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Imaginata Philosophie im ‚Ding‘ VI..

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Präsentation zum Thema: "Imaginata Philosophie im ‚Ding‘ VI.."—  Präsentation transkript:

1 Imaginata Philosophie im ‚Ding‘ VI.

2 Torei Enji: Bodhidharma, vor der Wand meditierend

3 Torei Enji ( ) einer der engsten Schüler des berühmten Hakuin Ekaku ( ) und wie dieser später Abt des Ryutakuji-Klosters in Mishima.

4 Bodhidharma, vor der Wand meditierend
Der Titel des Bildes berichtet von einer Begebenheit: Bodhidharma meditiert vor einer Wand. Bodhidharma gilt als der Begründer des Zen-Buddhismus und erster Zen-Patriarch. Einer Überlieferung zufolge soll er das dritte Kind des Brahmanenkönigs von Kanchipuram im südlichen Indien gewesen sein. Im sechsten nachchristlichen Jahrhundert reiste er nach China und unterrichtete die Mönche des Shaolin-Tempels am Berg Song. Dort verbrachte er in einer Felshöhle neun Jahre in sitzender Haltung zu und starrte unablässig auf die ihm gegenüber befindliche Felswand. Es heißt, dass nach dieser langen Zeit des bewegungslosen Sitzens seine Hände und Beine verfault und abgefallen seien.

5 Toreis Bild zeigt einen Bodhidharma, der eher der japanischen Daruma-Puppe ähnelt – ohne Hände, ohne Beine, eine Art Stehaufmännchen –, als den Darstellungen, in denen er in der Zen-Kunst gemeinhin präsent ist.

6 Nicht einmal die Augen sind hier angedeutet
Nicht einmal die Augen sind hier angedeutet. Wahrscheinlich wendet uns Bodhidharma seinen Rücken zu. Es ist der Verlauf einer einzigen Linie, die die Gestalt des Bodhidharma in Erscheinung treten lässt. Wäre da nicht der Titel des Bildes, könnte man das Gebilde auch für den Umriss eines Kürbis oder für ein Gewässer halten, das ein Vogel in seinem Vorbeiflug von oben erblickt. So aber wissen wir, dass es um Bodhidharma und um seine asketische Versenkung geht, und mit diesem Wissen ist die gesamte Überlieferung der ‚Bodhidharma-Geschichte’ geweckt.

7 Dieses Wissen ist ein äußerliches
Dieses Wissen ist ein äußerliches. Wir wissen nur um die Geschichte, die von Bodhidharma erzählt wird, wir sind nicht selbst Teil von ihr und treten nicht in sie ein, wir teilen nicht selbst die Erfahrung, die Bodhidharma während seines jahrelangen Sitzens gemacht hat, spüren nicht seinen Schmerz. Wir hören die Geschichte und können sie weitererzählen. Was aber genau hören wir? Wir hören und geben unter Umständen weiter einen Sinn, einen Zusammenhang von Sinn. Verstehen, das stets Verstehen von Sinn ist, besitzt das Merkmal, dass der Verstehende nicht abhängig ist von dem Ort und der Zeit dessen, was er versteht oder verstehen soll. Wir hören Bodhidharmas Geschichte heute, an einem anderen Ort, zu anderer Zeit, und verstehen doch ihren Sinn – selbst dann, wenn uns dieser Sinn unsinnig erscheinen mag: unsinnig etwa, dass jemand über Jahre hinweg reglos verharrt, bis ihm seine Gliedmaßen abfallen.

8 Wir wollen dieses Bild in einer bestimmten Hinsicht betrachten:
Wie geschieht hier der Einsatz des Leiblichen? Der Leib ist auf dreifache Weise im Spiel: als im Bild dargestellter Leib, als der im Bild nicht sichtbare Leib des Künstlers und als der Leib des im Bild selbst ebenfalls nicht zu erblickenden Betrachters.

9 Ausgehend vom Titel des Bildes:
„Bodhidharma, vor der Wand meditierend“ finden wir uns mit einer Geschichte konfrontiert, mittels derer wir das im Bild zu Sehende begreifen. Bezogen auf den Leib: Leiblichkeit ist hier eine gegenständlich sichtbare Gestalt, die mittels des Kontextes einer Geschichte im Bild ‚verbildlicht’ ist. Leib = gezeigter Leib, und gezeigt wird nur sein ‚Sinn’, d. h. die Bedeutung, die ihm im Zusammenhang der Bild-Geschichte zukommt. Das ist der Leib als Sinnleib.

10 Sinnleib – wie Sinn überhaupt: zeit- und ortunabhängig.
Das Sinngefüge kann in der Erinnerung zurückrufen, in der Phantasie umgestaltet, in einem Bild festhalten werden. Sinn ist inhaltlich strukturiert: kann an anderem Ort zu anderer Zeit ins Bewusstsein treten, aber er erscheint mit einem identischen Kern – als dieser und nicht als ein ganz anderer, und nicht als nichts. Damit ist ‚Sinn’ das Medium, mit dem wir ein Leben lang in der Welt sind.

11 Die Strukturformel für die sinnhaft erfüllte Welt ist das Viereck
Es umfasst alle Himmelsrichtungen und ist beliebig unterteilbar.

12 Die Flächigkeit des Rechtecks ist ein Grundmoment traditioneller japanischer Kleidung. Die Kleidung verhüllt den Leib mit Sinn. Art und Schnitt des Stoffes, Muster und Motive verweisen auf den Verwendungszweck einer Bekleidung und ihren sozialen Sinnkontext. Nicht nur ist dabei das Muster streng vorgegeben, auch die Trägerin oder der Träger eines Kleids wird dieser Ordnung eingepasst. Der Mensch taucht buchstäblich ins Kleid ein und darin unter.

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14 Was aber sehen wir wirklich?
Und Toreis Bodhidharma? Der Bild-Titel hilft, die Gestalt als Bodhidharma zu erkennen: man erkennt den Sinn ihres Leibs, aber wir sehen diesen Sinn nicht im strengen Sinn des Wortes. Was wir ‚sehen’, ist durch den Titel und den Kontext der von ihm evozierten Geschichte vermittelt. Wir sehen daher nicht eigentlich einen Sinnleib, d. h. einen Leib in seiner identifizierbaren strukturierten Fülle, Wir imaginieren das vom Titel Indizierte in dieses Gebilde hinein. Was aber sehen wir wirklich?

15 Was wir sehen: - Verlauf einer Linie – gezogen mit einem einzigen Schwung - Richtung des Verlaufs: gegen den Uhrzeigersinn von links nach rechts über einen geschlossenen Kreis hinaus Was wir sehen, ist nicht eine gegenständliche Figur, sondern der Richtungsverlauf einer Linie

16 Linie als unmittelbarer Abdruck
einer leiblichen Betätigung ihres Urhebers Richtung des malenden Leibs läuft auf ein Ziel zu: > Ein Bild von Bodhidharma herzustellen. Richtung des gemalten Leibs? > die Wand

17 Leibliches Gerichtetsein
= Interesse, Begehren: ‚Pfeil‘ Dreieck enthält Viereck Richtungsleib liegt Sinnleib zugrunde Sinnhaft erschlossene Welt tritt in den Dienst eines Wollens

18 Gerichtetheit hier also:
(1) Künstler zieht Linie, um eine Gestalt sichtbar zu machen (2) Gestalt erscheint, um ihr Gerichtetsein auf eine Wand miterscheinen zu lassen Doch: Verfolgt der malende Leib wirklich den Zweck, eine bestimmte Gestalt zu repräsentieren, verfolgt er überhaupt einen Zweck ?

19 Gegen eine Zweckbezogenheit spricht
Der Schwung der Linie selbst: Ihr Ziel und ihr Zweck = ihre Richtung, und diese führt in ihrer Kreisbewegung auf sich selbst zurück - Und auch darüber hinaus Richtungssinn der malenden Hand: Nicht Zweck – nicht Selbstzweck

20 Und der gemalte Leib? > Bodhidharma, „vor der Wand meditierend“ Wo aber ist die Wand? Die Wand ist nicht da: Wir sehen nichts Oder ist das Blatt Papier die Wand? Das Stück Papier ist nicht nichts Der wirkliche Gegenstand des Papiers ist Teil unserer Wahrnehmungswelt: Wir selbst sind miteinbezogen

21  Dritter Leibbezug: - Malender Leib - Gemalter Leib - Wir selbst: spüren einen Widerstand Zwischen Bild-Sinn und Bild-Sicht, Zwischen der im Bild nicht sichtbaren Wand und der Wand des realen Bildgrunds  Wand ist zur Grenze geworden Mit schlichtesten Mitteln führt das Bild an die Grenze von Sinn

22 Linie ist Grenzgang, ist selbst ergrenzend:
pure Nichtung realisiert Nicht-Sinn: streicht bestimmten Sinn durch realisiert Nicht-Gerichtetheit: distanziert sich von jeglicher Ausrichtung Durchstößt den Sinn von Wand - durchbricht Nicht-Wand  konfrontiert mit der Realität der Wand Aktualisierung eines Durchbruchs Bricht den artikulierenden Bezug auf Wirklichkeit: die unterscheidende Haltung aufgrund des - sinnenleiblichen Bezugs der Sprache - richtungsleiblichen Vollzugs der Interessen

23 Durchbruch nur im Kontakt mit purer Widerständigkeit,
in der Kraft, dem Sog der diskriminierenden Weltsicht Widerstand zu leisten Schmerz = Indikator eines pathischen Sichlösens von der gewöhnlichen Welthaltung Wenn Artikulation = Unterscheidung der Weltdinge als Objekte von Interessen Dann Aufhebung der Artikulation = Beseitigung der Weltfülle  Was aber bleibt dann ?

24 Schriftzug über dem Bild:
„Wenn erwacht, sieht alles so aus Wie das große Meer im Dunst.“ Verschwunden = subjektive Disposition, in der Welt zu sein und mit Innerweltlichenm umzugehen Korrelative Erlebnisart zum Dunstmeer: spezifisches Schweben, frei von der Widerständigkeit der Welt

25 Das über-hinaus der sich kreuzenden
und ein Stück sich fortsetzenden Enden des Linienverlaufs Negiert das sinnleibliche und richtungsleibliche Bezugsschema Sinnleiblich: Identifikation mit dem Sinn ‚Bodhidharma‘ wird unterbunden Richtungsleiblich: dem Linienverlauf Kein Bezug auf die Aktion, vor der Wand meditierend, zu entnehmen  Gezogene Linie bringt auf sich selbst zurück

26 Die Linie ist Grenzverlauf, weil ihr Weg selbst
die Möglichkeit des Durchbruchs ‚erläuft‘: Sie schreibt sich in den Grund ein, der allein ihr realen Widerstand entgegen bringt: das Stück Papier Im Anmalen an diese Widerständigkeit wird das Papier erst wirklich leer, weiß, und es verschwindet die artikulierende Weltsicht, so wie in einem damit Bodhidharma in die Präsenz gehoben wird. Der Hintergrund der Zeichnung ist daher nicht lediglich weiß im Sinne des Unbeschriebenen.

27 Sesshū Tōyō ( )

28 Dieses Weiß ist ein nicht-gemaltes gemaltes Weiß,
das in dem Moment ermalt wird, in dem der malende Leib mit dem Ziehen der schwarzen Linie den Durchbruch realisiert. Weil das Ziehen der Linie schon der Durchbruch ist, kann die Wand nicht mehr sichtbar sein; es wird nur mehr ihre Unsichtbarkeit als Nicht-mehr-Sichtbarkeit sichtbar, und zwar nur in und mit dem Ziehen der Linie, welche das Weiß, die Leere, ermalt. Weil aber auch das Ermalen der Leere die Widerständigkeit der Fülle und die ihm widerstehende Überwindung in sich beschließt, verdankt es sich einer Erfahrung, die Leiblichkeit an die Grenze der gewöhnlichen Verortung in Welt führt.

29 Nur der Grenzleib, der das sinn- wie richtungsleibliche Bezugsschema überstiegen hat und sich der Widerständigkeit der artikulierenden Weltsicht aussetzt, realisiert den Durchbruch. In und mit ihm fallen nicht nur der gemalte Leib und der malende Leib in eins, einbezogen ist darin auch jeglicher andere Leib, also das leibliche Verhalten derer, die diese Bildrealisation gewahren und sich ihr aussetzen: wir selbst. Das Bild ist nicht ein distanziertes Objekt der Schau, sondern konfrontiert uns mit unserer ‚sicheren‘ Wirklichkeit und beinhaltet die Aufforderung, ihrer Härte und Sicherheit passiv zu widerstehen. Werden im Sartori-Erlebnis alle Sinngerüste eines Lebens fraglich, kann es kein sinnhaft aufzufassendes Bild sein, das diese Erfahrung hervorruft.

30 Das reale Blatt Papier:
die ‚unsichtbare’ Wand und als Realität zugleich Korrelat unseres grenzleiblichen Verhaltens Wir werden so tatsächlich mit der Provokation des Durchbruchs kon-frontiert Das Blatt Papier – eine Provokation, die sich an unsere Grenzleiblichkeit richtet: an diejenige Leiblichkeit, die unter Schmerzen sich von Sinnhaftigkeit und Begehrlichkeit löst und so den Durchbruch durch die artikulierte Welt erringt. Das Papier darf also nicht mehr bloßes Bestandstück unserer sinn- und richtungsleiblich aufgefassten Wirklichkeitssicht sein. Denn dann könnte ein Meister die Frage stellen: „Ist die Wand nicht lediglich ein Stück wertloses Papier, und dein Versuch, sie zu durchbrechen, nicht viel mehr wert als ein Tintenklecks auf einem Blatt?!“

31 als eines einheitlichen Phänomens
Erst in und mit der entwertenden Erfahrung der Dürftigkeit der artikulierenden Weltsicht bereitet sich der Durchbruch vor. Dann wird das Stück Papier und der Zug des Tuschepinsels zu einem ausgezeichneten Ort, an dem sich alles auf die schwarze Linie und das Weiße des Papiers konzentriert und sich jegliche Hierarchisierung des Wirklichen auflöst – mit einem Wort: wo alles wie in ein großes Dunstmeer Eingang findet. In diesem In-eins-Fallen der Leibhandlungen des malenden, gemalten und sehenden Leibs als eines einheitlichen Phänomens erbaut sich ein neuer Sinn- und Richtungsleib im Bild: der Sinn- und Richtungsleib des Bodhidharma, den wir nun tatsächlich im Bild sehen.

32 Jetzt können wir den Titel „Bodhidharma, vor der Wand meditierend“ anders verstehen:
nicht als Hinweis auf das, was ein Bild zeigt, sondern als das Manifest eines Bewegungsganzen, dessen Sinn- wie Richtungsbildung Resultat eines grenzleiblichen Verhaltens sind und in die Grenzleiblichkeit des Grenz-Ganges einbehalten, d. h. in Bewegung bleiben: daher der Verlauf nur einer einzigen Linie, der Grenzlinie, und daher die Verweigerung, Sinngehalte und Richtungen zu fixieren.

33 Diese Bewegung ist der Kreis.
Dieser Kreis darf aber nicht geschlossen sein. Aus jeder Schließung droht Verhärtung, Substantialisierung, Objektwerdung des Verflüssigten. Daher ist der Kreis im Zen keine intakte geometrische Figur. Es mag, wie in Toreis Bild, die Schließung des Rundgangs durchstrichen sein, in anderen Fällen bleibt der Kreis geöffnet oder schließt sich nicht in einer überall gleich stark gesetzten Linie

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35 Im Durchbruch der Zen-Erfahrung
ist der gewöhnliche Wirklichkeitsbezug auf das Feld eines puren Erlebens zurückgebracht, das keine zeitliche und räumliche Erstreckung kennt, die unterteilt werden könnte. Auch dafür ist der Kreis ein unmittelbarer Ausdruck. Alle Zeitlichkeit und Räumlichkeit versammeln sich in einen je ab-soluten Augenblick in einem ab-soluten Hier. Im Feld dieses zeitlich-räumlichen Da ist alles andere mit da – wenngleich in Negation.

36 Sengai (1750-1837): Kreis, Rechteck, Dreieck
Der Kreis umfasst das Dreieck, das seinerseits das Viereck auffaltet, so wie der Grenzleib Richtungs- und Sinnleib in sich fasst.

37 Sengais Bild „Kreis, Dreieck, Rechteck“ stellt in Form der drei Gebilde nicht nur die leiblichen Grundmuster von Grenz-, Richtungs-, Sinnleib zusammen. Es deutet in ihrer Verschränkung auch die Bewegung an, die im Überschritt des nur sinn- und richtungsleiblichen Verhaltens den Durchbruch im Grenzleib bewirkt und von da aus Sinnhaftigkeit und Gerichtetheit neu organisiert. Der Kreis markiert somit nicht nur den Durchbruch, sondern die Integration der ganzen Reihe, und das Viereck enthält die Möglichkeit, bis zum Kreis durchzubrechen.

38 Die im Medium des Bildes
sich vollziehende wieder-holende Bewegung des Sartori-Erlebnisses ist keine Nachahmung, noch weniger Illustration. Sie zieht dieses Erlebnis nach und ist nur, was sie ist, wenn dieses Ziehen glückt. Dieser glückende Zug schafft ein besonderes Verhältnis von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit: Auch das Zen-Bild ist sichtbar. Aber seine Sichtbarkeit ist gleichsam in ihm selbst aufgehoben: Das Bild hält mit seiner Konzentration auf die schwarze Linie und den leeren Hintergrund Sichtbarkeit zurück; es versichtlicht nicht, weil es zwar wieder-holt, aber nicht wieder-gibt: d. h. nicht die Fülle der Welt in ein Bild bannt. Dieser einbehaltenen Sichtbarkeit entspricht die Unsichtbarkeit des Vollzugs, denn das Sartori-Erlebnis ist – wie jedes Erlebnis – unsichtbar.

39 Diese Sichtbarkeit hebt sich
im Sichtbarwerden wieder auf. Gerade diese Spannung von Sichtbarwerden und Aufhebung des Sichtbaren treibt die Bewegung des Bildes an: Unsichtbare Sichtbarkeit, die das Unsichtbare, den Vollzug, sichtbar werden lässt, ihn im Sichtbarwerdenlassen aber zugleich dem Unsichtbaren überstellt.

40 Grenzleiblichkeit Kafka Torei auf sich zurückgeworfen sich gewinnen abgespalten im freien Erlebnis aber nicht berechenbar Bewegung des Schreibens Bewegung des Malens Schweben, Schweben, das sich der Verortung das sich immer neu Entzieht verortet und aufhebt

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42 Jan Švankmajer (1934 –)

43 Eva Švankmajerová

44 („Möglichkeiten des Dialogs“).
Možnosti dialogu („Möglichkeiten des Dialogs“). Die erste, viereinhalb Minuten lange Sequenz mit dem Titel Dialog věcný („Dinglicher Dialog“) 1982

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46 Drei arcimboldeske Gestalten treffen aufeinander: Früchtemensch
Hausratmensch Mal-Schreib-Lese-Mensch Giuseppe Arcimboldo (ca )

47 Ein Prozess tendiert auf eine bestimmte Form > Entwicklung 1. Zunächst nur menschenähnliche Wesen um sie zu erkennen: ‚doppelter Blick‘: - einzelne Dinge - in ihnen menschliche Gestalt 2. Dinge werden ‚heimatlos‘ und geraten in Konflikt 3. Am Ende entsteht aus all den Merkwürdigkeiten: ein banales menschliches Antlitz

48 Bewegung dieser Entwicklung: ein Verschlingen
Kannibalismus Wenn die gezeigte Entwicklung ihr Ziel in einer Menschwerdung besitzt und der Bewegungssinn Kannibalismus heißt, dann ist die Vermenschlichung das Resultat eines kannibalischen Prozesses. 1. Der Prozess a. vereinheitlichend b. gewaltsam c. verdeckend 2. Zeigen im Prozess

49 1. Der Prozess Drei Grundtypen: Früchtemensch agrarisch
Hausratmensch praktisch Mal-Schreib-Lese-Mensch theoretisch Entwicklungssinn des Prozess ein zivilisatorischer: Von der Kultur der Feldfrüchte über die Kultivierung des Haushalts zu einer Kultivierung durch Kunst und Wissenschaft

50 Individuum ist nicht wirklich In-dividuum
Drei strukturelle Momente des Prozesses: Zunehmende Vereinheitlichung von heterogenen Bestandteilen Vereinheitlichung erfolgt gewaltsam - Prozess tendiert dazu, die gewaltsame Vereinheitlichung zu verdecken a. vereinheitlichend Individuum ist nicht wirklich In-dividuum - Integration nur dort im Ansatz verwirklicht, wo Fragmentierung herrscht - Individualität am Ende Stereotypie Doch noch im Stereotypen ist das Fragment da: In der Formalisierung zur bloßen Zahl

51 Das Beständige des Fragmentarischen wird paradoxerweise dadurch in seinem Bestand gehalten, dass permanent versucht wird, es zu überwinden. Die Überwindung verschlingt sich somit (in sich) selbst, wenn das Fragmentarische erst im Versuch seiner Aufhebung in die Lage versetzt wird, sich auszuleben und zu radikalisieren, in jedem Fall fortzubestehen. Das Verschlingen hat ein Ende gefunden, da es nichts Ungleiches mehr gibt, das eingeebnet werden müsste. Es ist nur mehr ein fortwährendes Ausspeien – Reproduktion. Die Wildheit und Grausamkeit des kannibalischen Prozesses ist abgelegt, der Vorgang ist fortan so makellos wie das humane Aussehen der normierten Menschengebilde. Er ist harmonisch, gegründet auf den einfachen, ‚ewigen’ Rhythmen einer schlichten Zahlenfolge.

52 Was sieht man ? Nicht eigentlich die Abfolge eines kulturellen Prozesses, Sondern eine Deutung: die Auslegung der Entfaltung europäischer Kultur als eines Prozesses, den idealisierende Geschichtstheorien zu einer stimmigen Balance von Aufgang und Endpunkt verurteilen. Solche Deutung hat Zweck und Ziel solcher Balance an einen Prozess herangetragen und lässt ihn in den harmonischen Zustand ‚wahrer Humanität’ münden. Der Betrachter wird dazu verführt, einen ideologischen Blick einzunehmen, den Blick, der einen Anfang setzt, indem er am Ende einen harmonischen Zustand als neuen Anfang verwirklicht sehen will.

53 ideologisch: - das angeblich überzeitliche Harmonische besitzt seine konkrete raumzeitliche Stiftung, an die seine Sinnentwürfe (Paradies – Goldenes Zeitalter – Telos) zurückgebunden sind - Zugleich hat es sich von diesem seinen Gründungsort gelöst, indem es jeweils den Raum einer einzig geltenden Zeit mit einem Anfang und einem Ende und allem Dazwischen usurpiert: sich selbst in den eigenen Entwurf entwirft.

54 Das anfänglich gestiftete Idol des Menschen
findet sein (endloses) Ende im ausgehärteten Ton – in einem zur Versteinerung tendierenden Monument seiner selbst, das Macht und Techné in der Endlosigkeit der Reproduktion des tönernen diktatorischen Standbilds vereint.

55 Konec stalinismu v Čechách
(Das Ende des Stalinismus in Böhmen) 1990

56 Franz Xaver Messerschmidt (1736-1783)

57 Dunkelzone zwischen geistiger Umnachtung (der geisteskranke Messerschmidt stellte sich oft selbst dar) und aufklärerischer Rationalität

58 Der Wahnsinn steht für das ideologische Übermaß,
die fehlgeleitete Vernunft für die übermäßige Idealität. Beides zusammen ergibt eine allzu endliche Stupidität: die Ein-fältigkeit eines Blicks, der nur mehr Äußerlichkeiten kennt.

59 b. gewaltsam Sinnkorsett der Deutung benötigt Anderes: andere Gründe, die es zwar überschreibt, doch die Domestizierung verbleibt nur auf der Oberfläche Daerunter: ein nicht Beherrschbares: Unter der Haut sinnhaft überschreibender Teleologie spielt sich ein brutaler Kampf ums Dasein ab: eine kulturelle Entität, ein Sinnsystem, schluckt das andere. Das bloße Faktum des Verschluckens, Verdauens und wieder Ausspeiens als solches hat jedoch mit Sinn nichts gemein.

60  Die praktisch gewordene Teleologie ist gezwungen,
mit dem Sinnfreien ein ihr fremdes Element aufzunehmen, will sie als praktische auch faktisch werden. Der kannibalische Akt, das Verschlucken, Verdauen, Ausspeien, ist ein Kampf der Dinge bis hin zur völligen Zersetzung. Diese Dinge sind Kultur-Dinge, vom Menschen gezüchtet oder hergestellt. Ihr Sein ist ihre Bestimmtheit zu einer Verwendung. Und doch erschöpft sich ihr Sein nicht in ihrer Sinnbegabtheit. Dass sie schlicht sind, dass sie miteinander im Streit sich befinden und Verletzungen, Verstümmelungen, Umwandlungen erleiden, ist für sich genommen ohne Sinn, wenngleich wir nicht umhin können, auch diesem immer schon Sinn zuzuerteilen. Faktizität ist also, anders als Heidegger dachte, gerade nicht über Bedeutsamkeit zu fassen, sondern steht diametral zu ihr.

61 Diese Heterogenität von sinn-loser Faktizität und oktroyierter Sinnbestimmtheit spiegelt sich in einer surrealistischen Situation – dem Neben- und Ineinander von an sich Heterogenem: Die Schere traktiert den Apfel, die Beißzange die Zuckerstückchen, das Maßband den Kohlrabi, das Wörterbuch den Topfdeckel, das Papier den Rasierpinsel usw.

62 Der Kampf der Sinnwelten zeigt an, dass es neben diesen keine dritte Position, keinen Schiedsrichter, gibt. Bezüglich der Sinnwelten gibt es keine Außen- und keine Überwelt. Diese Kämpfe tendieren auf einen universalen Sinn nur insofern, als eine sie deutende Teleologie sie dahin tendieren lässt. Zugleich aber machen sie deutlich, wie gerade diese Deutung selbst das Produkt eines Kampfes ist: wie darin Differenzen allmählich ‚zerkaut’ werden und zunehmend in eine Uniformität, in das homogenisierende Ideal der ‚Humanität’, hinüber gleiten.

63 Das einzige Differenz markierende Über, das hier besteht, ist ein völlig anderes transcendens, als es jegliche Transzendenz von Sinn ist, es ist ein Über bezüglich des Sinns selbst: Der sur-reale Kampf der Sinnwelten ist zuunterst ein Kampf, den die Dinge austragen – gegen ihre subjektive Vereinnahmung und Degradierung zu bloßen Objekten, gegen die Einsperrung in Sinnwelten und letztlich und vor allem gegen die Einsperrung in Sinn überhaupt.

64 Franz Kafka Beschreibung eines Kampfes: "Es hat niemals eine Zeit gegeben, in der ich durch mich selbst von meinem Leben überzeugt war. Ich erfasse nämlich die Dinge um mich nur in so hinfälligen Vorstellungen, daß ich immer glaube, die Dinge hätten einmal gelebt, jetzt aber seien sie versinkend."

65 "Immer [...] habe ich eine so quälende Lust, die Dinge so zu sehn, wie sie sich geben mögen, ehe sie sich mir zeigen. Sie sind da wohl schön und ruhig." Die Dinge sind unwirklich geworden,[1] denn ihre "wahrhaftigen Namen" wurden "vergessen", stattdessen wurden sie mit "zufälligen Namen" überschüttet, mit solchen, die nicht mehr die Dinge 'treffen', sondern in Funktionszwängen einer Welt sich abnutzen.      [1] "Was ist es doch, daß Ihr thut, als wenn Ihr wirklich wäret. Wollt Ihr mich glauben machen, daß ich unwirklich bin [...]. Aber doch ist es schon lange her, daß Du wirklich warst, Du Himmel und Du Ringplatz bist niemals wirklich gewesen."

66 Die Dinge empören sich, werden "so eitel, so zudringlich und so rachsüchtig"
Aus ihrem ruhigen Stand herausgesetzt, erzwingen die Dinge eine Alternative, die unannehmbar ist: "Was sollen unsere Lungen thun [...] athmen sie rasch, ersticken sie an sich, an innern Giften; athmen sie langsam ersticken sie an nicht athembarer Luft, an den empörten Dingen."    

67 c. verdeckend Indem der Kampf die Vereinheitlichung erstreitet, - überdeckt er das homogenisierte Heterogene. - er überdeckt auch die eigene Tat durch ihre Legitimierung als eine zwangsläufige und zwangsläufig gute: als Stiftung und Erfüllung eines praktischen Telos. Verdeckt wird dabei nicht nur anderer Sinn, sondern das Andere zu Sinn: verdeckt wird nämlich, dass auch die vorgeblich humane Helle des harmonisierten Weltbezugs dem Dunkel purer Gewalt entstiegen ist und nur durch die Ausübung solcher Gewalt fortbestehen kann.

68 Gegen diese Verdeckung arbeiten die Dinge an,
die im puren Zusammenstoß sich ihrer sinnhaften Vereinnahmung zu entziehen suchen; gegen diese Verdeckung operiert auch der Fress-, Verdauungs- und Ausscheideprozess als solcher, den alle Sinngebung gleichgültig lässt. Zugleich wird die Verdeckung dort am größten, wo ‚alles’ verschluckt ist, d. h. wo nur mehr das Selbe sich reproduzieren kann. Auf den wächsernen Masken der humanen Gesichter sind jegliche Kampfspuren beseitigt. Das mit der stereotypen Reproduktion realisierte praktische Ideal bezeichnet die höchste Stufe der Sublimierung des kannibalischen Triebs – und seine größtmögliche Verdeckung.

69 2. Zeigen im Prozess Alle Verdeckung und alle Gewalt, die Verdeckung impliziert, kann jedoch ent-deckt werden. In Švankmajers Film erfolgt die Entdeckung, indem die Zeit entfaltet wird, die zur Verdeckung führte. Die Zeit ist der ablaufende Film. 1. Man wohnt dem Prozess eines Kampfes um Macht bei; 2. am Ende sieht man, dass der Prozess schon ein gedeuteter war und somit relativ auf die Deutung seines Telos ist, das sich als solches schließlich zu erkennen gibt; 3. doch zurückkehrend zum Ausgangspunkt merkt man, dass die Deutung zwei selbst ein Produkt von eins darstellt, dass also das Subjekt selbst Ergebnis des Objekts ist, das es, das Subjekt, hervorgebracht zu haben meint.

70 1. Zuerst sehen wir, wie Grenzen faktisch verschlungen werden;
2. dann zeigt sich, dass die reale Verschlingung ein Sublimierungsprozess ist, der seinerseits die Grenze der Realität verschlingt, indem er sie sinnhaft überhöht; 3. schließlich erweist sich diese Sublimierung selbst als ein Produkt realen Geschehens, als ein solches, das ihr immer schon voraus ist: Denn es hat der Sublimierung eine unüberwindliche Grenze gezogen, indem es sie schon verschlungen hat, bevor sie an ihr Ende gelangen kann.

71 Wenn das Faktum je meines Orts –
die bloße Tatsache, dass ich hier und nicht dort bin – sinnvorgängig und ferner das Sur-reale die radikale Überstiegenheit des Sinns durch Nicht-Sinn ist, dann liegt in der Verschiebung meines Orts und in den Blicken, die diese Verschiebung eröffnet, in den Differenzen, die sie sehen lässt, ein radikaler Sinn des surrealistischen Akts. Sehenlassen resultiert hier aus einem Dividieren des eigenen Orts: Dieser wird von seinem Sinnüberschwang unterschieden und von ihm abgeschieden. In dieser Abgeschiedenheit, in der Einsamkeit dieser Dissidenz, regt sich somit auch die Chance für eine wirkliche Individualität.

72 Der verschobene Blick nimmt Orte in ihren Grenzen auf und ist so ein endlicher und Endliches wahrender. Er sieht den alles überschwingenden homogenisierenden Blick in seiner Orthaftigkeit, seiner Endlichkeit. Er erblickt das Idol in seiner Begrenztheit, er sieht es (schon) sterben. Das Idol hingegen hebt für sich den Tod auf: Es lebt in der Illusion, dass nichts verloren geht. Alles wird durchgekaut, verdaut und wieder ausgespien, bleibt also im Materiellen konstant. Solchem Materialismus gilt das Universale als die Fülle an Sein, und das Nichts ist ihm lediglich eine Variante dieser Fülle, zumeist ihre schlichte Abwesenheit. Diese nur auf Inhalt ausgerichtete Fressgier ist, sofern und solange jedem Inhalt sein Sinn zuerteilt ist, ein Fixiertsein auf Sinn. Das Nichts an Sinn ist zuhöchst aber der Tod, der in der Gewalt seiner puren Realität allen Versuchen, ihn sinnhaft zu fassen, vorweg ist und auch allem Sinnerfassen ein Ende setzen kann. Und er realisiert sich paradoxerweise gerade schon da, wo das Leben ihn durch die Fülle der Dinge, der Zahlen, letztlich der Idole zu negieren sucht. Denn die Negation selbst ist die Art und Weise, wie sich der Tod bereits im Leben Zutritt verschafft.

73 Der monumentale Eindruck sucht dem Verfall des an sich unbeständigen Materials Ton, das als Lehm Leben ist, aufzuhalten und arbeitet damit dem Leben selbst entgegen und dem Tod in die Arme. Tendiert schon das Überziehen des eigenen Orts als eine Verkürzung von Distanzen auf eine Beschränkung des erlebenden Ausgriffs, so bewirkt die Universalisierung als radikalisierte Homogenisierung des Eigenen die größtmögliche Begrenzung. Sie ist der im Leben faktisch gewordene Tod: ein Sterben, bei dem der Sterbende selbst noch eine Weile zusehen kann, ein Vergehen in endloser Reproduktion, das sanft in das Dunkel der Abblende versinkt.

74 Das aus einem Teilen hervorgehende Sehenlassen entdeckt die faktischen Möglichkeitsräume je in sich gründender Orte. Dieses Plurale an Individuellem findet einen Reflex in den fragmentarischen, ‚ungeordneten’ arcimboldesken Gestalten, und beispielsweise nicht in da Vincis Bildern anatomisch geöffneter Leiber und abgetrennter Gliedmaßen. Diese unterstehen einem Zerteilen als Zerstücken und folgen darin dem aufklärerischen Blick eines alles in die Sichtbarkeit zerrenden Willens, der seine eigene Herkunft vergessen hat und seinen eigenen Ort nicht kennt und nur mehr im endlichen Faktum der endlos betriebenen ultimativen Möglichkeit des Verschwindens aller Orte lebt.

75 Von der Imagination zum Ideologem
Leonardo da Vinci: Geöffneter weiblicher Torso

76 Werkstatt Clemente Susini: Sammlung Josephinum Wien
Gaetano Giulio Zumbo: La Vanità della Gloria Umana ( )

77 Werkstatt Clemente Susini: Sammlung Josephinum Wien

78 Gunther von Hagens: Gestalt-Plastinate

79 Indem sich Švankmajers Blick von jeder Gegenschöpfung enthält, bei welcher der aus Lehm erschaffene Mensch sich am Ende zum sich selbst behauptenden Schöpfer aufschwingt, und diese in ihrer ortverneinenden Ortgebundenheit sichtbar macht, lässt er auch diese Differenz zwischen einem ein jedes in sich teilenden und einem alles in einem zumal zerteilenden Blick noch sichtbar werden. Der durch die Verschiebung ermöglichte ‚schiefe’ Blick markiert somit die eigentliche Dimension dieser Hommage à Arcimboldo.

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