Manfred Schneider Was bleibt? Die Moderne und die Reste 6. Vorlesung 21.11.2011 Recycling und Zeit Dialektik von Müll und Wert Alexander Kluge: Chronik.

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Der Mut wächst, je größer die Hindernisse sind
wer die Bäume, wer die Flüsse, die in das Meer fliessen, Wer schuf die Berge, wer die Bäume, wer die Flüsse, die in das Meer fliessen, und wer schickt.
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Von wegen nur Männer sind chauvinistisch....
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George Bush hat einen Herzinfarkt und stirbt. George Bush hat einen Herzinfarkt und stirbt. Er kommt in die Hölle, wo der Teufel schon auf ihn wartet:
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 Präsentation transkript:

Manfred Schneider Was bleibt? Die Moderne und die Reste 6. Vorlesung Recycling und Zeit Dialektik von Müll und Wert Alexander Kluge: Chronik der Gefühle Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit Die Lücke, die der Teufel lässt Thomas Sebeok u.a.: Atommüll und Zeit Honoré de Balzac: La peau de chagrin Der Wärmetod im 19. Jh..

Alexander Kluge: Chronik der Gefühle. Frankfurt a. M Die Lücke, die der Teufel lässt. Frankfurt a. M Tür an Tür mit einem anderen Leben. 350 neue Geschichten Geschichten vom Kino Das Labyrinth der zärtlichen Kraft. 166 Liebesgeschichten Das Bohren harter Bretter. 133 politische Geschichten. 2011

Rembrandt: Belsazar (1635)

Der Versuch, einfach zu denken Sofern ‚eine tapfere Truppe zu Schlacke ausbrennt’ oder eine Fabrikgefolgschaft im Lebensalter vorrückt, bis sie irgendwann einmal bis zum letzten Glied ausgebrannt, verstorben oder invalid ist, insofern Frauen ‚unter rücksichtsloser Zurverfügungstellung ihrer Körper den Nachwuchs an Jugend erschaffen’ usf., geht es in allen diesen Fällen letzten Endes um eine Verschrottung, da das Originalmaterial an Arbeitskraft alle diese Vorgänge nicht unbeschädigt übersteht und gerade der Sinn des Ganzen darin liegt, dass der Einzelne untergeht und gigantische Produkte wie Industrie, das Volksganze, Front, Sieg usf. hieraus, eben unsentimental, arbeits- und wehrpsychologisch bestimmt, durch Verschrottung entstehen. Dieses ist zuletzt auch auf den Führer anzuwenden, der nicht derselbe bleiben kann. Alles andere wäre unlogisch.“ Aus: Alexander Kluge: Chronik der Gefühle II, 286f.

Vergeßlichkeit der Materie In dem Überrest der Supernova 1987A verfolgt auf einer Leinwand in der europäischen Südsternwarte in Chile der Astronom Simon White, Ph. D., Fellow of the Royal Society (FRS), einen Jet, der eine Länge von sechzehn Lichtjahren aufwies. Äußerlich ähnlich der Form eines Kometenschweifs. Wenn Simon White das Phänomen in verschiedenen Wellenlängen beobachtete, „sah“ er dieses Objekt. Beobachten hieß schalten, hybride Bilder verfertigen und sie auf dem großen, hochauflösenden Bildschirm zusammenfügen. Es sind Bilder einer Bibliothek, die auf Enträtselung wartet. Wir leben in der stürmischsten Zeit der kosmologischen Erkenntnis. Das für das Auge Auffallende sind helle, orangefarbene leuchtende Wolken. Das an der gewaltigen Stoßfront des JETS erzeugte Gas spiegelt noch immer das machtvolle Ereignis, das in den wenigen Sekunden der Sternexplosion diesen Teil des Universums zerrüttete. Nichts mehr außer diesen ehemals kühlen Wolken „erinnert“ an das monströse Geschehen. Alexander Kluge: Die Lücke, die der Teufel lässt, 334.

Der Quasar 3C273 (kleiner Punkt oben links) und der zugehörige Jet. Die Farben des Jets kennzeichnen verschiedene Wellenlängen. So erscheint Röntgenstrahlung blau und Radiostrahlung rot. Jet des Quasars 3C 273 Der Jet des Quasars 3C 273 geht von einem gewaltigen Schwarzen Loch aus, das man sich unmittelbar außerhalb des linken Bildrandes zu denken hat. Sein hellster, hier gezeigter Teil misst etwa Lichtjahre. Das Röntgenlicht (aufgenommen mit CHANDRA) ist blau dargestellt, sichtbares Licht (aufgenommen mit HUBBLE) grün und Radiowellen (aufgenommen mit dem VLA- Radioteleskop) rot; in den gelben Bereichen wird sowohl starke Radio- als auch optische Strahlung emittiert.

Aus: Alexander Kluge: Die Lücke, die der Teufel lässt, S. 130f.

Wie bewahrt man das Gedächtnis für die Gefahren und Risiken des Atommülls über die Halbwertzeit von Plutonium von Jahren? Vorschlag des Semiotikers Thomas A Sebeok: Gründung einer Atompriesterschaft: Eine Kaste von Spezialisten, von Physikern, Semiotikern, Linguisten, die eigens in dieses Amt des Atompriesters berufen werden. Diese „Priester“ rekrutieren sich wie Kardinäle selbst und sorgen für die feste, sichere, redundante Speicherung des Wissens.

Wie bewahrt man das Gedächtnis für die Gefahren und Risiken des Atommülls über die Halbwertzeit von Plutonium von Jahren? Vorschläge des SF-Schriftstellers und Philosophen Stanislaw Lem: 1.Entsendung von Informationssatelliten in den Orbit, die einige Jahrtausende lang Das notwendige Wissen zur Erde funken. 2.Züchtung von „Atomblumen“. In die DNA solcher Blumen, die in der Nähe der Endlager gepflanzt werden, werden die Informationen eincodiert.

Vorschlag der KommunikationswissenschaftlerInnen Françoise Bastide und Paolo Fabbri: Bastide und Fabbri wollen die Endlager mit strahlengetriebenen Atomsirenen markieren. Außerhalb des Lagers sollen genmanipulierte „Strahlenkatzen“ leben, die die Radioaktivität mit einem Wechsel der Fellfarbe anzeigen. Das Wissen über diese Katzen-Indikatoren wäre mittels Sprichwörtern und Mythen von Generation zu Generation weiterzugeben. Wie bewahrt man das Gedächtnis für die Gefahren und Risiken des Atommülls über die Halbwertzeit von Plutonium von Jahren?

Geduld quasi-stellarer Objekte Das Radiosignal des Binarpulsars J hat eine Periode von 5, Millisekunden. In hunderttausend Jahren ändert sich dieses Uhrwerk des Himmels höchstens um eine Millisekunde. Alexander Kluge: Die Lücke, die der Teufel lässt,S. 338 Schema eines Pulsars

„Seine Handelsgesellschaft heißt Tachaika, und sie möchten, daß wir uns an einer Geschäftsidee beteiligen. Wir fliegen an einen abgelegenen Ort Kasachstan, um eine unterirdische Atomexplosion mitzuerleben. Das ist die Ware, mit der Tschaika handelt. Sie verkaufen Atomexplosionen gegen Bargeld. Wir sollen ihnen den gefährlichsten Müll liefern, den wir finden können, und sie werden ihn für uns zerstören. Je nach Grad der Gefährlichkeit werden sie ihren Kunden – dem Konzern oder der Regierung oder der Stadtverwaltung – zwischen dreihundert und zwölfhundert Dollar pro Kilo berechnen. Tschaika steht in Verbindung mit der Waffenindustrie der GUS, mit Bombenbau-Laboratorien und mit der Transportindustrie. Sie holen Müll aus der ganzen Welt ab, bringen ihn nach Kasachstan, deponieren ihn in der Erde und vergasen ihn. Wir kriegen eine Vermittlungsgebühr. (Don DeLillo: Underworld, S. 918)

„Er erzählte mir, daß der Name der Firma seine Idee war. Tschaika bedeutet Möwe und bezieht sich poetisch auf die Tatsache, daß sie ihr Hauptgeschäft mit Müll machen. Er mag es, wie Möwen auf Müllberge herabstoßen und hinter Schiffen herfliegen, auf der Lauer, daß am Bug etwas glitzernd über Bord geht. Außerdem ist es ein netterer Name als Ratte oder Schwein.“ (Don DeLillo: Underworld, S. 921) „Ich sage Viktor, daß es eine merkwürdige Verbindung zwischen Waffen und Müll gibt. Ich weiß nicht genau, worin sie besteht. Er lächelt und zieht die Füße unter sich auf die Bank, in einer Art Wasserspeier-Hocke. Er sagt, vielleicht ist das eine der mystische Zwilling des anderen. Dieser Gedanke gefällt ihm. Er sagt, Müll ist der teuflische Zwilling. Denn Müll ist die geheime Geschichte, die Untergeschichte, so wie Archäologen die Geschichte früher Kulturen ausgraben, jede Art von Knochenhaufen und zerbrochenes Werkzeug, buchstäblich unter der Erde hervor.“ (Don DeLillo: Underworld, S. 922)

Honoré de Balzac ( ) Daguerrotypie von Félix Nadar Honoré de Balzac: La peau de Chagrin (Das Chagrinleder), Roman 1831

„Alles besitzest du, wenn du mich besitzest. Dein Leben jedoch gehört mir. Gott der Herr hat es so gewollt. Alles was du wünschest, soll durch mich erfüllt werden. Doch auf dein Leben richte deine Wünsche. Es ist da. Mit jedem Wunsche nehme ich ab. Wie deine Tage. Willst du mich? So nimm! Gott wird dich erhören! Also geschehe es!“ Balzac: Das Chagrinleder Illustration der Erstausgabe von T. Johannot

„Nun möchtest du sicher auch wissen, was für Gründe ich zum Selbstmord hatte. Ich muß also hinzufügen, dass durch einen fast märchenhaften Zufall mir die wunderbarsten Ruinen der alten Welt vor meinen Augen zu einer symbolischen Übersetzung der ganzen menschlichen Weisheit wurden – und in diesem Augenblick ist von den Trümmern der geistigen Schätze, die wir früher bei Tische zu Auseinandersetzungen machten, nicht mehr übrig geblieben.“ Balzac: Das Chagrinleder, S. 62

Sie fanden Spieghalter, einen jungen Mann, in einer riesigen Werkstatt; eine Anzahl roter dröhnender Schmieden boten sich zuerst ihren Blicken dar. Ein Regen von Feuer war um sie, eine Sintflut von Nägeln, ein Ozean von Kolben, Schrauben, Hebeln und Eisenträgern, von Feilen und Schraubenmuttern, ein Meer von Gußeisen, Hölzern, Ventilen und Stahlstangen. Die Eisenfeilspäne behinderten die Atmung. Eisen war in der Luft, die Menschen waren mit Eisen bedeckt, alles roch nach Eisen; das Eisen hatte ein eigenes Leben, es verflüssigte sich, es wanderte und dachte, und es nahm gehorsam jede Form an, die ihm nur irgendeine Laune geben wollte. Durch das Heulen der Blasebälge die Crescendi der Hämmer und das Kreischen der Drehbänke, auf denen das Eisen grollte, kam Rafael in ein großes, sauberes, wohlgelüftetes Zimmer, wo er mit Muße die ungeheure Presse betrachten konnte, von der ihm Planchette erzählt hatte. Bewundernd sah er die gußeisernen Röhren und die eisernen Preßwangen an, die um einen Kern unlöslich vereinigt waren. Spieghalter zeigte auf einen Handgriff aus poliertem Eisen und sagte: „Wenn Sie siebenmal rasch diese Kurbel drehen, treiben Sie die Stahlplatte in tausend Splittern heraus, die Ihnen wie Nadeln in die Glieder dringen.” „Teufel!” schrie Raphaël. Planchette schob selber das Chagrinleder zwischen die beiden Platten der mächtigen Maschine und griff voll der Sicherheit, wie sie die wissenschaftlichen Überzeugungen verleihen, lebhaft nach dem Handgriffe. „Alle auf den Boden! Sonst sind wir tot!” brüllte Spieghalter mit donnernder Stimme auf und warf sich selber zur Erde. Ein gräßliches Kreischen pfiff durch die Werkstätten. Das Wasser, das in der Maschine enthalten war, zersprengte das Reservoir, brach mit unermeßlicher Kraft daraus hervor und richtete sich – glücklicherweise – gegen eine alte Schmiede, die es niederwarf, umdrehte und durcheinanderwirbelte, wie ein Zyklon ein Haus umreißt und fortträgt. Ganz ruhig bemerkte Planchette: „Das Chagrinleder ist heil wie meine Augen. Meister Spieghalter, es muß ein Bruch in Ihrem Gußeisen gewesen sein, oder vielleicht irgendein Zwischenraum in der Röhre...” „Nein, nein, ich kenne mein Gußeisen. Der Herr soll sein Zeug nur wieder mitnehmen, da sitzt der Teufel drin!” Der Deutsche packte einen Schmiedehammer, warf das Chagrinleder auf einen Amboß und versetzte mit aller Kraft, die der Zorn verleiht, dem Talisman den schrecklichsten Schlag, der jemals durch seine Werkstätten gedonnert hatte. „Es ist gar nichts zu sehen”, rief Planchette, das widerspenstige Chagrinleder liebkosend.“ Balzac: Das Chagrinleder, S. 191/192

Ende Raphaels, Ende des Romans, Ende der Vorlesung