INTERSEXUALITÄT – MAKING SEX – GESCHLECHTLICHE SELBSTBESTIMMUNG Prof. Dr. Heinz-Jürgen Voß Angewandte Sexualwissenschaft FB soziale Arbeit. Medien. Kultur.

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 Präsentation transkript:

INTERSEXUALITÄT – MAKING SEX – GESCHLECHTLICHE SELBSTBESTIMMUNG Prof. Dr. Heinz-Jürgen Voß Angewandte Sexualwissenschaft FB soziale Arbeit. Medien. Kultur Hochschule Merseburg Geusaer Straße Merseburg Wiesbaden, 10. Juli 2015

Gliederung Politische Kämpfe ernstnehmen! Streiten der Intersex-Bewegung Ergebnisse der Behandlungen – so genannte „Outcome“-Studien Exkurs: Biologische Perspektive – Geschlechtsentwicklung Möglichkeiten für unterstützendes Handeln

1 KÄMPFE UND FORDERUNGEN DER INTERS*-BEWEGUNG

Veränderungen durch politische Kämpfe erreicht! Inters*-Bewegung: seit den 1990er Jahren 1996: Arbeitsgruppe gegen Gewalt in der Pädiatrie und Gynäkologie Aktuell mehrere Gruppen:  Internationale Vereinigung intergeschlechtlicher Menschen  Intersexuelle Menschen e.V.  Zwischengeschlecht.org

Einige wichtige Ereignisse - I Vortrag von Michel Reiter „Medizinische Intervention als Folter“ bei der Fachtagung der „European Federation of Sexology“, 2000 in Berlin: „‚Wärst Du lieber ein Junge geworden“, wird das Kind von einer Psychologin gefragt. ‚Nein’, antwortete es, ‚dann müßte ich tun, was die Jungen tun müssen und als Mädchen muß ich tun, was man von Mädchen erwartet.’ Was will uns diese Antwort sagen? Nichts, außer dass dieses Kind gelernt hat, wie man richtig zu antworten hat, um sich zusätzlichen Ärger zu ersparen. In die medizinischen Akten wird der Befund eingehen: ‚Frisches, schlankes Mädchen, das im Alter von 11 Jahren jetzt genau die durchschnittliche Größe und das durchschnittliche Gewicht aufweist.’ … Gigi, Nr. 9 (2000): Geschlecht und Gewalt.

… Gut gelungenes Frischfleisch, zudem jenseits aller Erwartungen belastbar, denn Hochleistungssport, 17 operative Eingriffe, Medikation mit Dexamethason, hunderte gynäkologische Untersuchungen und Blutabnahmen, Handröntgen- und Genitalnahaufnahmen sowie permanente psychologische Kontrollen müssen wirklich überlebt werden. Was aber sagt uns diese Quantität der Eingriffe, die einzig dem offiziellen Ziel einer heterosexuellen Funktionsfähigkeit und der Idee einer vereindeutigten Geschlechtsidentität geschuldet sind? Nichts, außer einer Anleitung, wie man Menschen psychisch brechen kann und Menschenversuche diskret formuliert.“ Michel Reiter 2000: Online:

Einige wichtige Ereignisse II Zahlreiche öffentlichkeitswirksame Aktionen, Proteste bei Fachtagen und vor Kliniken Mediale Präsenz – nahezu in allen Zeitungen und Zeitschriften Dokumentationen und u.a. die folgenden Filme: „Das verordnete Geschlecht“ (2001), „Tintenfischalarm“ (2006), „Die Katze wäre eher ein Vogel“ (2007), „XXY“ (2007), „Tatort“, Folge „Zwischen den Ohren“ Gerichtsprozess von Christiane Völling - Autobiographie „‚Ich war Mann und Frau‘: Mein Leben als Intersexuelle“ (2010) Ausführlicher: gleich im Vortrag von Lucie Veith! Zeitschrift Geo, Heft 26/2000, Beitrag „Intersexualität: Wenn der kleine Unterschied fehlt“; Abb. Von: Henning Wagenbreth

Forderungen Insbesondere: Ende der geschlechtszuweisenden Eingriffe bei intergeschlechtlichen Minderjährigen Ende der Deutungsmacht der Medizin Ausgleich für erlittenen Schaden, ggf. juristisches Belangen der Operateure

2 ERGEBNISSE DER BEHANDLUNGEN – SO GENANNTE „OUTCOME“-STUDIEN

Der Deutsche Ethikrat stellt fest: „Etliche Betroffene sind aufgrund der früher erfolgten medizinischen Eingriffe so geschädigt, dass sie nicht in der Lage sind, einer normalen Erwerbstätigkeit nachzugehen, oder sie sind infolge der Eingriffe schwer behindert.“ Deutscher Ethikrat 2012: S.165

Schweizer / Richter-Appelt „Weitere Ergebnisse beziehen sich auf Aspekte der Lebensqualität in verschiedenen Lebensbereichen. Insgesamt fällt eine hohe Beeinträchtigung des körperlichen und seelischen Wohlbefindens auf. So litten über 60% der Teilnehmenden sowohl unter einer hohen psychischen Symptombelastung als auch unter einem beeinträchtigten Körpererleben. […] Die psychische Symptombelastung, die z.B. anhand depressiver Symptome, Angst und Misstrauen erfasst wurde, entsprach bei 61% der Befragten einem behandlungsrelevantem Leidensdruck […].“ Schweizer / Richter-Appelt in „Intersexualität kontrovers“ (2012), S. 196f.

3 EXKURS: BIOLOGISCHE PERSPEKTIVE – GESCHLECHTSENTWICKLUNG

Aktuell angenommene Abfolge von Schritten zur Geschlechtsentwicklung Aus: Gilbert, S. F. (2000): „Developmental Biology“. (S. 525)

Interaktionen von Genen, Genprodukten bei der Geschlechtsentwicklung (bei Mäusen) Aus: Klattig, J. T. (2006): On the role of Wt1, Dmrt8 and Sox9 during murine gonad development and sex determination. Rot: hemmend Grün: aktivierend : gezeigte Interaktionen : indirekte u. angenommene Interaktionen E: Zeitpunkte der Embryonalentwicklung in dpc (dpc: Tage nach der Befruchtung)

4 AKTUELLE MÖGLICHKEITEN FÜR UNTERSTÜTZENDES HANDELN

Keine Argumentation der ‚Zukünftigkeit‘ zulassen: „Werden Kritiken an den geschlechtlichen Assimilationsmethoden laut […], versucht man [die Kritiker] zuerst zu Spinnern zu erklären; und nützt dies nichts, werden Übernahmeangebote an die Aktivisten getätigt, indem man ihnen eine wissenschaftliche Karriere in Aussicht stellt und sie an einer Modifikation ihrer Behandlungen beteiligt. Gleichfalls versichert man, vor allem gegenüber der Öffentlichkeit, die Eingriffe humaner zu gestalten, indem die Quantität der chirurgischen Eingriffe reduziert, ihre Qualität und eine psychotherapeutische Hilfeleistung dagegen expandiert werden. Beweise für diese Behauptungen werden nicht geliefert. Man spricht von Fehlern in der Vergangenheit und den technischen Weiterentwicklungen heute und in Zukunft. Daß es dabei ungebrochen um des Gärtners Vorstellungen geht, um viel Geld und Forschungsmaterial, um Prestige und Macht, aber niemals um den Menschen, fällt dort nicht weiter auf…“ Michel Reiter 2000: Online:

Unterstützendes Handeln: Forderungen der Intersex-Gruppen unterstützen – also nicht vereinnahmen; auch Proteste direkt unterstützen eigene inhaltliche Veranstaltungen durchführen - Öffentlichkeit sensibilisieren sich bewusst machen, wo Inter* nur als „Beleg“ angeführt und instrumentalisiert werden – darauf verzichten Bundestagsabgeordneten im eigenen Wahlkreis und im Familienausschuss ansprechen

Unterstützendes Handeln – Bildungsmaterial Aktuell werden Bildungsmaterialien und Fortbildungsprogramme erarbeitet: „Weiterbildung zur Qualifizierten PEERBERATUNG INTER*“: Der Verein Intersexuelle Menschen e.V. (IMEV ) und die Akademie Waldschlösschen bilden das „Empowermentzentrum PEERBERATUNG INTER*“. Weitere Anregungen: Andreas Hechler: Intergeschlechtlichkeit als Thema geschlechterreflektierender Pädagogik. In: Dissens e.V. (Hg.): Geschlechterreflektierte Arbeit mit Jungen an der Schule... (Online) Selbstlaut-Broschüre „Ganz schön intim Sexualerziehung für Jährige“ (Darin zwei Materialien zu Intergeschlechtlichkeit.) Bildung ist Ländersache!

Barth, E et al.: Inter – Erfahrungen intergeschlechtlicher Menschen in der Welt der zwei Geschlechter. NoNo Morgen, C: Mein intersexuelles Kind – weiblich männlich fließend. Transit Völling, C: „Ich war Mann und Frau“ – Mein Leben als Intersexuelle. Fackelträger Verlag, [one 'o one] intersex – Das Zwei-Geschlechter-System als Menschenrechtsverletzung. Berlin, Voß, H-J: Intersexualität – Intersex: Eine Intervention. Münster, Weiterlesen: Prof. Dr. Heinz-Jürgen Voß