrenzung von anderen sogenannten „formalen Organisationen“ und zur Verdeutlichung heißt es an anderer Stelle bei Goffman: „Jede Institution nimmt einen Teil der Zeit und der Interessen ihrer Mitglieder in Anspruch und stellt für sie eine Art Welt für sich dar; kurz, alle Institutionen sind tendenziell allumfassend. [...] Ihr allumfassender oder totaler Charakter wird symbolisiert durch Beschränkungen des sozialen Verkehrs mit der Außenwelt sowie der Freizügigkeit, die häufig direkt in die dingliche Anlage eingebaut sind wie verschlossene Tore, hohe Mauern, Stacheldraht, Felsen, Wasser, Wälder oder Moore. Solche Einrichtungen nenne ich totale Institutionen[...].“ (Goffman 1973, S. 15f.)

Heimerziehung – Kritik III Unüberschaubare Binnenstrukturen (bei großen Einrichtungen) Differenzierte Hierarchien nachteilig für Erziehungsprozesse Dominanz der Verwaltungsstrukturen Gruppenübergreifende dienste, psychologische Zusatzangebote Spezialisierung entlang der Typisierung von Störungen und Defiziten Gruppenübergreifende dienste, psychologische Zusatzangebote: durch bessere Alltagsstrukturen meist besser zu kompensieren Spezialisierung entlang der Typisierung von Störungen und Defiziten: Blind werden für die Ressourcen die Kinder und Jugendlichen

Theoretische Konzepte Es existiert keine Theorie der Heimerziehung. Verbindung von Hilfe, Erziehung und Bildung Pestalozzi: Stanser Brief – „allseitige Besorgung“ + klare Subjektorientierung Bernfeld/Korczak: Partizipation der Adressaten Makarenko: Gruppe wird zum Subjekt des Erziehungsprozesses Bettelheim: Ausgestaltung einer anregenden entwicklungsfördernden und anregenden sozialräumlichen Umgebung Hospitalismusforschung (Spitz) Bindungstheorie (Bowlby, Ainsworth, Winnicott) Erhöhung von Fremdunterbringung: Sozialhilfebezug, Arbeitslosigkeit, Wohnraummangel Verringerung von Fremdunterbringung: gut ausgebaute ambulante Hilfen, Vorhandensein offener Kinderarbeit und Tagesgruppen „allseitige Besorgung“: Gestaltung des Zusammenlebens als pädagogische Handlungsorientierung anregenden sozialräumlichen Umgebung heißt: Gestaltung des Alltags, architektonische Gestaltung, Regelung der materiellen Versorgung wie Kochen und Wäschewaschen Heute vor allem gefordert: Lebensweltorientierung, Adressatenbeteiligung, Individualisierung, Fleibilisierung der Hilfeformen

Aktuelle Formen der Heimerziehung Ausdifferenzierung in vier Entwicklungsstränge: Verkleinerung von großen Einrichtungen; Kleinstheime mit nur einer Wohngruppe; sozialpädagogischen Lebensgemein- schaften... Kinderdörfer Niedrigschwellige Schlafplätze der aufsuchenden Sozialarbeit Formen der Krisenintervention wie z.B. Kindernotdienst, Notwohnungen, Schlupfwinkel) Erlebnispädagogische ausgerichtete Betreuungsformen, Formen aufsuchender Sozialarbeit wie Streetwork In Kleinsteinrichtungen werden maximal 10 Kinder im Schichtdienst betreut. Wohngruppen, Außenwohngruppen – Heimerziehung bedeutet heute auch ein mehr oder weniger selbstständiges Wohnen von Jugendlichen allein oder zu mehreren in einer angemieteten Wohnung mit sozialpädagogischer ambulanter Betreuung Kinderdörfer: Form der Lebensgemeinschaft das familienähnliche Zusammenwohnen von bezahlten Pädagogen mit fremden Kindern über Tag und Nacht in einer gemeinsamen Unterkunft, so dass die Trennung zwischen Dienst und Privatleben aufgehoben ist

Rechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen § 34 : Hilfe zur Erziehung in einer Einrichtung über Tag und Nacht (Heimerziehung) oder in einer sonstigen betreuten Wohnform soll Kinder und Jugendliche durch eine Verbindung von Alltagserleben mit pädagogischen und therapeutischen Angeboten in ihrer Entwicklung fördern. Sie soll entsprechend dem Alter und Entwicklungsstand des Kindes oder des Jugendlichen sowie den Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie 1.eine Rückkehr in die Familie zu erreichen versuchen oder 2.die Erziehung in einer anderen Familie vorbereiten oder 3.eine auf längere Zeit angelegte Lebensform bieten und auf ein selbständiges Leben vorbereiten. Jugendliche sollen in Fragen der Ausbildung und Beschäftigung sowie der allgemeinen Lebensführung beraten und unterstützt werden. Heimerziehung ist eine Hilfe zur Erziehung, auf die die Sorgeberechtigten dann einen Rechtsanspruch haben, wenn eine dem „Wohle des Kindes entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist“ (§ 27 KJHG). Seit der Jugendhilfereform (1990) ist Heimerziehung eine absolut freiwillige Maßnahme.

Ziele der Heimerziehung Rückkehr in die Ursprungsfamilie Vorbereitung auf die Erziehung in einer anderen Familie (meist Pflegefamilie) Verselbstständigung des Jugendlichen in einer auf längere Zeit angelegten Wohnform Entscheidung für Hilfeform wird in § 36 (Mitwirkung, Hilfeplan) KJHG getroffen Elternarbeit gilt in allen Zielsetzungen als ein wichtiger zu leistender Arbeitsbereich Hilfeplanung ist ein fachliches Instrument der Problemklärung auf der Basiseiner sozialpädagogischen Problemanalyse, die kommunikativ mit den Betroffenen und interdisziplinär geschieht. Der Hilfeplan ist nicht abschließend oder endgültig sondern hat prozesshaften Charakter. Der Hilfeplan muss ferner abstrakte Erziehungsziele in konkret nachvollziehbare Teilziele konkretisieren, die von den Adressaten nachvollzogen werden können und darüber hinaus eine fachliche Evaluation oder Controlling erlauben. Zuständig ist ausschließlich das Jugendamt am Wohnort der Familie. Es entscheidet im Rahmen einer Hilfeplanung und kommt für die kosten der Heimunterbringung auf. Heimerziehung wird über Pflegesätze finanziert. Heimerziehung ist die teuerste Form der Erziehungshilfe: ca. 20150-230€ am Tag

Qualifizierte Entscheidungs- und Hilfeplanung § 36 SGB VIII Mitwirkung, Hilfeplan (1) Der Personensorgeberechtigte und das Kind oder der Jugendliche sind vor der Entscheidung über die Inanspruchnahme einer Hilfe und vor einer notwendigen Änderung von Art und Umfang der Hilfe zu beraten und auf die möglichen Folgen für die Entwicklung des Kindes oder des Jugendlichen hinzuweisen. Vor und während einer langfristig zu leistenden Hilfe außerhalb der eigenen Familie ist zu prüfen, ob die Annahme als Kind in Betracht kommt. Ist Hilfe außerhalb der eigenen Familie erforderlich, so sind die in Satz 1 genannten Personen bei der Auswahl der Einrichtung oder der Pflegestelle zu beteiligen. Der Wahl und den Wünschen ist zu entsprechen, sofern sie nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden sind. Wünschen die in Satz 1 genannten Personen die Erbringung einer in § 78a genannten Leistung in einer Einrichtung, mit deren Träger keine Vereinbarungen nach § 78b bestehen, so soll der Wahl nur entsprochen werden, wenn die Erbringung der Leistung in dieser Einrichtung nach Maßgabe des Hilfeplans nach Absatz 2 geboten ist. (2) Die Entscheidung über die im Einzelfall angezeigte Hilfeart soll, wenn Hilfe voraussichtlich für längere Zeit zu leisten ist, im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte getroffen werden. Als Grundlage für die Ausgestaltung der Hilfe sollen sie zusammen mit dem Personensorgeberechtigten und dem Kind oder dem Jugendlichen einen Hilfeplan aufstellen, der Feststellungen über den Bedarf, die zu gewährende Art der Hilfe sowie die notwendigen Leistungen enthält; sie sollen regelmäßig prüfen, ob die gewählte Hilfeart weiterhin geeignet und notwendig ist. Werden bei der Durchführung der Hilfe andere Personen, Dienste oder Einrichtungen tätig, so sind sie oder deren Mitarbeiter an der Aufstellung des Hilfeplans und seiner Überprüfung zu beteiligen. Erscheinen Maßnahmen der beruflichen Eingliederung erforderlich, so sollen auch die für die Eingliederung zuständigen Stellen beteiligt werden. Beteiligung der Kinder/Jugendlichen und Familien bei der Wahl des neuen Lebensortes und der Art der Hilfe - Partizipation Hilfeplan als Instrument zur Transparenz von Abläufen und zur Qualitätssicherung „Mehraugenprinzip“ Kurz-, mittelfristige und langfriste Zielbeschreibung Überprüfbarkeit Sozialpädagogisches Arbeitsmittel zum Entwicklungsverlauf

Entwicklungstendenzen Gründe für Fremdunterbringung sind vielfältig Diskussion um die Angemessenheit bzw. Unangemessenheit hat eine lange Tradition Entwicklungslinien: Fachliches Postulat: Hilfen haben Vorrang vor Eingriffen/Interventionen – familienunterstützende Hilfen haben Priorität vor familienersetzenden Hilfen Respektierung der elterlichen Rechte und die zunehmende Bedeutung von Familie für den Sozialisationsprozess

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit