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Deutsche Finanzgeschichte

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Präsentation zum Thema: "Deutsche Finanzgeschichte"—  Präsentation transkript:

1 Deutsche Finanzgeschichte
Vorlesungsskript von Dr. Marc Hansmann, Lehrbeauftragter am Institut für Öffentliche Finanzen der Leibniz Universität Hannover im WS 2015/16 Deutsche Finanzgeschichte des 20. Jahrhunderts

2 Übersicht (I): Deutsche Finanzgeschichte des 20. Jahrhunderts
Freitag, , Uhr: Einführung Freitag, , Uhr: Strukturproblem der Staatsverschuldung 14 Freitag, , Uhr: Strukturproblem der Finanzverfassung 26 Freitag, , Uhr: Strukturproblem des Steuerrechts 45 Freitag, , Uhr: Strukturproblem der Finanzverwaltung 59 Freitag, , Uhr: "Fiscal agony" des Kaiserreichs 80 Freitag, , Uhr: Fiskalschock des 1. Weltkriegs 92 Freitag, , Uhr: Zäsur der Weimarer Republik 104 Seite

3 Übersicht (II): Deutsche Finanzgeschichte des 20. Jahrhunderts
Seite Freitag, , Uhr: Brünings Deflationspolitik 119 Freitag, , Uhr: NS-Rüstungskeynesianismus 136 Freitag, , Uhr: Die fetten Jahre der Bonner Republik 152 Freitag, , Uhr: Konjunkturpolitik der 70er Jahre 170 Freitag, , Uhr: Konsolidierungspolitik der 80er Jahre 183 Freitag, , Uhr: Fiskalschock der Deutschen Einheit 196 Freitag, , Uhr: Das Schreiben einer Hausarbeit 220

4 Freitag, , Uhr 1. Einführung

5 1.1 Erkenntnisleitende Fragestellungen
Warum ist die Staatsverschuldung so hoch? 1 Besteht ein Zusammenhang zwischen der hohen Staats- verschuldung und der Steuerpolitik bzw. dem Steuerrecht? 2 Welche Rolle spielt die Finanzverfassung für die Höhe der Staatsverschuldung? 3 Vermag die Public-choice-Theorie die hohe Staats- verschuldung zu erklären? 4

6 1.2 Erklärungsansatz der Finanzgeschichte
Aufzeigen und Analyse empirischer Daten der Geschichte „Die Finanzen sind einer der besten Angriffspunkte der Untersuchung des sozialen Getriebes, besonders, aber nicht ausschließlich, des politischen. Namentlich an jenen Wendepunkten – oder besser Wendeepochen –, in denen Vorhandenes abzusterben und in Neues überzugehen beginnt und die auch stets finanziell Krisen der jeweils alten Methoden sind, zeigt sich die ganze Fruchtbarkeit dieses Gesichtspunkts: Sowohl in der ursächlichen Bedeutung – insofern als staatsfinanzielle Vorgänge ein wichtiges Element des Ursachenkomplexes jeder Veränderung sind – als auch in ihrer symptomatischen Bedeutung – insofern als alles, was geschieht, sich in der Finanzwirtschaft abdrückt.“ Joseph A. Schumpeter 1918

7 1.3 Was spricht gegen eine Staatsverschuldung?
Öffentliche Investitionen sind betriebswirtschaftlich in der Regel nicht rentierlich. Da die kreditfinanzierten Investitionen nicht zu Mehreinnahmen führen, verkleinern Zinsen und Tilgung die finanziellen Spielräume oder müssen mit Abgabenerhöhungen oder weiterer Kreditaufnahme finanziert werden. Crowding-out-Effekte: Verdrängung privater Nachfrage auf dem Geld- und Kapitalmarkt durch steigendes Zinsniveau infolge hoher staatlicher Nachfrage. Wirtschaftswachstum schwächer, wenn Schuldenquote größer als 90 Prozent (These empirisch nicht haltbar)* Intergenerative Gerechtigkeit (kann allerdings auch als Argument für Staatsverschuldung benutzt werden). Inflationsgefahren, wenn Staatsverschuldung zu hoch und über die Notenbank finanziert wird * Siehe Carmen M. Reinhart, Kenneth S. Rogoff, Growth in Time of Debt, Draft vom

8 1.4 Was spricht für Staatsverschuldung?
„Ein Staat ohne Staatsschuld thut entweder zu wenig für seine Zukunft, oder er fordert zu viel von seiner Gegenwart.“ Dieses Zitat wird häufig als Generalrecht-fertigung für die Staatsverschuldung benutzt. Allerdings hat von Stein die „Höhe der Staatsschuld“ von der „Fähigkeit“ des Staats abhängig gemacht, „die Verzinsung der Schulden regelmäßig zu decken“, und zwar durch „Überschüsse“. Wenn Zinsen nur durch neue Kreditaufnahme gedeckt werden könnten, werde das bald „seine Grenzen in sich selbst“ finden. Lorenz von Stein „Lehrbuch der Finanz-wissenschaft“ aus dem Jahr 1860/1878

9 1.5 Währung und Staatsverschuldung
Schuldenquote v.H. NSP/BSP/BIP Mark Reichsmark Deutschmark (DM) Euro bis 1914 Goldstandard Gold-Devisen-Standard ab 1931 Devisen- zwangswirtschaft bis 1971/73 Dollar-Goldstandard, danach Floating Hyperinflation von 1923 Währungsreform von 1948

10 1.6 Größere Handlungsspielräume durch Staatsverschuldung?
Mrd. Euro Quelle: Stefan Bajohr, Grundriss Staatliche Finanzpolitik. Eine praktische Einführung, Wiesbaden 2. Auflage 2007, 211 (Abbildung 24).

11 1.6 Versuche zur Begrenzung der Kreditaufnahme
Höhe der Investitionen = max. erlaubte Höhe der Neuverschuldung (Art. 115 GG) Bis 1969 Kreditaufnahme nur für „außerordentlichen“ Bedarf, insbesondere für „werbende“ Zwecke (rentierliche Investitionen), erlaubt 3. Historische Grundregel des Verbots der Schuldenaufnahme für laufende Ausgaben (nur Kassenkredite zur kurzfristigen Liquiditätssicherung) 4. Euro-Kriterien als Grenze der Kreditaufnahme 5. Fast völliges Verbot struktureller Staatsverschuldung durch die „Schuldenbremse“

12 1.7 Wege aus dem Schuldenstaat
Rechtliche Begrenzungen (u.a. Schuldenbremse) Inflation / finanzielle Repression Staats-bankrott Nachhaltige Finanz-politik + Wirtschafts-wachstum

13 1.8 Weiterführende Literatur zur Einführung in die Finanzgeschichte
Werner Abelshauser, Wege aus der Staatsverschuldung. Eine Skizze, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 98 (3/2011), Marc Hansmann, Vor dem dritten Staatsbankrott? Der deutsche Schuldenstaat in historischer und internationaler Perspektive, München 2. Aufl Friedrich-Wilhelm Henning, Staatsfinanzen in historischer Perspektive, in: Klaus-Dirk Henke (Hg.), Zur Zukunft der Staatsfinanzierung, Baden-Baden 1999, Carmen M. Reinhart, Kenneth S. Rogoff, This Time Is Different. Eight Centuries of Financial Folly, Princeton, Oxford 2009. Hans-Peter Ullmann, Der deutsche Steuerstaat. Eine Geschichte der öffentlichen Finanzen, München 2005. Sammelbände Thorsten Beigel, Georg Eckert (Hg.), Vom Wohl und Wehe der Staatsverschuldung. Erscheinungsformen und Sichtweisen von der Antike bis zur Gegenwart, Münster 2013. Andreas Hedwig (Hg.), Finanzpolitik und Schuldenkrisen Jahrhundert, Marburg 2014. Eckart Schremmer (Hg.), Steuern, Abgaben und Dienste vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Stuttgart 1994. Uwe Schultz (Hg.), Mit dem Zehnten fing es an. Eine Kulturgeschichte der Steuer, München 1986. Währungen und Finanzgeschichte Peter Bernholz, Monetary Regimes and Inflation. History, Economic and Political Relationships, Cheltenham/Northampton 2003. Deutsche Bundesbank (Hg.), Währung und Wirtschaft in Deutschland 1876–1975, Frankfurt a.M Barry Eichengreen, Vom Goldstandard zum Euro. Die Geschichte des internationalen Währungssystems, Berlin 2000. Stefan Homburg, Erinnerungen an die deutschen Währungsreformen, in: ifo Schnelldienst 64 (19/2011),

14 2. Strukturproblem der Staatsverschuldung
Freitag, , Uhr 2. Strukturproblem der Staatsverschuldung

15 2.1 Staatsbankrott als häufiges historisches Phänomen

16 Finanz- und Bankenkrise
2.2 Entwicklung der deutschen Staatsverschuldung im 20. Jahrhundert v.H. NSP/BSP/BIP Finanz- und Bankenkrise Fiskalschock 2. Weltkrieg (Schuldenquote 1944: 400 %) Fiskalschock Deutsche Einheit Fiskalschock 1. Weltkrieg (Schuldenquote 1918: 300 %) Konjunktur- politik 70er Jahre 2. Staats- bankrott 1. Staats- bankrott Als Folge der Finanzierung der beiden Weltkriege und ihrer Folgen sowie des frühen Beginns und des dauernden Aus-baus des Sozialstaats liegt die Staatsquote bei knapp 50 %. Da Steuer- und Abgabenquote deutlich unter der Staats-quote liegen, hat der Staat eine erhebliche jährliche Deckungslücke, die mittels Neuverschuldung geschlossen wird. Quelle: Hansmann (2012), 15, 54; Daten für 2010: BMF-Monatsbericht August 2012, 72 (Tab. 9), 73 (Tab.10) und 80 (Tab. 14).

17 2.3 Entwicklung der amerikanischen Staatsverschuldung seit 1792

18 2.4 Entwicklung der britischen Staatsverschuldung seit 1688
v.H. BIP Quelle: Bis 1970: Albrecht Ritschl, Sustainability of High Public Debt: What the Historical Record Shows, London 1996 (= CEPR Discussion Papers 1357), 21 (Table 1); ab 1980: BMF-Monatsbericht August 2012, 80 (Tab. 14).

19 2.5 Entwicklung der Schulden von Bund, Ländern und Kommunen seit 1950
Mrd. Euro Quelle: Statistisches Bundesamt (Hg.), Finanzen und Steuern, Fachserie 14, Reihe 5: Schulden der öffentlichen Haushalte 2011, Wiesbaden 2012, 22 (Tabelle 1.1.1); Erläuterung: Schulden einschließlich Kassenkredite.

20 2.7 Ursachen der Staatsverschuldung
Kriege Ausweitung der Staatsausgaben, insbes. im Sozialbereich Verfehlte Steuerpolitik (Steuern durch Steuern und Steuersenkungen) Bankenkrisen Fehlanreize im Föderalismus Politikversagen: Budgetmaximierung und Desinteresse an solider Finanzpolitik Anspruchsinflation der Bürger/innen

21 2007 1963 1983 1913 2.8 Entwicklung der Ausgabenstrukturen des Reichs-/Bundeshaushalts im 20. Jahrhundert Quelle: Für das Jahr 1913: Ullmann (2005), 62; für die restlichen Jahre: Bundeshaushalte der entsprechenden Jahre.

22 2.9 Säkulare Tendenzen in der Entwicklung der Ausgabenstrukturen
Die Ausgabenstrukturen des nationalen Haushalts spiegeln drei säkulare Tendenzen wider: 1. Sinkender Anteil der Militärausgaben: Militarisierung bis 1945 und nachfolgende Entmilitarisierung; „Friedendividende nach Ende des Kaltes Krieges“; Ausblick: Zusätzlicher Ausgabenbedarf aufgrund Neuausrichtung der Bundeswehr 2. Deutlicher Anstieg der Renten-, Arbeitsmarkt- und Sozialausgaben: Ausbau des Sozialstaats, den sämtliche Staatsformen (Kaiserreich, Weimarer Republik, NS-Staat, Bonner und Berliner Republik) betrieben haben; Ausblick: Hohes Haushaltsrisiko aufgrund der demographischen und ökonomische Entwicklung 3. Anstieg der Zinsausgaben: Starke Kreditfinanzierung der Ausgaben; Staatsschulden zwei Mal (1923 und 1949) durch Inflation bzw. Währungsreform weitgehend reduziert; Ausblick: Ende der historischen Niedrigzinsphase als Haushaltsrisiko

23 2. 10 Entwicklung der Staats- und Sozialleistungsquote im 20
2.10 Entwicklung der Staats- und Sozialleistungsquote im 20. Jahrhundert v.H. NSP/BSP/BIP Quelle Sozialleistungsquote: Für das Jahr 1913: Johannes Frerich, Martin Frey, Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, Bd. 1: Von der vorindustriellen Zeit bis zum Ende des Dritten Reiches, München, Wien 1993, 175; für die rest- lichen Jahre bis 1950: Heinz Lamper, Jörg Althammer; Lehrbuch der Sozialpolitik, Berlin 8. Aufl. 2007, 510 (Tab ); für die Jahre ab 1960: Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hg.), Sozialbericht 2009, Bonn 2009, Tab. I-1 und 256 (Jahr 2010).

24 2.11 Warum wurde der Sozialstaat in Deutschland so früh und so stark ausgebaut?
Besonderheit der deutschen Geschichte (These von Bernd Weisbrod): Frühe Gründung einer sozialdemokratischen Partei (1863), die seit 1890 stärkste oder zumindest zweitstärkste Partei ist und folgende (finanzpolitische) Ziele der SPD verfolgt: - stark progressive Einkommensteuer als einzige Steuer (explizit gegen Mehrwertsteuer) - weitgehende Umverteilung, insbesondere durch Einkommensteuer und Sozialstaat - einheitliche Lebensverhältnisse und Unitarismus Konservative Reaktion auf den Erfolg der SPD: Frühe Einführung und der Ausbau des Sozialstaats: - Einführung der Renten- und Krankenversicherung durch Bismarck - Einführung der Arbeitslosenversicherung durch eine konservativ geführte Reichsregierung (1927) - Einführung der dynamischen Rente 1957 durch Adenauer und des Kindergeldes durch Erhard (1964) - Einführung der Pflegeversicherung durch Kohl/Blüm - Einführung der preußischen Einkommensteuer durch den Nationalkonservativen Miquel - Durchsetzen einer stark progressiven Einkommensteuer und des Unitarismus durch Erzberger (Zentrum) - Nutzung der Einkommensteuer als Instrument der Umverteilung durch sämtliche Regierungen seit 1919 - Konzeption und Einführung des horizontalen Finanzausgleichs durch den Nationalkonservativen Popitz - Einführung des Verbundsystems durch die Große Koalition im Jahre 1969

25 2.12 Weiterführende Literatur zur Geschichte der Staatsverschuldung
Alberto Alesina, The end of large public debts, in: Francesco Giavazzi, Luigi Spaventa (Hg.), High Public Debt. The Italian Experience, Cambridge 1989, Rolf Caesar, Öffentliche Verschuldung in Deutschland seit der Weltwirtschaftskrise: Wandlungen in Politik und Theorie, in: Dietmar Petzina (Hg.), Probleme der Finanzgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Berlin 1989, 9-55. Carl-Ludwig Holtfrerich, Bewältigung der deutschen Staatsbankrotte 1918 und 1945, in: Erhard Kantzenbach (Hg.), Staatsüberschuldung, Göttingen 1996, Alfred Manes, Staatsbankrotte. Wirtschaftliche und rechtliche Betrachtungen, Berlin 2. Aufl Carmen M. Reinhart, M. Belen Sbrancia, The Liquidation of Government Debt, Cambridge, Mass (= NBER Working Paper 16893). Moritz Schularick, Public Debt and Financial Crises in the Twentieth Century, Berlin 2012 (= Discussion Paper School of Business & Economics Freie Universität Berlin 2012/1). Vito Tanzi, Ludger Schuknecht, Public Spending in the 20th Century. A Global Perspective, Cambridge 2000. Uwe Wagschal, Staatsverschuldung. Ursachen im internationalen Vergleich, Opladen 1996. Michael Waibel, Staateninsolvenzen in historischer Perspektive, in: Georg E. Kodek, August Reinisch (Hg.), Staateninsolvenz, Wien 2011, Grundsätzlich zur Staatsverschuldung Hanno Beck, Aloys Prinz, Staatsverschuldung. Ursachen, Folgen, Auswege, München 2011. Carl-Ludwig Holtfrerich, Lars P. Feld, Werner Heun et al., Staatsschulden, Ursachen, Wirkungen und Grenzen, Berlin 2015. ( Sozialstaat und Staatsverschuldung Hans Günter Hockerts, Der deutsche Sozialstaat. Entfaltung und Gefährdung seit 1945, Göttingen 2011. Gerhard A. Ritter, Der Sozialstaat. Entstehung und Entwicklung im internationalen Vergleich, München 3. Aufl Manfred G. Schmidt, Sozialpolitik in Deutschland. Historische Entwicklung und internationaler Vergleich, Wiesbaden 3. Aufl

26 3. Strukturproblem der Finanzverfassung
Freitag, , Uhr 3. Strukturproblem der Finanzverfassung

27 3.1 Trenn- versus Mischsystem
Trennsystem Verbundsystem Beschreibung Strikte Trennung der Ein-nahmen und Aufgaben der Gebietskörperschaften Beteiligung jeder Gebiets-körperschaften an sämt-lichen Steuern; Misch-finanzierung der Aufgaben Horizontaler Finanzausgleichs nicht vorhanden oder schwach ausgeprägt stark ausgebaut Leitbild Subsidiarität Unitarismus Charakter Wettbewerbsföderalismus Konkordanzföderalismus In der Geschichte des 20. Jahrhunderst gibt es meistens ein Mischsystem, in dem jedoch entweder die Elemente des Trenn- oder des Verbundsystems überwiegt.

28 3.2 Entwicklung des Finanzausgleichs im 20. Jahrhundert
Entwicklung des vertikalen Finanzausgleichs als Ausdruck des traditionell starken Föderalismus - 1871: Gründung des deutschen Nationalstaats als „Bund deutscher Fürsten“ - Trennsystem im Kaiserreich: Reich als Kostgänger der Länder - Miquelsche Finanzreform von 1891/93: Stärkung der Kommunalfinanzen - Zäsur der Erzbergerschen Finanzreform von 1919/20: Entstehung des unitarischen Bundesstaats - „Permanent vorläufiger Finanzausgleich“ in der Weimarer Republik - Ausschaltung der Länder in der NS-Zeit - Alliierten erzwingen 1949 ein Trennsystem, das aber nicht Verfassungswirklichkeit wird - Große Finanzreform von 1969: Verbundsystem/Unitarismus mit Bundesrat als Korrektiv (später als Blockadeinstrument benutzt) Entwicklung des horizontalen Finanzausgleichs mit dem Ziel einheitlicher Lebensverhältnisse - Forderungen bereits im Kaiserreich (insbesondere Finanzausgleich zwischen armen und reichen Städten) - Anfänge in der Weimarer Republik - Gutachten von Popitz, Der künftige Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden (1932) - Ausbau in der Bundesrepublik, insbesondere ab 1969 (Leitbild des kooperativen Föderalismus) - „unsichtbarer“ Finanzausgleich über die Sozialversicherungen In Finanzgeschichte des 20. Jahrhunderts ist das Problem des Finanzausgleichs nie zufriedenstellend gelöst worden.

29 3.3 Kompetenzverteilung auf die Gebietskörperschaften im Kaiserreich
Gesetzgebungshoheit Ertragshoheit Verwaltungshoheit Reich für indirekte Steuern Erhebung von Matrikular-beiträgen, „solange Reichsteuern nicht eingeführt sind“ (Art. 70 der Reichsverfassung; Zusatz 1909 gestrichen) de facto keine Gesetz-gebungshoheit für die Einkommensteuer Erhebung von Matrikular-beiträgen von den Ländern Zolleinnahmen des Reichs durch Franckensteinsche Klausel gekappt keine Länder (= Einzel-staaten) für direkte Steuern (de facto) Zustimmung des Bundes-rates für sämtliche Gesetze erforderlich Basissatz der Einkommen-steuer (in Preußen) Beteiligung an Zollein-nahmen (Francken-steinsche Klausel) Zoll- und Steuerverwaltung bei den Einzelstaaten Kommunen Zuschlagsrecht auf die Einkommensteuer (in Preußen) Realsteuern (in Preußen)

30 3.4 Kompetenzverteilung auf die Gebietskörperschaften in der Weimarer Republik
Gesetzgebungshoheit Ertragshoheit Verwaltungshoheit Reich Gesetzgebungshoheit über Einkommen- und Umsatzsteuer ständige Änderung der Anteile („permanent vorläufiger Finanz-ausgleich“) Reichszoll- und finanzverwaltung Länder Beteiligung über Reichsrat Beteiligung an Einkommen- und Umsatzsteuer (in Form von „Reichsüberweisungs-steuern“) ab 1929 Plafondierung keine Kommunen hohe Beteiligung an Einkommen- und Umsatzsteuer Realsteuern

31 3.5 Kompetenzverteilung auf die Gebietskörperschaften im NS-Staat
Gesetzgebungshoheit Ertragshoheit Verwaltungshoheit Reich Gesetzgebungshoheit über (fast) sämtliche Steuern vollständige Ertragshoheit Reichszoll- und finanzverwaltung Länder keine Mittelzuweisung vom Reich Kommunen Mittelzuweisung vom Reich sowie horizontaler Finanzausgleich Realsteuern

32 3.6 Kompetenzverteilung auf die Gebietskörperschaften in der Bundesrepublik
Gesetzgebungshoheit Ertragshoheit Verwaltungshoheit Bund (konkurrierende) Gesetz-gebungshoheit über Einkommen- und Umsatzsteuer auf Druck der Sieger-mächte: Trennsystem, das sofort durch „Inanspruch-nahmegesetze“ (Beteiligung des Bundes an der Einkommensteuer) durchbrochen wird seit 1969 Verbundsystem Zollverwaltung Länder Zustimmung des Bundesrats in der Regel erforderlich Beteiligung an der Umsatzsteuer seit 1969 Finanzverwaltung Verwaltungsvereinbarung von 1970 zur Zusammenar-beit von Bund und Ländern Kommunen keine Beteiligung an der Einkommensteuer seit 1969 und an der Umsatzsteuer seit 1998 Realsteuern

33 3.7 Ertragshoheit über die Einkommensteuer im 20. Jahrhundert
v.H. Die Ertragshoheit über die Einkommensteuer entwickelt sich im 20. Jahrhundert eindeutig in Richtung der nationalen Ebene, und zwar vor allem auf Kosten der Kommunen. Diese besitzen bis zum Ersten Weltkrieg durch das Zuschlagsrecht den größten Aufkommensanteil und werden in den 50/60er Jahren überhaupt nicht an der Einkommensteuer beteiligt. Quelle: Hansmann (2000), passim.

34 3.8 Ertragshoheit über die Umsatzsteuer im 20. Jahrhundert
v.H. Als indirekte Steuer gehört die Umsatzsteuer traditionell zur nationalen Ebene. Im Rahmen des 1969 eingeführten bzw. ausgebauten Verbundsystems werden die Länder mit zunächst 30 % beteiligt. Seitdem steigt der Länderanteil deutlich an (u.a. 1995/96 wegen der Einbeziehung der neuen Bundesländer in den FAG sowie der Neuregelung des Familienleistungsausgleichs). Quelle: Für die Jahre bis 1969: Hansmann (2000), passim; für die Jahre ab 1970: BMF, Finanzplan des Bundes 2004 bis 2008, 77 (Schaubild 17) und Finanzplan des Bundes 2012 bis 2016, 72 (Schaubild 16) .

35 3.9 Anteil der einzelnen Gebietskörperschaften am gesamten Steueraufkommen
Das Popitzsche Gesetz von der Anziehungskraft des zentralen Etats lässt sich eher bezüglich der Länder- als der Bundeseinnahmen bestätigen. Die Länder weiten ihre Steuereinnahmen 1920/25 und vor allem 1950 auf Kosten der Kommunen aus. Seit 1990 verschieben sich die Gewichte zwischen Bund und Ländern zugunsten der letzteren. Quelle: Für die Jahre bis 1990: Hansmann (2007), 453; für die Jahre ab 2000: BMF, Finanzplan des Bundes 2012 bis 2016, 70 (Schaubild 15) .

36 3.10 Anteil der einzelnen Gebietskörperschaften an den gesamten Staatsausgaben
Auf der Ausgabenseite wird die wichtige Stellung der Kommunen deutlich. Zwar werden sie im Laufe des 20. Jahrhundert zur Gebietskörperschaft mit den geringsten Ausgaben, doch ihr Ausgabenanteil reduziert sich nur um 9 Prozentpunkte (Steueranteil im Vergleich um 24 Prozentpunkte). Quelle: Für die Jahre bis 2000: Hansmann (2007), 454; für das Jahr 2010: BMF-Monatsbericht Dezember 2012, Tab. 7, eigene Berechnung.

37 3.11 Strukturprobleme der Länderfinanzen am Beispiel von Niedersachsen
Keine Einnahmenautonomie Hohe Fixkosten Schlechte Ausgabenqualität Hohes strukturelles Defizit Hoher Schuldenstand (Gefahr der Schuldenfalle)

38 3.12 Steuereinnahmen des Landes Niedersachsen seit 1990
Mit Ausnahme der Grunderwerbsteuer kann das Land seine Einnahmen kaum beeinflussen. Quelle: Niedersächsisches Finanzministerium, Niedersächsische Haushalts- und Finanzpolitik, S. 9.

39 3.13 Ausgabenstruktur des Landes Niedersachsen (Haushalt 2011)
Von den rd. 10 Mrd. € Zuweisungen und Zuschüsse erhalten die Kommunen 6,5 Mrd. €. Quelle: und Niedersächsisches Finanzministerium, Niedersächsische Haushalts- und Finanzpolitik, S. 28, eigene Darstellung.

40 3.14 Anteil der Versorgungs- und Zinsausgaben an den Gesamtausgaben des Landes Niedersachsen
20 % Quelle: Niedersächsisches Finanzministerium, Niedersächsische Haushalts- und Finanzpolitik, S. 29.

41 3.15 Nettokreditaufnahme und Kreditfinanzierungsquote des Landes Niedersachsen seit 1950
Mio. Euro (Nettokreditaufnahme) Prozent (Kreditfinanzierungsquote) Quelle: MF Niedersachsen

42 3.16 Verschuldung des Landes Niedersachsen seit 1990
Quelle:

43 3.17 Summierte Nettokreditaufnahme und Zinsausgaben 2000 bis 2010
Mio. € Die Zinsausgaben übersteigen im Zeitraum von 2000 bis 2010 insgesamt die entsprechende Nettokreditaufnahme. Quelle: Niedersächsisches Finanzministerium, eigene Berechnungen.

44 3.18 Weiterführende Literatur zur Geschichte der Finanzverfassung
Charles B. Blankart, Föderalismus in Deutschland und Europa, Baden-Baden 2007. Marc Hansmann, Kommunalfinanzen im 20. Jahrhundert. Zäsuren und Kontinuitäten: Das Beispiel Hannover, Hannover 2000. Karl-Heinrich Hansmeyer, Manfred Kops, Die wechselnde Bedeutung der Länder in der deutschen Finanzverfassung seit 1871, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 125 (1989), Carsten Hefeker, The agony of central power: Fiscal federalism in the German Reich, in: European Review of Economic History 5 (2001), Jürgen W. Hidien, Der bundesstaatliche Finanzausgleich in Deutschland. Geschichtliche und staatsrechtliche Grundlagen, Habil. Kiel 1998, Baden-Baden 1999. Dietmar Petzina, Veränderte Staatlichkeit und kommunale Handlungsspielräume – historische Erfahrungen in Deutschland im Bereich der Finanzpolitik, in: Dieter Grimm (Hg.), Staatsaufgaben, Baden-Baden 1994, Wolfgang Renzsch, Finanzverfassung und Finanzausgleich. Die Auseinandersetzungen um ihre politische Gestaltung in der Bundesrepublik Deutschland zwischen Währungsreform und deutscher Vereinigung ( ), Habil. Göttingen 1991, Bonn 1991. Peter-Christian Witt, Ders., Finanzen und Politik im Bundesstaat Deutschland , in: Jochen Huhn, Peter-Christian Witt (Hg.), Föderalismus in Deutschland. Traditionen und gegenwärtige Probleme, Baden-Baden 1992,

45 4. Strukturproblem des Steuerrechts
Freitag, , Uhr 4. Strukturproblem des Steuerrechts

46 Domänenstaat Steuerstaat 4.1 Vom Domänen- zum Steuerstaat
Ertragsteuern Einkommensteuer Umsatzsteuer 1650 1700 1750 1800 1850 1900 1950

47 4.2 Liberale versus „linke“ Steuerpolitik
Liberaler Ansatz „Die Untertanen jeden Staates sollten zur Unterstützung der Regierung soweit wie möglich im Verhältnis zu ihren jeweiligen Fähigkeiten beitragen; das heißt im Verhältnis zu den Einkünften, derer sie sich jeweils unter dem Schutz des Staates erfreuen.“ (Adam Smith) „Ich werfe also dem jetzigen Zustande vor, dass er viel zu viel von den direkten Steuern verlangt, zu wenig von den indirekten, und ich strebe danach, direkte Steuern abzuschaffen und [...] durch indirekte Steuern zu ersetzen.“ (Bismarck 1879) Einkommensteuer allenfalls in Form einer „flat tax“ oder eines Stufentarifs „Linker“ Ansatz „Bürger, deren Einkommen das nicht über-steigen, was für ihre elementaren Bedürf-nisse notwendig ist, sollen von Leistungen für öffentlichen Ausgaben freigestellt werden; die anderen sollen diese gemäß ihrem Vermögen ansteigend unterstützen.“ (Maximilien de Robespierre) „Starke Progressivsteuer“ (Karl Marx, Kommunistisches Manifest von 1848) „Eine einzige progressive Einkommensteuer für Staat und Gemeinde, anstatt aller bestehenden, insbesondere der das Volk belastenden indirekten Steuern.“ (Gothaer Programm der SPD von 1875)

48 4.3 Traditionelle Ertragsteuern (z.B. Württemberg 1821)
Liberaler Ansatz, die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger unbedingt zu schützen. Das persönliche Einkommen ist Privatsache. Das schließt Selbstdeklaration und staatliche Überprüfungen aus. Steuerveranlagung daher nur anhand äußerlicher Merkmale, wie z.B. Anzahl der Fenster oder Beschäftigten, die sichtbare Kapitalausstattung, Durchschnitterträge. Anfang des 18. Jh. wird es als gerecht empfunden, dass der derjenige, der schlecht wirtschaftet, genauso viele Steuern (z.B. gemessen anhand eines durchschnittlichen Bodenertrags) zahlt, wie ein „Tüchtiger“. Ideale Umsetzung durch Ertragsteuern = Steuern auf Objekte, also Gebäude, Grund und Boden, Gewerbebetriebe, und zwar in Höhe des im Durchschnitt erzielbaren, geschätzten (Rein-) Ertrags (Rohertrag abzüglich Produktionskosten). Problem der schwierigen Erhebung: umfassendes Kataster für den geschätzten Ertragswert von jedem Gebäude, jeder Parzelle und jedem Gewerbebetrieb nötig einschließlich dessen Pflege. Im Zuge der Industrialisierung steigt der Ertragswert der Betriebe erheblich, ohne dass dies laufend angepasst werden kann: Daher überproportionale Belastung der Landwirtschaft im 19. Jh. und (anfänglich) unintendierte Förderung des Strukturwandels. Keine dynamische Einnahmequelle, da Steuern nicht konjunkturreagibel sind und in Form von Umlagen erhoben werden. Steuern haben eine feste Summe zu bringen, die vom Haushaltsplan bestimmt wird. Diese Summe wird zunächst anteilig verteilt auf die Objektarten (also Gebäude, Grund und Boden, Gewerbebetriebe) und dann gemäß des Katasteranschlags auf das einzelne Objekt verteilt.

49 4.4 Entstehung der Einkommensteuer
Anstelle der gemeindeüblichen durchschnittlich-möglichen Erträge einzelner Objekte soll bei der Einkommensteuer das tatsächlich erzielte gesamte Einkommen einer Person besteuert werden. Die Steuerlast entspricht der Leistungsfähigkeit. Der „Tüchtige“ zahlt also mehr als der „Unfähige“ oder „Faule“. Das „unfundierte“ Einkommen aus Arbeit und Kapital wird erstmals vollständig besteuert. Einkommensteuer ist aufkommensstärker und leichter zu erheben (Selbstdeklaration) als die traditionellen Ertragsteuern. Grundproblem: Wie wird das zu versteuernde Einkommen (Bemessungsgrundlage) definiert? erste moderne deutsche Einkommensteuer in Sachsen 1874/88 Einführung durch Miquel in Preußen 1891 (erst nach Ende der „Ära Bismarck“ möglich) Fortentwicklung durch Erzberger/Popitz (1919/25), u.a. Ergänzung durch Körperschaftsteuer Das preußische Steuergesetz ist bis heute die Grundlage der Einkommenssteuer. Einkommensteuer kann als Mittel zur Umverteilung eingesetzt werden. Daher fordert die SPD eine Einkommensteuer seit ihrer Gründung im Jahre 1863 und herrscht ein hoher Widerstand gegen ihre Einführung in Preußen.

50 4.5 Die Pflicht zur Einkommensteuererklärung
Die Bürger müssen zum ersten Mal in der Geschichte dem Staat ihr vollständiges Einkommen offen legen. Dagegen gibt es erheblichen Widerstand: „Ganz verwerflich als eine Ausgeburt verkehrtester Finanzpolitik ist der sogenannte Fassion. Dieselbe besteht darin, dass der Steuerpflichtige den betreffenden Staatsbeamten sein Einkommen summarisch, am liebsten haarklein darlegt. … Die Methode ist freilich practiziert worden u.a. im Königreich Sachsen. Die Folge ist aber allerwege, dass dem Staat eine schwere Last von Lügen aufgebürdet wird, deren Schuld ganz allein auf ihn fällt. Denn das gestellte Verlangen ist eine Thorheit und ein Rechtsüberschreitung… Die Fanatiker der Fassion, welche Theils pedantische Ausläufer der Bureaukratie theils Kinder eines unreifen Idealismus sind, … diese Fanatiker haben zuweilen terroristische Maßregeln vorgeschlagen, um die Wirksamkeit der Fassion zu sichern, z.B. … inquisitorische Befugnisse der Behörden. Die Folge wird stets sein, dass man vieles Vermögen aus dem Lande scheucht, anderem [Vermögen] Verbergungskünste aufdrängt… Es ist sehr schlimm, wenn es ein Gebiet gibt, wo beinahe jedermann lügt, wo jeder vom anderen weiß, dass er lügt, und doch der Schein der Wahrheit immerfort erheuchelt werden muss. Der Staat hat nach dem Einkommen gar nichts zu fragen.“ Prof. Rößer 1873 in einem Gutachten für den Verein für Socialpolitik

51 4.6 Die erste deutschen Einkommensteuer in Sachsen 1874/78
Hintergrund: Frühe Industrialisierung und Gründung der SPD in Sachsen Selbstangabe des Einkommens auf einem vorgeschriebenen Deklarationsformular erforderlich Tarif setzte mit 1/6 % bei einem Einkommen von 301 Mark ein und endete bei 3 % ab einem Einkommen von über 5400 Mark. Weitgehende Definition des Einkommens: Einkommen sind – ohne Rücksicht auf die Quelle – alle in Geld oder Geldeswert bestehenden Einnahmen, mit Einschluss des Mietwerts der Wohnung im eigenen Haus oder sonstiger freier Wohnung sowie des Werts der verbrauchten Erzeugnisse aus eigener Landwirtschaft und eigenem Gewerbebetrieb. Einführung eines „Verbrauchseinkommens“ (= Verbrauchsaufwand) zur Lösung des Problems, wenn ein hoher Lebensstandard nicht mit dem niedrig deklarierten Einkommen übereinstimmt: „Ist das Einkommen einer Person … geringer als die Summe, welche sie zur Bestreitung des Unterhalts für sich und die von ihr unterhaltenen Personen … aufwendet, so kann diese Summe … als Betrag des Einkommens angenommen werden.“ (§ 15) Die Veranlagung erfolgte durch eine Einschätzungs-kommission mit Fragerecht. Heranziehung der Vorschriften des ab 1869 geltenden Allgemeinen Handelsgesetzbuches (AHGB) zur Lösung des Problems der Bemessungsgrundlage bei der Unternehmensbesteuerung

52 4.7 Das preußische Einkommensteuergesetzes von 1891
synthetische Einkommensteuer vier Einkunftsarten: Einkommen aus „Kapitalvermögen, Grundvermögen, Pachtungen und Miethen, [...] Handel und Gewerbe, Gewinn bringender Arbeit“ steuerfreies Existenzminimum bis zu einem Betrag von 900 Reichsmark für heutige Verhältnisse mäßige, damals aber umstrittene Progression bzw. Degression, fallend von einem Höchstsatz von knapp 4 Prozent für Einkommen über Mark Mindestsatz von durchschnittlich 0,62 Prozent für Einkommen von 901 bis Reichsmark Kinderfreibetrag Abzugsmöglichkeit von Werbungskosten, Schuldzinsen und Abschreibungen sowie Beiträge zu den Sozialversicherungen Einführung der Steuererklärungspflicht (Selbstdeklaration) für alle Einkommen über Mark Abschaffung des unzulänglichen Einschätzungsverfahrens nach äußeren Merkmalen, in dem Steuer-pflichtige grob nach ihrem Besitz bzw. ihrem Beruf in bestimmte Klassen eingeteilt worden waren Wohnortprinzip

53 4.8 Entwicklung der Anteile der Steuern vom Einkommen und Umsatz am Gesamtsteueraufkommen
v.H. Die Bedeutung der Umsatzsteuer nimmt seit ihrer Einführung 1916/18 stetig zu. Der säkulare Trend der Einkommensteuer als mit Abstand aufkommensstärkste Steuer scheint beendet zu sein. Quelle: für die Jahre 1913 bis 1936: Volker Hentschel (1985), 273; für die Jahre ab 1950: nn_4158/DE/Wirtschaft__und__Verwaltung/Steuern/Steuerschaetzung__einnahmen/Steuereinnahmen/ a6002.html, eigene Berechnungen.

54 4.9 Entwicklung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer seit 1913
v.H. Steuersätze der Siegermächte Finanz- reformen Erzberger Eichel Kriegs- zuschläge Popitz Seit 1920 sind die Spitzensteuersätze der Einkommensteuer nominal hoch, jedoch ist die reale Belastung aufgrund der steuerlichen Subventionen/Abzugsmöglichkeiten deutlich niedriger. Quelle: Hansmann (2007), 441.

55 4.10 „Verluderung“ der Bemessungsgrundlage durch Steuerpolitik
Die synthetische Einkommensteuer impliziert, dass alle Einkunftsarten gleich hoch belastet werden. Grundproblem der praktischen Umsetzung ist jedoch die Ermittlung der Bemessungsgrundlage, und zwar insbesondere bei den Unternehmens- und Kapitaleinkünften. Die Möglichkeiten zur Steuergestaltung sind während des gesamten 20. Jh. durch die Politik gezielt vergrößert worden. „Der Finanzminister ist der beste Sozialisierungsminister.“ (Erzberger 1919) Der NS-Staat führte eine Reihe von Steuersubventionen ein, u.a. die Steuerfreiheit für Nachtzuschläge, um die Zustimmung zum Regime zu festigen. In der gesamten Geschichte der Bundesrepublik wurden Anzahl und Umfang der Steuersubventionen erhöht. Der erste Bundesfinanzminister Schäffer machte aus der Not, also den hohen, von den Siegermächten auferlegten Steuersätzen, eine Tugend und förderte massiv die „Selbstfinanzierung“ der Unternehmen. Großzügige Abschreibungsregelungen und niedrige Steuern für einbehaltene Gewinne schufen starke Investitionsanreize. Die Unternehmen wurden letztlich vor die Wahl „Investition oder Finanzamt“ gestellt. „Von diesem Strukturfehler überhöhter Steuersätze und löchriger Bemessungsgrundlagen hat sich das deutsche Steuerrecht bis heute nicht erholt.“ (Paul Kirchhof). Die ab 1967 durchgeführten Versuche, durch Steuern zu steuern, führten zu zusätzlichen Steuersubventionen bzw. Abzugsmöglichkeiten. Die Bemessungsgrundlage „verluderte“ (Klaus Tipke) zunehmend. Sämtliche bereits seit den fünfziger Jahren unternommenen Versuche, diese Entwicklung zu stoppen und das Steuerrecht grundlegend zu reformieren, scheiterten. abnehmende Halbwertszeit der Steuerreformen, zentraler Konflikt im Bundestagswahlkampf 2005

56 4.11 Entwicklung der Lohn- und Unternehmensteuern von 1950 bis 2014
Mrd. €

57 4.12 Vergleich internationaler Steuer- und Abgabenquoten im Jahr 2008
v.H. Quelle: BMF-Monatsbericht Juli 2010, 125 (Tab. 15), 126 (Tab. 16).

58 4.13 Weiterführende Literatur zur Geschichte des Steuerrechts
Peter Bareis, Die Reform der Einkommensteuer vor dem Hintergrund der Tarifentwicklung seit 1934, in: Paul Kirchhof, Wolfgang Jakob, Albert Bermann (Hrsg.), Festschrift für Klaus Offerhaus zum 65. Geburtstag, Köln 1999, S Giacomo Corneo, The Rise and Likely Fall of the German Income Tax, , in: CESifo Economic Studies 51 (2005), Dieter Dziadkowski, 50 Jahre Reformansätze bei der Einkommensteuer. Anmerkungen zu den Reformschritten seit der „Großen Steuerreform 1955“, in: Ifo-Schnelldienst 58 (2005), S Volker Hentschel, Steuersystem und Steuerpolitik in Deutschland , in: Werner Conze, M. Rainer Lepsius (Hg.), Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Beiträge zum Kontinuitätsproblem, Stuttgart, 2. Aufl., 1985, Stefan Homburg, Allgemeine Steuerlehre, München 6. Aufl Paul Kirchhof, Der sanfte Verlust der Freiheit. Für ein neues Steuerrecht – klar, verständlich, gerecht, München, Wien 2004. Fritz Neumark, Der Aufstieg der Einkommensteuer. Entstehung und Entwicklung der direkten Besteuerung, in: Uwe Schultz (Hg.), Mit dem Zehnten fing es an. Eine Kulturgeschichte der Steuer, München 1986, Eckart Schremmer, Einfach und gerecht? Die erste deutsche Einkommensteuer von 1874/78 in Sachsen als Lösung eines Reformstaus in dem frühindustrialisierten Lande, in: Scripta Mercaturae 35/2 (2001), Ders., Warum die württembergischen Ertragsteuern von 1821 und die sächsischen Einkommensteuer von 1874/78 so interessant sind, Stuttgart, Leipzig 2002. Uwe Wagschal, Steuerpolitik und Steuerreformen im internationalen Vergleich. Eine Analyse der Ursachen und Blockaden, Münster 2005 Klaus Tipke, Ein Ende dem Einkommensteuerwirrwarr!? Rechtsreform statt Stimmenfangpolitik, Köln 2006.

59 5. Strukturproblem der Finanzverwaltung
Freitag, , Uhr 5. Strukturproblem der Finanzverwaltung

60 5.1 „Institutions do matter“: Strukturprobleme des Finanzministeriums und ihre Folgen
Eigeninteresse des Finanzministeriums Inhaltliches Interesse des Finanz-ministeriums Strukturprobleme des Finanzministeriums Ausweitung der eigenen Kompe-tenzen (in Form neuer Aufgaben sowie zu Lasten anderer Ressorts und der Länder) Durchsetzen einer soliden Finanzpolitik Perfektionierung der Gesetze (insbe-sondere im Steuer-bereich) Funktionierende Finanzverfassung stete Vergrößerung und Diversifizierung (siehe steigende Anzahl der Abteilungen, Referate, Beschäftigen und Staatssekretäre) extreme Arbeitsteilung und Zuständigkeitsdenken ausgeprägte Hierarchieebenen großer Overhead geringe organisationsübergreifende Zusammenarbeit Orientierung am Detail, kein ganzheitlicher Ansatz Perfektionismus und Regelorientierung, geringe Zielorientierung Problem „Führung und Steuerung“ Prinzipal-Agent-Problem (Max Weber: „Experten-Laien-Dilemma“) „Es bestand und besteht ein krasses Missverständnis zwischen akribischen haushaltspolitischen Bemühungen im Bereich der unmittelbaren Bundesausgaben und einer eher sorglosen Nichtbeachtung der großen Struktur-probleme in der Sozialversicherung.“ (Thilo Sarrazin 1983, S. 382) „... gerade der Perfektionismus des Reichsfinanzministeriums [war in den 20er Jahren, M.H.] eine der wesent-lichen Ursachen für die finanziellen Mißerfolge und die soziale Unausgewogenheit der Steuerpolitik “ (Peter-Christian Witt 1975, S. 69) Darüber hinaus dürfte in der strikten, von Anfang an bestehenden organisatorischen Trennung zwischen Haushalt und Steuern ein weiterer Grund für die Etatprobleme liegen.

61 5.2.1 Entwicklung der Organisation vom Reichsschatzamt zum Bundesfinanzministerium
Reichsfinanzministerium der Provisorischen Zentralgewalt 1848/49 Finanzbüro/Finanzabteilung in der Reichskanzlei Reichsschatzamt Reichsfinanzministerium Gemeinsamer Deutscher Finanzrat Verwaltung für Finanzen (der Bizone) : Reichsschatzministerium (zusätzlich) : Bundesschatzministerium (zusätzlich) (bis 1961: Bundesministerium für den wirtschaftlichen Besitz des Bundes) : Fusion zum Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen Bundesfinanzministerium seit 1949

62 5.2.2 Aufbau und Aufgaben des Reichsschatzamts 1879 und 1912
Reichsschatzamt 1879 (Gründung) Abteilung I Finanzverwaltung (Etat-, Kassen- und Rechnungswesen) Abteilung II Zölle und Steuern Referate Anzahl nicht bekannt Beschäftigte 55 Reichsschatzamt 1912 Abteilung I Etat-, Kassen- und Rechnungswesen Abteilung II Indirekte Steuern und Zölle Abteilung II A Verkehr- und Besitzsteuern Zusätzlich (seit 1908) Volkswirtschaftliches Büro (Kernaufgabe: Presse- und Öffentlichkeitsarbeit) Referate Anzahl nicht bekannt Beschäftigte 95 (im Jahr 1913) Haushalt sowie Steuern und Zölle sind bis heute die Kernaufgaben des Finanzministeriums.

63 5.2.3 Aufbau und Aufgaben des Reichsfinanzministeriums 1919/20 und 1927
Abteilung Z („Zentralbüro“) Personalien des Ministeriums Abteilung I Allgemeines Etat-, Kassen- und Rechnungs- und Besoldungswesen Abteilung I a Haushalt der Verkehrsverwaltungen Abteilung II Zollwesen und Verbrauchsabgaben Abteilung III Besitz- und Verkehrsteuern Abteilung IV Organisation der Reichsfinanzverwaltung und laufende Personalverwaltung Abteilung V Währungs-, Münz- und Bankwesen, An-leihen, Ausführung des Friedensvertrags, finanzielle Beziehungen zum Ausland zusätzlich Ministerbüro und „Nachrichtenstelle“ (= Pressestelle) Referate Anzahl nicht bekannt Beschäftigte 193 (1919), 758 (1920) Reichsfinanzministerium 1927 Abteilung Z Personalien des Ministeriums Abteilung I Haushaltsfragen Abteilung II Zölle und Verbrauchabgaben Abteilung III Besitz- und Verkehrsteuern Abteilung IV Reparationen, Finanzausgleich, Rechtsangelegenheiten Referate 80 Beschäftigte 668 (im Jahr 1929) Zusätzliche Aufgaben seit 1919: 1. Organisation der Reichsfinanzverwaltung 2. Kriegsfolgen/Reparationen 3. Finanzausgleich Seit 1919/20 gibt es zudem eine separate Zentralabteilung, ein Ministerbüro und eine Pressestelle

64 5.2.4 Aufbau und Aufgaben des Reichsfinanzministeriums 1944
Abteilung I Reichshaushalt und Finanzwesen der Gebietskörperschaften Abteilung I A Finanzwesen der Ländern, der Reichsgaue, der Gemeinden und sonstigen Gebietskörperschaften, Reichsreform, Finanzausgleich Abteilung II Zölle und Verbrauchsteuern Abteilung III Besitz- und Verkehrsteuern Abteilung IV Besoldungs-, Beamten- und Versorgungsangelegenheiten, Angestellten- und Arbeiterfragen, Liegenschaften Abteilung V Zwischenstaatliche Finanzfragen, allgemeine Wirtschafts- und Rechtsfragen Abteilung VI Personal und Verwaltung Abteilung VII Reichsbauverwaltung zusätzlich Statistisches Büro (Anfänge einer „Grundsatzabteilung“) Referate 115 Beschäftigte 1.547 (im Jahr 1943) Neue Zuständigkeiten im NS-Staat: 1. Zuständigkeit für Dienst- und Tarifrecht 2. Reichsbauverwaltung 3. Anfänge einer „Grundsatzabteilung“

65 5.2.5 Aufbau und Aufgaben des Bundesfinanzministeriums 1950 und 1960
Abteilung I Organisation, Personalien, Allgemeine Verwaltung, Beamten-, Versorgungs-, Besoldungs- und Tarifrecht Abteilung II Allgemeine Finanzpolitik und öffentliche Finanzwirtschaft (mit Volkswirtschaftlicher Gruppe, Bundeshaushalt, Bundesvermögen, Bund und Länder, Bundesbauangelegenheiten) Abteilung III Zölle und Verbrauchsteuern Abteilung IV Besitz- und Verkehrsteuern Abteilung V Banken, internationale Finanzierungsfragen, Devisen, öffentliches Versicherungswesen Abteilung VI Rechtsangelegenheiten, Liquidation des Krieges Sonderab-teilung Besatzungslastenverwaltung Sondergruppe Lastenausgleich Referate 82 Beschäftigte 780 Bundesfinanzministerium 1960 Abteilung I Organisation und Personalien, Allgemeine Verwaltung Abteilung II Bundeshaushalt Abteilung III Zölle, Verbrauchsteuern, Monopole Abteilung IV Besitz- und Verkehrsteuern Abteilung V Schuldenwesen, allgemeine und interna-tionale Finanzierungsfragen, Finanzbe-ziehungen zu den Ländern, Wirtschafts-förderung, Abteilung VI Liquidation des Krieges, Verteidigungs-lasten, Rechtsangelegenheiten zusätzlich Finanzpolitische und Volkswirtschaftliche Gruppe Referate 101 Beschäftigte 1.278 Zusätzliche Aufgaben seit 1950: 1. Kriegsfolgen und Lastenausgleich 2. Volkswirtschaftliche Gruppe

66 5.2.6 Aufbau und Aufgaben des Bundesfinanzministeriums 1969 und 1970
Abteilung Z Organisation und Personalien, Allgemeine Verwaltung Abteilung I Grundsatzfragen der Finanzpolitik, Finanzbeziehungen zu den Ländern und Gemeinden, Finanzreform Abteilung II Bundeshaushalt Abteilung III Zölle, Verbrauchsteuern, Monopole Abteilung IV Besitz- und Verkehrsteuern Abteilung V Schuldenwesen, allgemeine und internationale Finanzierungsfragen, Wirtschaftsförderung Abteilung VI Liquidation des Krieges, Verteidigungs-lasten, Rechtsangelegenheiten Referate 119 Beschäftigte 1.387 Bundesfinanzministerium 1970 Abteilung Z Organisation und Personalien, Allgemeine Verwaltung Abteilung I Grundsatzfragen der Finanzpolitik, Finanzbeziehungen zu den Ländern und Gemeinden, Finanzreform Abteilung II Bundeshaushalt Abteilung III Zölle, Verbrauchsteuern, Monopole Abteilung IV Besitz- und Verkehrsteuern Abteilung V Schuldenwesen, allgemeine und internationale Finanzierungsfragen, Wirtschaftsförderung Abteilung VI Liquidation des Krieges, Verteidigungs-lasten, Rechtsangelegenheiten Abteilung VII Bauwesen Abteilung VIII Industrielles Bundesvermögen Referate 153 Beschäftigte 1.766 1970: Eingliederung des Schatzministeriums

67 5.2.7 Aufbau und Aufgaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Finanzen 1971
Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen 1971 Abteilung W/Z Zentralabteilung Abteilung F/Z Organisation und Personalien, Allgemeine Verwaltung Abteilung W/E Europaabteilung Abteilung F/I Grundsatzfragen der Finanzpolitik, Finanzbe-ziehungen zu den Ländern und Gemeinden, Finanzreform Abteilung W/I Wirtschaftspolitik Abteilung F/II Bundeshaushalt Abteilung W/II Strukturpolitik für kleine und mittlere Unternehmen, Handwerk Abteilung F/III Zölle, Verbrauchsteuern, Monopole Abteilung W/III Energiepolitik und Grundstoffe Abteilung F/IV Besitz- und Verkehrsteuern Abteilung W/IV Gewerbliche Wirtschaft Abteilung F/V Schuldenwesen, allgemeine und internationale Finanzierungsfragen, Wirtschaftsförderung Abteilung W/V Außenwirtschaft und Entwicklungshilfe Abteilung F/VI Liquidation des Krieges, Verteidigungslasten, Rechtsangelegenheiten Abteilung W/VI Geld und Kredit Abteilung F/VII Bauwesen Abteilung F/VIII Industrielles Bundesvermögen Referate 268 Beschäftigte 3.176

68 5.2.8 Aufbau und Aufgaben des Bundesfinanzministeriums 1989
Abteilung Z Zentralabteilung (Organisation und Personalien, Allgemeine Verwaltung) Abteilung I Grundsatzfragen der Finanzpolitik, finanzpolitische Fragen einzelner Bereiche, industrielles Bundesvermögen Abteilung II Bundeshaushalt Abteilung III Zölle, Verbrauchsteuern, Branntweinmonopol Abteilung IV Besitz- und Verkehrsteuern Abteilung V Finanzbeziehungen zu der EG, den Ländern und Gemeinden, internationale Finanzfragen, Staatsrecht Abteilung VI Rechtsangelegenheiten, Abwicklung der finanziellen Folgen des Krieges, Verteidigungslasten, Bundesliegenschaften Abteilung VII Geld und Kredit Referate 140 Beschäftigte 1.649 Aus der kurzen Episode der Zusammenlegung mit dem Wirtschafts-ministerium bleibt dem BMF die Abteilung „Geld und Kredit“.

69 5.2.9 Aufbau und Aufgaben des Bundesfinanzministeriums 1993
Abteilung Z Zentralabteilung (Organisation und Personalien, Allgemeine Verwaltung) Abteilung I Grundsatzfragen der Finanzpolitik, finanzpolitische Fragen einzelner Bereiche Abteilung II Bundeshaushalt Abteilung III Zölle, Verbrauchsteuern, Branntweinmonopol Abteilung IV Besitz- und Verkehrsteuern Abteilung V Finanzbeziehungen zu den Ländern und Gemeinden, Rechtsangelegenheiten, Abwicklung der finanziellen Folgen des Krieges, offene Vermögensfragen Abteilung VI Liegenschaftsangelegenheiten der ausländischen Streitkräfte, Bundesliegenschaften, bewegliches Bundesvermögen Abteilung VII Geld und Kredit Abteilung VIII Bundesbeteiligungen, Treuhandanstalt Abteilung IX Internationale Währungs- und Finanzbeziehungen, Finanzbeziehungen zu der EU Referate 173 Beschäftigte 2.189 Nach der Deutschen Einheit erhält das BMF die Regelung offener Vermögensfragen sowie die Rechts- und Fachaufsicht über die Treuhandanstalt als zusätzliche Aufgaben. Zudem ist im organisatorischen Aufbau erkennbar, dass insbesondere europäische Themen bedeutsamer werden (Abt. IX).

70 5.2.10 Aufbau und Aufgaben des Bundesfinanzministeriums 2005
Abteilung Z Zentralabteilung (Organisation und Personalien, Allgemeine Verwaltung) Abteilung I Grundsatzfragen der Finanzpolitik, finanzpolitische Fragen einzelner Bereiche, Wirtschaftsförderung Abteilung II Bundeshaushalt Abteilung III Zölle, Verbrauchsteuern, Branntweinmonopol Abteilung IV Besitz- und Verkehrsteuern, Umweltbezogene Steuer- und Abgabenpolitik Abteilung V Finanzbeziehungen zu den Ländern und Gemeinden, Rechtsangelegenheiten, Abwicklung der finanziellen Folgen des Krieges, offene Vermögensfragen Abteilung VII Nationale und internationale Finanzmarkt- und Währungspolitik Abteilung VIII Privatisierungs- und Beteiligungspolitik, Bundesimmobilien, Treuhandnachfolgeaufgaben Abteilung E Europapolitik Referate 153 Beschäftigte 2.050 Auf Druck des neuen Finanzministers Lafontaine übernimmt das BMF 1998 vom Wirtschafts-ministerium die Kompetenz, die deutsche Europapolitik (die gesamte „Nichtaußenpolitik“) zu koordinieren. Jedoch hat sich die Aufbauorganisation (Gliederung in Abteilungen) mit den klassischen Schwerpunkten Haushalt, Steuern und Zölle seit 1879 wenig verändert.

71 5.3.1 Vergrößerung des Apparats: Anzahl der Abteilungen und Referate
Die Verkleinerung des Apparats durch die durchsetzungsstarken Staatsekretäre Popitz ( ) und Hartmann ( ) ist im NS-Staat und den 70er Jahren rückgängig gemacht worden. In absehbarer Zukunft wird das Finanzministerium wieder die Größe von der Zeit vor der Deutschen Einheit erreichen. Analog zu den zunehmenden Aufgaben und der wachsenden Diversifizierung steigt die Anzahl der Referate (= Arbeitseinheiten). Kausalität mit zunehmender Regelungsdichte und die Detailorientierung?

72 5.3.2 Vergrößerung des Apparats: Anzahl der Beschäftigten und (Unter-)Staatssekretäre
Analog zum Anwachsen der Staatsaufgaben bzw. -ausgaben nimmt die Anzahl der Beschäf-tigten im Finanzministerium zu. Allerdings dürfen auch umge-kehrte Kausalitätsbeziehungen vermutet werden. Seit 1968 gibt es die (problema-tische) Trennung zwischen Steuer- und Haushaltsstaatssekretär, was Popitz und Hartmann vorher verhin-dert hatten. Die Trennung besteht auch auf der Ebene der in der ersten Großen Koalition eingeführten Parlamentarischen Staatssekretäre.

73 5.4 Ansatz des Public choice: Finanzministerium und Finanzminister im Interessengeflecht
Machtgruppe Eigeninteresse Inhaltliches Interesse Finanzministerium Ausweitung der eigenen Kompetenzen insbe-sondere durch Vergrößerung des Apparats Durchsetzen einer soliden Finanz-politik; Perfektionierung der Gesetze Finanzminister Machterhalt; Erweiterung der Machtstellung gegenüber Fachressorts und Parlament Durchsetzen einer soliden Finanz-politik Parteien und Fraktionen Machterhalt durch Stimmenmaximierung; Erweiterung der Machtstellung im Parlament; Kampf für Rechte der Legislative Erreichen der politischen Ziele Kanzler Machterhalt durch Stimmenmaximierung; Sicherung der Machtstellung in der Regierung und im Parlament Reibungsloses Funktionieren der Regierung; Erreichen der politischen Ziele Fachressorts Machterhalt; Erweiterung der Machtstellung Erreichen der fachlichen Ziele Länder Machterhalt im eigenen Land; Erweiterung der Machtstellung auf der nationalen Ebene Sonstige Machtgruppen (Verbände/Tarifparteien) Rechtfertigung ihres Daseins durch effektive Klientelpolitik Subventionierung ihrer jeweiligen Klientel Mit Ausnahme des Finanzministers und der Finanzverwaltung haben sämtliche Machtgruppen allenfalls ein partielles Interesse an einer soliden Finanzpolitik.

74 Stellung des Finanzministers
5.5 Stellung des Finanzministers als weiteres Strukturproblem der Organisation gegenüber Politik (Parteien und Parlament/ Fraktionen) gegenüber anderen Ressorts bzw. innerhalb der Regierung Stellung des Finanzministers gegenüber den Ländern gegenüber Interessenvertretungen und Verbänden (schwer messbar, daher im folgenden nicht analysiert) Wenn nur der Finanzminister ein genuines Interesse an einer soliden Finanzpolitik hat, ist für die Durchsetzung dieses Interesses entscheidend, wie stark seine Stellung gegenüber den anderen Machtgruppen ist. Diese Stellung wird für die einzelnen Zeitphasen nachfolgend aufgezeigt.

75 5.6 Stellung des Finanzministers von 1879 bis 1918
Zeit Stellung gegenüber anderen Ressorts bzw. innerhalb der Regierung Stellung gegenüber Politik (Parteien und Parlament/ Fraktionen) Stellung gegenüber den Ländern Schwach Keine Kontrolle über Militärhaushalt Schwache Position bei Haushaltsaufstellung gegenüber Ressorts und Bundesrat Keine Minister- bzw. Ressortstellung (zumindest de jure) Keine parteipolitische Bindung Prekäre Mehrheiten der Reichsregierungen im Parlament (keine sichere Budgetmehrheit) Budgetrecht des Parlaments als Instrument der innenpolitischen Auseinandersetzung Insbesondere wenn nicht gleichzeitig preußischer Staatsminister De facto nur schwache Gesetzgebungskompetenz, da starke Stellung des Bundesrates mit einem dominierenden Preußen Zoll- und Steuerverwaltung bei Ländern

76 5.7 Stellung des Finanzministers von 1919 bis 1945
Zeit Stellung gegenüber anderen Ressorts bzw. innerhalb der Regierung Stellung gegenüber Politik (Parteien und Parlament/ Fraktionen) Stellung gegenüber den Ländern Stark (zumindest de jure) Starke Position bei Haushaltsaufstellung Starke Position durch Reichshaushaltsordnung vom Schaffung von General-referenten für den Haushalt in den Ressorts (heute Be-auftragte für den Haushalt) Aber: De facto abhängig von der Unterstützung durch den Reichskanzler Mittel Minister- bzw. Ressortstellung In der Regel parteipolitische Bindung Prekäre Mehrheiten der Reichsregierung im Parlament (keine sichere Budgetmehrheit) Sehr stark Umfassende (Steuer-) Gesetzgebungskompetenz Reichszoll- und steuerverwaltung Durchweg konstruktives Verhalten Preußens Sehr schwach Finanzierung der Aufrüstung außerhalb des Haushalts Weitgehender Funktions-verlust der Ministerien Schwache Stellung innerhalb der NS-Polykratie Nicht definierbar Völliger Funktionsverlust der Länder

77 5.8 Stellung des Finanzministers von 1949 bis 2000
Zeit Stellung gegenüber anderen Ressorts bzw. innerhalb der Regierung Stellung gegenüber Politik (Parteien und Parlament/ Fraktionen) Stellung gegenüber den Ländern Stark (zumindest de jure) Starke Position bei Haushaltsaufstellung Ausgabenbewilligungsrecht nach Art. 112 GG Aber: De facto abhängig von der Unterstützung durch den Bundeskanzler Stark Minister- bzw. Ressortstellung Starke parteipolitische Bindung Stabile Mehrheiten der Bundesregierung im Parlament (sichere Budgetmehrheit) Aber: Häufig Ansehens- und damit Machtverlust im Laufe der Amtszeit Mittel Umfassende (Steuer-) Gesetzgebungskompetenz, aber Zustimmung des Bundesrats erforderlich Verhalten des Bundesrates zunehmend parteipolitisch geprägt Bundeszollverwaltung Steuerverwaltung der Länder

78 5.9 „Schwäche des Finanzministers“
„In der Schwäche des Reichsfinanzministers spiegelte sich also nur die Führungsschwäche der gesamten Regierung wieder, die außerstande war, die Leistungserwartungen der Bürger nach Prioritäten zu ordnen bzw. Kompromisse darüber zu schließen, welche dieser Leistungserwartungen sofort, welche später und welche angesichts der Finanzlage des Reiches überhaupt nicht befriedigt werden konnten, und daher lieben allen Ansprüchen – und damit letzten Endes auch kaum einem der berechtigten – entsprechen wollte. Manches spricht dafür, daß dieses Verhalten als typisch für eine Regierung angesehen wurde, die von einer prinzipiell reformwilligen Partei, der Sozialdemokratie, geführt wurde, die aber über ihren Reformwillen das Augenmaß für das Machbare, für die finanzielle Leistungsfähigkeit der öffentlichen Hände verloren hatte. Man meinte, daß sich diese Führungsschwäche der Regierung – denn um nichts anderes handelte es sich ja – aber beheben lassen würde, wenn wieder eine Parteienkoalition mit stärker konservativem Interessenhintergrund die Regierung übernahm. Genau diese Annahme erwies sich aber als Irrtum...“ Peter-Christian Witt 1975, S. 34f. Die Stellung des Finanzministers gegenüber den verschiedenen Machtgruppen ist in den einzelnen Phasen der Finanzgeschichte in der Regel zu schwach gewesen, um den Schuldenanstieg wirkungsvoll zu begrenzen.

79 5.10 Weiterführende Literatur zur Geschichte der Finanzverwaltung
Bundesministerium der Finanzen (Hg.), Von der Reichsschatzkammer zum Bundesfinanzministerium. Geschichte, Leistungen und Aufgaben eines zentralen Staatsorgans, mit einem Geleitwort von Franz Josef Strauß, Bonn 1969. Dass. (Hg.), 40 Jahre Verantwortung für die Finanzen des Bundes. Das Bundesministerium der Finanzen. Geschichte, Aufgaben, Leistungen, München 1989. Marc Hansmann, Management und Controlling in der Ministerialverwaltung, Sternenfels u.a Kurt Bienert, Rolf Caesar, Karl-Heinrich Hansmeyer, Das Ausgabenbewilligungsrecht des Bundesfinanzministers nach Art. 112 GG. Historische Entwicklung, praktische Handhabung und finanzwirtschaftliche Bedeutung, Berlin 1982. Stefan Mehl, Das Reichsfinanzministerium und die Verfolgung der deutschen Juden , Berlin 1990 (= Berliner Arbeitshefte und Berichte zur sozialwissenschaftlichen Forschung Nr. 38). Peter-Christian Witt, Reichsfinanzminister und Reichsfinanzverwaltung. Zum Problem des Verhältnisses von politischer Führung und bürokratischer Herrschaft in den Anfangsjahren der Weimarer Republik (1918/ ), in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 25 (1975), 1-61.

80 6. "Fiscal agony" des Kaiserreichs
Freitag, , Uhr 6. "Fiscal agony" des Kaiserreichs

81 6.1 Das Reich als „lästiger Kostgänger der Einzelstaaten“ (Bismarck)
Gesetzgebungshoheit Ertragshoheit Verwaltungshoheit Reich (1871 gegründet als „Bund deutscher Fürsten“) für indirekte Steuern Erhebung von Matrikular-beiträgen, „solange Reichsteuern nicht eingeführt sind“ (Art. 70 der Reichsverfassung; Zusatz 1909 gestrichen) de facto keine Gesetz-gebungshoheit für die Einkommensteuer abhängig von Matrikular-beiträgen der Länder, also Kostgängergängersituation Zolleinnahmen des Reichs durch Franckensteinsche Klausel von 1879 gekappt (übersteigen die jährlichen Einnahmen des Reiches aus den Zöllen und der Tabaksteuer 130 Mio. RM, ist der Überschuss an die Länder abzuführen) keine Länder (= Einzel-staaten) für direkte Steuern (de facto) Zustimmung des Bundes-rates für sämtliche Gesetze erforderlich Basissatz der Einkommen-steuer (in Preußen) Beteiligung an Zollein-nahmen ( ) Zoll- und Steuerverwaltung bei den Einzelstaaten Kommunen Zuschlagsrecht auf die Einkommensteuer Realsteuern

82 6.2 Problem der steigenden Verschuldung des Kaiserreichs
Mio. Mark Wermuth Sydow Stengel Thielmann Quelle: Peter-Christian Witt (1970), 386.

83 6.3 Versuche zur Finanzreform/Erschließung neuer Einnahmen 1900-1909
Name und Amtszeit Ergebnisse Max Freiherr von Thielmann ( ) 2. Flottengesetz von 1900 Einführung einer Schaumweinsteuer im Jahre 1902 neuer Zolltarif von 1902 (Lex Trimborn: Mehreinnahmen aus den landwirtschaftlichen Zöllen fließen für Witwen- und Waisenversicherung) Scheitern des Reichswirtschaftsgesetzes von 1902 („Reichshaushaltsordnung“) Reichshaushalt defizitär Herrmann Freiherr von Stengel ( ) Lex Stengel von 1904: Vereinfachung des Finanzausgleichs zwischen Reich und den Einzelstaaten (Abschaffung der Franckensteinschen Klausel) Scheitern der Versuche, eine bessere Planung und Kontrolle des Reichshaushalts gegenüber den Ressorts und den Einzelstaaten durchzusetzen Finanzreform von 1905/06: Erhöhung zahlreicher Steuern und Einführung erster direkter Steuern für das Reich (Tantiemesteuer und Erbanfallsteuer) Rücktritt wegen schwieriger Haushaltslage Reinhold Sydow ( ) Große Finanzreform von 1908/09: Steuererhöhung und Einführung einer „Talonsteuer“ auf Dividenden und Zinsen sowie Erhöhung des Reichsanteils an der Erbschaftsteuer zusammen mit Reichskanzler Bülow Rücktritt wegen der aus ihrer Sicht gescheiterten Finanzreform

84 6.4 Versuche zur Finanzreform/Erschließung neuer Einnahmen 1909-1913
Name und Amtszeit Ergebnisse Adolf Wermuth ( ) Haushaltskonsolidierung von 1909 bis 1911 durch Deckelung der Militärausgaben Scheitern des Reichshaushaltsgesetzes Rücktritt wegen unzureichender Deckung der Flotten- und Heeresvorlage von 1912 Hermann Kühn ( ) „Militarisierung der Reichsfinanzpolitik“ (Peter-Christian Witt) Erhebung einer einmaligen Vermögensabgabe („Wehrbeitrag“) im Jahre 1913 Einführung einer Vermögenszuwachsteuer 1913

85 6.5 Schwache Stellung des Staatssekretärs im Reichschatzamt
Zeit Stellung gegenüber anderen Ressorts bzw. innerhalb der Regierung Stellung gegenüber Politik (Parteien und Parlament/ Fraktionen) Stellung gegenüber den Ländern Schwach Keine Kontrolle über Militärhaushalt Schwache Position bei Haushaltsaufstellung gegenüber Ressorts und Bundesrat Keine Minister- bzw. Ressortstellung (zumindest de jure) Keine parteipolitische Bindung Prekäre Mehrheiten der Reichsregierungen im Parlament (keine sichere Budgetmehrheit) Budgetrecht des Parlaments als Instrument der innenpolitischen Auseinandersetzung Insbesondere wenn nicht gleichzeitig preußischer Staatsminister De facto nur schwache Gesetzgebungskompetenz, da starke Stellung des Bundesrates mit einem dominierenden Preußen Zoll- und Steuerverwaltung bei Ländern

86 Verfassungspolitik/Parlamentarisierung
6.6 Political economy des Kaiserreichs: Fiscal agony Verfassungspolitik/Parlamentarisierung Reichstagsmehrheit kämpft um das Budgetrecht und für direkte Steuern Parteipolitik erstarkende SPD und sich abzeichnende „Weimarer Koalition“ gegen schwächer werdende Regierungsfraktionen Reich/Länder Reich als Kost- gänger der Länder; Finanzausgleich als Machtkampf Finanzpolitik als Instrument der Machtpolitik Exekutive zunehmende Abhängigkeit der Reichsregierung vom Reichstag; schwache Stellung des Finanzstaatssekretärs in der Regierung Blockade der Reichsfinanzen durch den starken Föderalismus und den Kampf um Parlamentarisierung/Demokratisierung

87 6. 7 Johannes von Miquel: Bedeutendster Finanzminister des 19
6.7 Johannes von Miquel: Bedeutendster Finanzminister des 19. Jahrhunderts Johannes von Miquel (preußischer Finanzminister ) Leistungen Miquelsche Finanzreform von 1891/93 Einführung der Einkommensteuer in Preußen Stärkung der Kommunalfinanzen (3-Säulen-Modell: Gewerbesteuer, Grundsteuer und Einkommensteuerzuschlag), die den Aufbau der kommunalen Leistungsverwaltung und Infrastruktur ermöglicht Weiterführende Literatur: Thorsten Kassner, Der Steuerreformer Johannes von Miquel. Leben und Werk. Zum 100. Geburtstag des preußischen Finanzministers. Ein Beitrag zur Entwicklung des Steuerrechts, Osnabrück 2001.

88 6.8 Die starke Stellung der Kommunen im Kaiserreich
Hohe Einnahmen durch Miquelsche Finanzreform von 1891/93 und durch die Gewinne der Kommunal-unternehmen Forderungen zum horizontalen Finanzausgleich zwischen armen und reichen Städten (insbesondere zur Verteilung der Schullasten) „Alles bar bezahlt, Majestät!“ Stadtdirektor Tramm zu Kaiser Wilhelm II. bei der Einweihung des Neuen Rathauses im Jahre 1913

89 6.9 Quelle: „Gesetz der wachsenden Ausdehnung der Staatsthätigkeit“
„Wir bedürfen einer gesicherten Rechtsordnung im Innern und nach Aussen. … Wir bedürfen nicht minder zahlloser fördernder öffentlicher Thätigkeiten im Interesse der Volkswirthschaft und Cultur. Die Privatthätigkeit reicht auch hier immer weniger aus. … Ich erinnere nur an drei grosse Gebiete, die gegenwärtig in unseren Culturstaaten überall im Vordergrund stehen: an das Unterrichtswesen mit seinen immer grösseren und feineren Bedürfnissen, an das Verkehrswesen, die Wege und Verkehrsanstalten, Post, Telegraphen, Eisenbahnen usw., und an speciell städtische Bedürfnisse, der Reinlichkeit, Gesundheitspflege, Bequemlichkeit, der Versorgung mit Lebensmitteln usw., daher Anstalten der Wasserleitung, Canalisirung, Gasbeleuchtung - vielleicht bald electrische Beleuchtung -, öffentliche Gärten, Markthallen, Viehhöfe usw. Ueberall hat hier bereits und wird immer mehr die öffentliche Thätigkeit des Staats, Kreises, der Gemeinde Platz greifen, - was nichts anderes heisst, als Steigerung der Gemeinwirthschaft, mithin des Finanzbedarfs, wobei man freilich öfters die speciellen Nutzniesser zu Kostenbeiträgen heranziehen kann und soll.“ Adolph Wagner, Ueber die schwebenden deutschen Finanzfragen, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 35 (1879),

90 6.10 Quelle: Sociale Frage und Steuerreform
„Dem Reiche aber, dem Hort und Schutz der Nation, welches nach Innen und Aussen den Vermögenserwerb sichert, würde in einer solchen Erbschaftssteuer eine angemessene Gabe zu Theil werden. Es ist auch politisch nicht richtig, den Hauptaufwand des Reichs, denjenigen für die Kriegsmacht, allein durch Verbrauchssteuern zu decken, welche doch zumeist von der Masse des Volkes getragen werden. Eine solche Erbschaftssteuer, welche die besitzenden Classen für diesen Aufwand mit heran zieht, würde der Polemik gegen Militarismus und Steuerdruck der unteren Stände eine Waffe entziehen. So in grossen Zügen, denke ich mir eine tiefergreifende Steuerreform, welche neben den finanziellen namentlich die politischen und socialen Momente gebührend berücksichtigt. So denke ich mir eine „Lösung der schwebenden deutschen Finanzfragen“. Opfer werden uns Allen zugemuthet. Das ist unvermeidlich. Worauf es aber ankommt, das ist, die Opfer soweit es uns möglich, gleichmässig zu vertheilen. Dazu müssen auch die wohlhabenden, die gebildeten Classen mitwirken. Die Zeit ist ernst, hüten wir uns vor Allem, was den ärmeren Classen einen mehr oder weniger begründeten Vorwand geben kann, über Verletzung der Gerechtigkeit zu klagen. Justititia regnorum fundamentum, das sei auch in der Steuerpolitik unsere Parole.“ Adolph Wagner, Ueber die schwebenden deutschen Finanzfragen, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 35 (1879),

91 6.11 Weiterführende Literatur zur Finanzgeschichte des Kaiserreichs
Julia Cholet, Der Etat des Deutschen Reiches in der Bismarckzeit, Berlin 2012. Wilhelm Gerloff, Die Finanz- und Zollpolitik des Deutschen Reiches nebst ihren Beziehungen zu Landes- und Gemeindefinanzen von der Gründung des Norddeutschen Bundes bis zur Gegenwart, Jena 1913. Mark Hallerberg, The political economy of taxation in Prussia, , in: Jahrbuch für Wirtschafts-geschichte 2002/2, Carsten Hefeker, The agony of central power: Fiscal federalism in the German Reich, in: European Review of Economic History 5 (2001), Rudolf Kroboth, Die Finanzpolitik des Deutschen Reiches während der Reichskanzlerschaft Bethmann Hollwegs und die Geld- und Kapitalmarktverhältnisse ( /14), Frankfurt a.M. u.a Jürgen Baron Kruedener, The Franckenstein Paradox in the Intergovernmental Fiscal Relations of Imperial Germany, in: Peter-Christian Witt (Hg.), Wealth and Taxation in Central Europe. The History and Sociology of Public Finance, Leamington Spa u.a. 1987, Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte , Bd. II: Machtstaat vor der Demokratie, München 1992. Eckart Schremmer, Steuern und Staatsfinanzen während der Industrialisierung Europas. England, Frankreich, Preußen und das Deutsche Reich 1800 bis 1914, Berlin u.a Mark Spoerer, Steuerlast, Steuerinzidenz und Steuerwettbewerb. Verteilungswirkungen der Besteuerung in Preußen und Württemberg ( ), Berlin 2004. Ders., The Evolution of Public Finances in Nineteenth-Century Germany, in: José Luís Cardoso, Pedro Lains (Hg.), Paying for the Liberal State. The Rise of Public Finance in Nineteenth Century Europe, Cambridge u.a. 2010, Hans-Peter Ullmann, Das Deutsche Kaiserreich , Frankfurt a.M Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3: , München 1995. Peter-Christian Witt, Die Finanzpolitik des Deutschen Reiches von 1903 bis Eine Studie zur Innenpolitik de Wilhelminischen Deutschland, Lübeck, Hamburg 1970.

92 7. Fiskalschock des Ersten Weltkriegs
Freitag, , Uhr 7. Fiskalschock des Ersten Weltkriegs

93 7.1 Die Kriegsschuldfrage
Ansicht des britischen Premiers David Lloyd George, die Völker Europas seien „in den Weltkrieg hineingeschlittert“. In den 1960er-Jahren stellte der Hamburger Historiker Fritz Fischer dieses Geschichtsbild in Frage. Er löste einen ersten, jahrelangen Historikerstreit aus, vor allem mit seinem Buch „Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18“. Er vertrat die These, Deutschland habe bewusst auf einen Krieg hingearbeitet und die eigene Überlegenheit genutzt, bevor der Gegner mächtiger würde. Mittlerweile hat sich eine vermittelnde Position durchgesetzt: Die deutsche Führung strebte nicht nach der Weltmacht, kalkulierte aber einen großen Krieg ein. These von Niall Ferguson (1994): Reich drohte aufgrund seiner chronischen Unter-finanzierung den Rüstungswettlauf zu verlieren und forcierte daher den 1. Weltkrieg.

94 7.2 Finanzpolitische Belege für eine aggressives Kaiserreich?
Großbritannien, Frankreich und Russland geben für die Aufrüstung 1913 prozentual weniger im jeweiligen nationalen Haushalt aus. Ist das ein Beleg für ein besonders aggressives Kaiserreich? Ausgabenstruktur des Reichshaushalts im Jahre 1913

95 Anteil der Rüstungsausgaben am NSP im Jahr 1914
7.3 Finanzpolitische Mobilmachung der europäischen Mächte Anteil der Rüstungsausgaben am NSP im Jahr 1914 Deutsches Reich 3,9 % Großbritannien 3,2 % Frankreich 4,8 % Russland 5,1 % Österreich-Ungarn 2,0 % Italien Quelle: Niall Ferguson (2002), 145. Es werden oftmals nur der Anteil der Kriegsausgaben am nationalen Haushalt oder die Steuer-/Ausgabenquote der nationalen Ebene angegeben. Aufgrund der föderalen Struktur erscheint dann das Kaiserreich als militarisierter und unseriöser in seiner Finanzpolitik als die anderen europäischen Staaten.

96 7.4 Finanzpolitik im 1. Weltkrieg
Name und Amtszeit Maßnahmen Hermann Kühn ( ) „Militarisierung der Reichsfinanzpolitik“ (Peter-Christian Witt) Erhebung einer einmaligen Vermögensabgabe („Wehrbeitrag“) im Jahre 1913 Einführung einer Vermögenszuwachsteuer 1913 Karl Helfferich ( ) Finanzierung des Kriegs weitgehend über Anleihen 1. Kriegsteuerreform von 1916 Einführung einer Kriegsgewinnabgabe Einführung einer allgemeinen Umsatzsteuer als Stempelsteuer in Höhe von einem Prozent auf Zahlungen für Warenlieferungen erbitterte Auseinandersetzung mit Erzberger/dem Reichstag und Rücktritt Siegfried Graf von Roedern ( ) 2. und 3. Kriegsteuerreform von 1917 und 1918 weitere Kriegsgewinnabgabe Ersatz der Stempelsteuer durch eine Bruttoallphasenumsatzsteuer in Höhe von 0,5 Prozent im Jahre 1918 Eugen Schiffer ( ) Erarbeitung eines umfassenden Finanzprogramms

97 7.5 Entwicklung des ordentlichen Reichshaushalts 1914-1919
Mio. Mark Quelle: Konrad Roesler (1967), 196 (Übersicht 2) und 197 (Übersicht 3).

98 7.6 Entwicklung des außerordentlichen Reichshaushalts 1914-1919
Mio. Mark Quelle: Konrad Roesler (1967), 199 (Übersicht 5).

99 Nennbetrag der Zeichnung Ausstehende Schatzanweisungen
7.7 Die „finanzielle Wehrpflicht“ (Helfferich) Kriegsanleihe Nennbetrag der Zeichnung Ausstehende Schatzanweisungen Saldo I. Sept. 1914 4.460 2.632 +1.832 II. März 1915 9.060 7.209 +1.851 III. Sept. 1915 12.101 9.691 +2.410 IV. März 1916 10.712 10.388 +324 V. Sept. 1916 10.652 12.766 -2.114 VI. März 1917 13.122 14.855 -1.733 VII. Sept. 1917 12.626 27.204 VIII. März 1918 15.001 38.971 IX. Sept. 1918 10.443 49.414 Erläuterung: jeweils in Mio. Mark Quelle: Konrad Roesler (1967), 79. Roesler bezieht sich auf die Angaben von Helfferich.

100 7.8 Entwicklung der schwebenden Schuld im 1. Weltkrieg
Mrd. Mark Quelle: Carl-Ludwig Holtfrerich, Die deutsche Inflation Ursachen und Folgen in internationaler Perspektive, Berlin, New York 1980, 65.

101 Verfassungspolitik/Parlamentarisierung
7.9 Political economy des 1. Weltkriegs Verfassungspolitik/Parlamentarisierung Reichsregierung wird immer abhängiger vom Parlament, Kreditbewilligung als Druckmittel Parteipolitik nach Burgfrieden formt sich eine Große Koalition, die auf Frieden und Reformen drängt; Radikalisierung an den Rändern Reich/Länder Konflikt tritt in den Hintergrund Finanzpolitik als Instrument der Machtpolitik Exekutive zunehmend schwächer werdende Stellung der Reichsregierung; de facto-Militärdiktatur von Ludendorff und Hindenburg Reichsregierung verliert völlig die Kontrolle über die Finanzpolitik.

102 7.10 Quelle: Rede von Staatssekretär Helfferich im August 1915
„Wir wollen während des Krieges die gewaltigen Lasten, die unser Volk trägt, nicht durch Steuern erhöhen, solange hierfür keine zwingende Notwendigkeit vorliegt. Meine Herren, wie die Dinge liegen, bleibt also vorläufig nur der Weg, die endgültige Regelung der Kriegskosten durch das Mittel des Kredits auf die Zukunft zu verschieben, auf den Friedensschluss und auf die Friedenszeit. Und dabei möchte ich auch heute wieder betonen: Wenn Gott uns den Sieg verleiht und damit die Möglichkeit, den Frieden nach unseren Bedürfnissen und nach unseren Lebensnotwendigkeiten zu gestalten, dann wollen und dürfen wir neben allem anderen auch die Kostenfrage nicht vergessen;“ (lebhafte Zustimmung) „das sind wir der Zukunft unseres Volkes schuldig. Die ganze künftige Lebenshaltung unseres Volkes muss, soweit es irgend möglich ist, von der ungeheuren Bürde befreit bleiben und entlastet werden, die der Krieg anwachsen lässt. Das Bleigewicht der Milliarden haben die Anstifter dieses Krieges verdient; sie mögen es durch die Jahrzehnte schleppen, nicht wir.“ Karl Helfferich in seiner Reichstagsrede am 20. August 1915

103 7.11 Weiterführende Literatur zur Finanzgeschichte des 1. Weltkriegs
Theodore Balderston, War finance and inflation in Britain and Germany, , in: Economic History Review 42 (1989), C. Edmund Clingan, Finance from Kaiser to Führer. Budget politics in Germany , Westport (Connecticut) und London 2001. Niall Ferguson, Public finance and national security: The domestic origins of the First World War revisited, in: Past and Present 142 (1994), Ders., Der falsche Krieg. Der Erste Weltkrieg und das 20. Jahrhundert, München, 2. Aufl., 2002. Carl-Ludwig Holtfrerich, Bewältigung der deutschen Staatsbankrotte 1918 und 1945, in: Erhard Kantzenbach (Hg.), Staatsüberschuldung, Göttingen 1996, Wolfgang J. Mommsen, Die Urkatastrophe Deutschlands. Der Erste Weltkrieg , Stuttgart 2002 (= Gebhardt Handbuch der deutschen Geschichte, 10. Aufl., Bd. 17). Konrad Roesler, Die Finanzpolitik des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg. Berlin 1967. Hew Strachan, Financing The First World War, New York 2004 (ND 2007). Manfred Zeidler, Die deutsche Kriegsfinanzierung 1914 bis 1918 und ihre Folgen, in: Wolfgang Michalka (Hg.), Der Erste Weltkrieg. Wirkung, Wahrnehmung, Analyse, München, Zürich 1994,

104 8. Zäsur der Weimarer Republik
Freitag, , Uhr 8. Zäsur der Weimarer Republik

105 Dollarnotierung von 1914 bis 1923
8.1 Staatsbankrott als Resultat der Finanzierung des 1. Weltkriegs Dollarnotierung von 1914 bis 1923 Juli 1914 Januar 1919 Juli Januar Juli Januar Juli Januar Juli Januar Juli August September Oktober November 1923 4,2 Mark 8,9 Mark 14,0 Mark 64,8 Mark 39,5 Mark 64,9 Mark 76,7 Mark 191,8 Mark 493,2 Mark ,0 Mark ,0 Mark ,0 Mark ,0 Mark ,0 Mark ,0 Mark Während anfänglich die Inflation die Finanzierung der zusätzlichen staatlichen Aufgaben erleichtert, kommt es mit der Hyperinflation zum 1. Staatsbankrott. Infolge der Verwüstung des Kapitalmarktes ist das Zinsniveau nach-folgend sehr hoch und die öffentliche Hand hat insbesondere während der Weltwirtschaftskrise Schwierigkeiten, überhaupt an Kredite zu kommen.

106 8.2 Der Versailler Vertrag von 1919
Inhalt: Alleinschuld Deutschlands, 13 % Gebietsabtretungen, 10 % Bevölkerungsverlust, Aufgabe der Kolonien, Berufsarmee mit max Mann, hohe Reparationen in unbestimmter Gesamthöhe Problem der Finanzierung der Reparationszahlungen durchzieht die gesamte Weimarer Republik: 1919: Höhe der Reparationen: zunächst 20 Milliarden Goldmark (GM) bis 1921 1921: Forderung über 132 Mrd. GM (ungefähr Tonnen Gold = 700 Milliarden €) 1923: Ruhrgebietsbesetzung, um Reparationszahlungen zu erzwingen → Hyperinflation 1924: Dawes-Plan: geringere Jahreszahlungen + amerikanische Anleihe 1930: Reduzierung der Gesamtschuld , zahlbar bis amerikanische Anleihe 1931: Hoover-Moratorium 1932: Konferenz von Lausanne: Streichung der Reparationen + Restzahlung von 3 Mrd. GM 1933: Keine Restzahlung und Einstellung des Schuldendienstes insbes. der Dawes- und Young-Anleihen Folgen: „Weimarer Revisionssyndrom“: Vergiftung der innenpolitischen Lage durch Dolchstoßlegende (Ermoderung mehrerer „Erfüllungspolitiker“ wie Finanzminister Erzberger und Außenminister Rathenau); zentrales Wahlkampfthema für die extreme Rechte John Maynard Keynes als Kritiker: The Economic Consequences of the Peace Vergleich: Frieden im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und von Brest-Litowsk mit Russland 1918 von Deutschland mit noch größerer Härte diktiert Literatur: - Eberhard Kolb: Der Frieden von Versailles. München 2005. - Max Hantke, Mark Spoerer, The imposed gift of Versailles: the fiscal effects of restricting the size of Germany's armed forces, 1924–9,in: The Economic History Review 63/4 (2010), S

107 8. 3 Doppelter Displacement-Effekt am Anfang „des kurzen 20
8.3 Doppelter Displacement-Effekt am Anfang „des kurzen 20. Jahrhunderts“ (I) v.H. NSP/BSP Niveauverschiebung zu einer höheren Staatsquote, insbesondere wegen der Konstituierung der Weimarer Republik als Wohlfahrtsstaat

108 8. 4 Doppelter Displacement-Effekt am Anfang „des kurzen 20
8.4 Doppelter Displacement-Effekt am Anfang „des kurzen 20. Jahrhunderts“ (II) v.H. des gesamtes Steueraufkommens Niveauverschiebung zugunsten des Staates (zu Lasten der Kommunen), insbesondere wegen der Zäsur der Erzbergerschen Finanzreform

109 8.5 Kompetenzverteilung auf die Gebietskörperschaften in der Weimarer Republik
Gesetzgebungshoheit Ertragshoheit Verwaltungshoheit Reich Gesetzgebungshoheit über Einkommen- und Umsatzsteuer ständige Änderung der Anteile („permanent vorläufiger Finanz-ausgleich“) Reichszoll- und finanzverwaltung Länder Beteiligung über Reichsrat Beteiligung an Einkommen- und Umsatzsteuer (in Form von „Reichsüberweisungs-steuern“) ab 1929 Plafondierung keine Kommunen Verlust des Zuschlags-rechts auf die Einkommen-steuer, aber hohe Beteiligung an Einkommen- und Umsatzsteuer Realsteuern

110 8.6 Der permanent vorläufige Finanzausgleich bei der Einkommensteuer
v.H.

111 8.7 Der permanent vorläufige Finanzausgleich bei der Umsatzsteuer
v.H.

112 8. 8 Matthias Erzberger: Bedeutendster Finanzminister des 20
8.8 Matthias Erzberger: Bedeutendster Finanzminister des 20. Jahrhunderts Ergebnisse während der Amtszeit Nur kurze Amtzeit ( ), aber grundlegende Weichenstellungen: Zäsur der Erzbergerschen Finanzreform: Reich als „Steuersouverän“ Landessteuergesetz zur Regelung des Finanzausgleichs Modernisierung und drastische Erhöhung der Einkommensteuer Einführung der Körperschaftsteuer Modernisierung und Ausbau der im Krieg eingeführten Umsatzsteuer Einführung der Reichsabgabenordnung Schaffung der Reichsfinanzverwaltung Gescheiterter Versuch, die Inflation zu stoppen

113 8.9 Reichsfinanzminister 1920-1925
Name und Amtszeit Ergebnisse während der Amtszeit Josef Wirth (Zentrum) ( ) drastische Steuererhöhungen zur Finanzierung der „Erfüllungspolitik“ Durchsetzung einer starken Stellung des Finanzministers (u.a. wesentliche Stärkung des Finanzministers, der nur vom Kanzler und einer Kabinettsmehrheit überstimmt werden kann) Andreas Hermes (Zentrum) ( ) kein finanzpolitisches Programm (gescheiterter) Versuch, die Steuereinnahmen der galoppierenden Inflation anzupassen Reichshaushaltsordnung vom Rudolf Hilferding (SPD) ( ) ( ) Entscheidung zur Einführung der Rentenmark Sparpolitik in der beginnenden Weltwirtschaftskrise Rücktritt wegen Differenzen mit Reichsbankpräsident Schacht Hans Luther (parteilos) ( ) ( ) Stabilisierung der Währung drei Steuernotverordnungen harte Sparpolitik (u.a. deutliche Verkleinerung der Verwaltung)

114 8.10 Reichsfinanzminister 1925-1930
Name und Amtszeit Ergebnisse während der Amtszeit Otto von Schlieben (DNVP) ( ) umfassende („Popitzsche“) Steuerreform, die Erzbergers Steuergesetze auf sicheres juristisches und finanzwissenschaftliches Fundament stellt Peter Reinhold (DDP) ( ) erstmals Anwendung einer antizyklischen Finanzpolitik, um die Rezession von 1926 zu überwinden Heinrich Köhler (Zentrum) ( ) Finanzpolitik „hart am Rande des Defizits“ Reform der Beamtenbesoldung, die zu erheblichen Personalmehrausgaben führt Paul Moldenhauer (DVP) ( ) Bruch der Großen Koalition wegen Finanzierung der Arbeitslosenversicherung weitgehende Übereinstimmung mit den finanz- und wirtschaftspolitischen Vorstellungen Brünings Rücktritt infolge von Differenzen mit der eigenen Partei

115 8.11 Entwicklung des Finanzierungssaldos 1925-1930
v.H. BSP Quelle: Ritschl (2002), Tabelle A.11.

116 Verfassungspolitik/Sozialstaat
8.12 Political economy der Weimarer Republik Verfassungspolitik/Sozialstaat nach anfänglichem „Stinnes-Legien-Abkommen“: Erbitterte Tarifkonflikte, die vom Staat geschlichtet werden müssen Reich/Länder ständige Reibereien; Länder jetzt Kostgänger des Reichs Parteipolitik große Fragmentierung Finanzpolitik als ständiger Streitpunkt Finanzpolitik als Instrument der Machtpolitik Exekutive Regierungen ohne keine sichere Parlamentsmehrheit allenfalls geringe finanzpolitische Verteilungsspielräume Die Weimarer Republik war auch bezüglich der political economy ein „Probelauf der Moderne“ (Peukert).

117 8.13 Quelle: Rede von Matthias Erzberger 1919
„Der Krieg ist der Verwüster der Finanzen. … Ein Reichsbankrott wäre ein wahrer Volksbankrott, wie in Weltgeschichte hierfür keinen Vorgang kennt. Eherne Pflicht der Reichsfinanzverwaltung ist es, die ganzen Kräfte dafür einzusetzen, daß der Zinsendienst der Kriegsanleihe geleistet werden kann. … Ein guter Finanzminister ist der beste Sozialisierungsminister. … Schon vor dem Kriege war der Unterschied in Deutschland zwischen den Besitzenden und Nichtbesitzenden zu groß und damit zur sozialen Ungerechtigkeit und zu einer Krankheit am Wirtschaftskörper geworden. … Der damalige Vizekanzler und leichtfertigste aller Finanzminister, Staatsminister Helfferich… In den Trümmern des Krieges muß nach Neuland gesucht werden. So vieles, fast alles ist anders geworden. ... Wo ist hier Neuland für die Reichsfinanzen zu gewinnen? Der große Steuersouverän der Zukunft kann nur das einige Deutsche Reich sein ... Dieses kostbare Gut unserer Väter, der deutsche Nationalstaat, ... muß leben und sich entwickeln können. Dazu braucht das Reich nicht nur Geld, sondern auch ein neues System der Steuerordnung. ... Die Steuerlast wird eine geradezu entsetzliche Höhe erreichen. … Die mangelhafte Ausstattung des alten Reichs mit Steuern war vielleicht der schwächste Punkt unserer alten Reichsverfassung.“ Matthias Erzberger, Reden zur Neuordnung des deutschen Finanzwesens, Berlin 1919, S , 111.

118 8.14 Weiterführende Literatur zur Finanzgeschichte der Weimarer Republik
Theodore Balderston, Economics and Politics in the Weimar Republic, Cambridge 2002. Fritz Blaich, Die Wirtschaftskrise 1925/26 und die Reichsregierung. Von der Erwerbslosenfürsorge zur Konjunkturpolitik, Kallmünz 1977. Klaus Epstein, Matthias Erzberger und das Dilemma der deutschen Demokratie, Frankfurt a.M Gerald D. Feldman, The Great Disorder. Politics, Economics, and Society in the German Inflation, , New York und Oxford 1993. Niall Ferguson, Constraints and room for manoeuvre in the German inflation of the early 1920s, in: Economic History Review 49 (1996), Dieter Hertz-Eichenrode, Wirtschaftskrise und Arbeitsbeschaffung. Konjunkturpolitik 1925/26 und die Grundlagen der Krisenpolitik Brünings, Frankfurt a.M., New York 1982. Carl-Ludwig Holtfrerich, Rüstung, Reparationen und Sozialstaat. Die Modernisierung des Steuersystems im Ersten Weltkrieg und in der großen Inflation, in: Uwe Schultz (Hg.), Mit dem Zehnten fing es an. Eine Kulturgeschichte der Steuer, München 1986, Klaus Karsten, Die Reichssteuerpolitik in der Weimarer Republik, in: Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte 17 (1995), Detlev J. K. Peukert, Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne, Frankfurt a.M Jürgen Baron Kruedener, Die Überforderung der Weimarer Republik als Sozialstaat, in: Geschichte und Gesellschaft 11 (1985), Ilse Maurer, Reichsfinanzen und Große Koalition. Zur Geschichte des Reichskabinetts Müller ( ), Bern u.a Fritz Terhalle, Zur Reichsfinanzreform von 1925, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 80 (1926),

119 9. Brünings Deflationspolitik
Freitag, , Uhr 9. Brünings Deflationspolitik

120 9.1 Das Ausmaß der Weltwirtschaftskrise NIP in Mrd. RM (nominal)
(real) Preise (1913/14 = 100) Arbeits- losigkeit in Mio. 1929 79,5 78,9 154 1,8 1930 71,8 76,1 148 3,1 1931 58,5 67,9 136 4,5 1932 50,8 66,2 121 5,6 Quelle: Raymond L. Cohn, Fiscal Policy in Germany during the Great Depression, in: Explorations in Economic History 29 (1992), , hier 320 (Tabelle 1).

121 9.2 Entwicklung der Nettoinvestitionen des Unternehmenssektors 1925-1935
Mio. RM Quelle: Ritschl (2002), Tabelle B.3.

122 9.3 Analyse der Weltwirtschaftskrise: Keynes, Friedman oder Hayek?
Analyse der Großen Depression / Weltwirt-schaftskrise von 1929 ff. Zu geringe Nachfrage Zu repressive Finanz- und Geldpolitik Zu kontraktive Geldpolitik der FED Zu viele Staatseingriffe Zu lockere Geldpolitik in den 1920er Jahren Lösungsansätze Deficit spending Arbeitsbeschaffung Zinssenkungen Steigerung der Geldmenge Krise „ausbrennen“ lassen Sparpolitik Lehren aus der Großen Depression? Vergleich zur Weltwirtschaftskrise 2008/09 Konjunkturpakete Ultralockere Geldpolitik der FED („Helikopter-Ben“) Zu lockere Geldpolitik der FED vor der Krise Position Deutschlands in der Staatsschulden-krise Quelle: Florian Pressler, Die erste Weltwirtschaftskrise. Eine kleine Geschichte der großen Depression, München 2013, Weitere Literatur zu den Lehren aus der „Great Depression“: Nicholas Crafts, Peters Fearon (Hg.), Lessons from the 1930s, in: Oxford Review of Economic Policy 26/3 (2010), Aktuell: Barry Eichengreen, Hall of Mirrors, Oxford u.a s. Seite 218 (14.22) des Vorlesungsskripts. Jan-Otmar Hesse, Roman Köster, Werner Plumpe, Die Große Depression. Die Weltwirtschaftskrise , Frankfurt 2014. Harold James, Finanzmarkt macht Geschichte. Lehren aus den Wirtschaftskrisen, Jena 2014. Albrecht Ritschl, War 2008 das neue 1931?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 20/2009,

123 9.4 Finanzpolitik Heinrich Brünings
Ergebnisse während der Amtszeit Strenge Sparpolitik (Kürzungen der Sozialleistungen, der Beamtengehälter und Investitionen; Militär und Landwirtschaft allerdings weitgehend ausgenommen) Erhöhung der Steuersätze und Einführung neuer Steuern (u.a. Bürgersteuer, Krisensteuer, Reichsfluchtsteuer) Haushaltsausgleich und Ende der Reparationszahlungen als zentrale Ziele (trotz Weltwirtschaftskrise) Folgen der Massenarbeitslosigkeit insbesondere durch Kommunen zu tragen Notverordnungspraxis (anfänglich toleriert von der SPD) „Zwangslagen“ (Knut Borchardt): Kein Zugang zum Kapitalmarkt und „Krise vor der Krise“

124 9.5 Die Borchardt-Kontroverse: „Krise ohne Alternative?“
Knut Borchardt Carl-Ludwig Holtfrerich Historikerstreit in der Wirtschaftsgeschichte; neoklassische Interpretation/Revision der Deflationspolitik Brüning aus dem Jahr 1979 klassische keynesianische Kritik an der Deflationspolitik Brünings „Krise vor der Krise“: „kranke“ Wirtschaft in den 20er Jahren; Überforderung der Wirtschaft durch den Weimarer Sozial- und Umverteilungsstaat Nicht zu hohe Löhne und zu hohe staatliche Leistungen als Grundproblem, sondern zu hohe Zinsen Keine rechtzeitige Gegensteuerung möglich, da erst mit Bankenkrise von 1931 das Ausmaß der Krise deutlich Konjunkturpolitik ab Sommer 1931 möglich, hohe psychologische Bedeutung eines New Deals Keine Gegensteuerung sinnvoll, da Dosierung auf jeden Fall zu gering gewesen wäre (Kreditknappheit und „golden fetters“ des Goldstandards) Betonung des Multiplikatoreffektes und negativen Wirkung der Beschleunigung der debt-deflation, Kre-ditschöpfung nach Devisenbewirtschaftung möglich Keine Träger einer antizyklischen Politik Verweis u.a. auf Finanzstaatssekretär Schäffer und WTB-Plan der Gewerkschaften Rationale Zielsetzung: der „Bereinigung der Situation“ und der Streichung der Reparationen Falsche „Prioritätenskala“ Brünings

125 9.6 Entwicklung des Finanzierungssaldos 1929-1933
v.H. BSP Quelle: Ritschl (2002), Tabelle A.9.

126 9.7 Entwicklung der Nettoneuverschuldung des Reichs 1924-1933
Mio. RM Quelle: Ritschl (2002), Tabelle A.9.

127 9.8 Entwicklung der öffentlichen Investitionen 1925-1938
Mio. RM Quelle: Ritschl (2002), Tabelle A.12.

128 9.9 Entwicklung der Reparationszahlungen 1925-1935
Mio. RM Quelle: Ritschl (2002), Tabelle A.11.

129 9.10 Entwicklung der Aktienrenditen 1886-1939: Beleg für Profit-squeeze der 20er Jahre?
v.H. Quelle: Mark Spoerer, Von Scheingewinnen zum Rüstungsboom. Die Eigenkapitalrentabilität der deutschen Industriegesellschaften , Stuttgart 1996.

130 9.11 Kommunen als am meisten belastete Gebietskörperschaft: Wegbrechende Steuern
Mio. RM Erläuterung: Daten beziehen sich auf die Hauptstadt Hannover. Quelle: Marc Hansmann (2000), 93 (Tabelle 39) und 96 (Tabelle 42).

131 9.12 Kommunen als am meisten belastete Gebietskörperschaft: Explodierende Sozialausgaben
v.H. Erläuterung: Daten beziehen sich auf die Hauptstadt Hannover. Quelle: Marc Hansmann (2000), 103 (Tabelle 52).

132 9.13 Bewusste Aushöhlung der kommunalen Selbstverwaltung
In Hannover kommen im Verlaufe der Weltwirtschaftskrise zwei Mal Staats-kommissare. Notverordnung vom 5. Juni 1931: Bei einer defizitären Haushaltsentwicklung können Staatskommissare in diejenigen Kommunen geschickt werden, die die Ausgaben nicht weitestgehend senken oder die Einnahmen voll ausschöpfen.

133 Verfassungspolitik/Sozialstaat
9.14 Political economy in der Weltwirtschaftskrise Verfassungspolitik/Sozialstaat Bewusstes Downsizing des Sozialstaats; Beschränkung der Gewerkschaftsmacht Reich/Länder gescheiterter Versuch der Reichsreform Parteipolitik KPD und NSDAP in der Mehrheit; Tolerierung Brünings durch die SPD Finanzpolitik als Instrument der Machtpolitik Exekutive Regierung ohne sichere Parlamentsmehrheit Revisionspolitik als Priorität Die Weimarer Republik scheitert nicht zuletzt an dem Versuch, die Finanzpolitik zu instrumentalisieren.

134 9.15 Quelle: Regierungserklärung von Heinrich Brüning 1931
„Kein Staat kann auf die Dauer einen wirklichen Vorteil aus der Not der anderen Länder erwarten. (Erneute lebhafte Zustimmung) Die verderblichen Folgen politischer Zahlungen ohne wirtschaftliche Gegenleistungen haben die gesamte Weit ohne Ausnahme in heute noch unabsehbare Bedrängnis geführt. (Sehr wahr! -- Lachen bei den Kommunisten) … Deutschland fordert bei aller verständnis-vollen Rücksichtnahme auf die Lebensnotwendigkeiten der Nachbarn die Verwirklichung des Grundsatzes der Gerechtigkeit und Gleichberechtigung unter den Völkern. (Bravo! in der Mitte) … Die Reichsregierung nimmt es für sich als einen Erfolg in Anspruch, daß sie rechtzeitig und als erste im Kreise der großen Nationen mit entscheidenden Sparmaßnahmen in den öffentlichen Ausgaben und mit möglichstes Senkung der Erzeugungskosten begonnen hat. (Sehr gut! im Zentrum - Zurufe von den Kommunisten) … in kurzer Frist [wird] ein Wirtschaftsprogramm für die nächsten Monate ausgearbeitet. Dieses Programm hat als erste Voraussetzung (Zuruf von den Kommunisten: Hungerprogramm!) die Aufrecht-erhaltung der Stabilität unserer Währung, an der unter keinen Umständen gerüttelt werden kann. (Lebhafte Zustimmung in der Mitte und bei der Deutschen Arbeiterpartei. Zuruf: Dann werden die anderen rütteln) Von entscheidender Wichtigkeit ist die Durchführung eines ausgearbeiteten Planes zur Tilgung der kurzfristigen Schulden und ebenso eine endgültige Klärung der Reparationsfrage.“ Heinrich Brüning, Regierungserklärung vom 13. Oktober 1931

135 9.16 Weiterführende Literatur zur Finanzgeschichte in der Weltwirtschaftskrise
Knut Borchardt, Wachstum, Krisen und Handlungsspielräume der Wirtschaftspolitik. Studien zur Wirtschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Göttingen 1982. Ursula Büttner, Politische Alternativen zum Brüningschen Deflationskurs. Ein Beitrag zur Diskussion über "ökonomische Zwangslagen" in der Endphase von Weimar, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 37 (1989), Barry Eichengreen, Peter Temin, The Gold Standard and the Great Depression, in: Contemporary European History 9 (2000), Carl-Ludwig Holtfrerich, Alternativen zu Brünings Wirtschaftspolitik in der Weltwirtschaftskrise?, in: Historische Zeitschrift 235 (1982), Ders., Zu hohe Löhne in Weimar?, in: Geschichte und Gesellschaft 10 (1984), Herbert Hömig, Brüning. Kanzler in der Krise der Republik. Eine Weimarer Biographie, Paderborn u.a Harold James, The German Slump. Politics and Economics , Oxford Jürgen Baron Kruedener (Hg.), Economic Crisis and Political Collapse. The Weimar Republic , New York u.a Florian Pressler, Die erste Weltwirtschaftskrise. Eine kleine Geschichte der großen Depression, München 2013. Albrecht Ritschl, Deutschlands Krise und Konjunktur Binnenkonjunktur, Auslandsverschuldung und Reparationsproblem zwischen Dawes-Plan und Transfersperre, Berlin 2002. Bernd Weisbrod, Die Befreiung von den "Tariffesseln". Deflationspolitik als Krisenstrategie der Unternehmer in der Ära Brüning, in: Geschichte und Gesellschaft 11 (1985), Peter-Christian Witt, Finanzpolitik als Verfassungs- und Gesellschaftspolitik. Überlegungen zur Finanzpolitik des Deutschen Reiches in den Jahren 1930 bis 1932, in: Geschichte und Gesellschaft 8 (1982),

136 10. NS-Rüstungskeynesianismus
Freitag, , Uhr 10. NS-Rüstungskeynesianismus

137 10.1 Ein NS-Wirtschaftswunder?
v.H. 1938 (1913 = 0) BSP Produktivität Reallöhne USA 172 208 153 Großbritannien 147 167 133 Deutschland 136 137 109 Quelle: Tooze (2007), 913 (Tabelle A.2) und Overy (1982), 11 (Tab. II).

138 10.2 Johann Ludwig Schwerin von Krosigk, Finanzminister von 1932 bis 1945
Ergebnisse während der Amtszeit Konfiszierung des jüdischen Eigentums sowie Ausbeutung der besetzten Länder durch Reichsfinanzverwaltung Verankerung der nationalsozialistischen Weltanschauung im Steuerrecht und ideologische Schulung der Steuerbeamten durch Staatssekretär Fritz Reinhardt (überzeugter Nationalsozialist) Finanzierung der Arbeitsbeschaffung („Reinhardt-Programme“) Finanzierung der Aufrüstung/Wehrmacht außerhalb des Reichshaushalts Eingliederung des preußischen Finanzministeriums in das Reichsfinanzministerium direkte Finanzbeziehungen des Reichs mit den Kommunen und Einführung eines horizontalen kommunalen Finanzausgleichs

139 10.3 Entwicklung der Nettoneuverschuldung des Reichs 1930-1938
Mio. RM Quelle: Ritschl (2002), Tabelle A.9.

140 10.4 Mefo-Wechsel Mrd. RM Quelle: Willi A. Boelcke (1992), 99.

141 10.5 Entwicklung der Rüstungsausgaben 1928-1938
Mio. RM Quelle: René Erbe, Die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik im Lichte der modernen Theorie, Zürich 1958, 26, 109.

142 10.6 Entwicklung der Reichsschuld 1938-1945
Mrd. RM Quelle: Willi A. Boelcke (1992), 110.

143 10.7 „Gesamtbilanz“ der Kriegsfinanzen Mrd. RM Prozent
Wehrmachtsausgaben 414 67 Ausgaben ziviler Ressorts 200 33 Insgesamt 614 100 Ordentliche Einnahmen 276 45 Kredite 339 55 Quelle: Willi A. Boelcke (1992), 110.

144 Kreditgenossenschaften 19 7 Versicherungen 25 9 Reichsbank etc. 45 16
10.8 „Geräuschlose“ Kriegsfinanzierung: Verteilung der Reichsschuld im Inland zum Mrd. RM Prozent Sparkasse 86 30 Postsparkasse etc. 10 3 Kreditbanken 52 18 Kreditgenossenschaften 19 7 Versicherungen 25 9 Reichsbank etc. 45 16 Publikum, Unternehmen 47 17 Insgesamt 284 100 Quelle: Willi A. Boelcke (1992), 112.

145 10.9 Die Aly-These von der „Gefälligkeitsdiktatur“
Laut Götz Aly war das »Dritte Reich« eine »Gefälligkeitsdiktatur«; Hitler und die Männer seiner Entourage agierten als »klassische Stimmungspolitiker«, die geradezu peinlich darauf bedacht waren, die Masse der Bevölkerung bei Laune zu halten. Zu diesem Zwecke gossen sie das Füllhorn sozialpolitischer Wohltaten aus: Familienlastenausgleich, Ehestandsdarlehen, Kindergeld, Erhöhung des steuerfreien Grundbetrags, et cetera [u.a. Steuerfreiheit für Nachtzuschläge]. Gleichzeitig sorgte das Regime nach dem Motto »Mehr Chancengleichheit wagen« für eine kräftige soziale Aufwärtsmobilität. „Aly sieht in der großen Mehrzahl der Deutschen angepasste Mitläufer, die sich nach der Devise »Geld ist geil« der Mitnahmemöglichkeiten, die das Regime ihnen bot, dankbar erfreuten, sich ansonsten aber in passiver Loyalität übten, was indes für die Funktionsfähigkeit der Diktatur vollkommen ausgereicht habe. Das gläubige Vertrauen auf den charismatischen »Führer«, das Verfallensein an den Hitler-Mythos, das Ian Kershaw und jüngst Hans-Ulrich Wehler als stärkstes Bindemittel des Regimes beschrieben haben – es taucht nicht einmal mehr auf.“ Volker Ullrich, Hitlers zufriedene Räuber, in: Die Zeit 11/2005. Götz Aly: "Wer von den vielen Vorteilen für Millionen einfacher Deutscher nicht reden will, der sollte vom Nationalsozialismus und vom Holocaust schweigen." Götz Aly, Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Frankfurt a.M

146 10.10 Kompetenzverteilung auf die Gebietskörperschaften im NS-Staat
Gesetzgebungshoheit Ertragshoheit Verwaltungshoheit Reich Gesetzgebungshoheit über (fast) sämtliche Steuern vollständige Ertragshoheit Reichszoll- und finanzverwaltung Länder keine Mittelzuweisung vom Reich Kommunen Mittelzuweisung vom Reich sowie horizontaler Finanzausgleich Realsteuern

147 10.11 Bedeutung der Länder auf dem historischen Tiefpunkt
v.H. der Gesamtausgaben

148 10.12 Johannes Popitz Lebenslauf und Leistungen Staatssekretär im Reichsfinanzministerium ( ) Preußischer Finanzminister Popitzsche Steuerreform von 1925, die Erzbergers Steuergesetze auf ein sicheres juristisches und finanzwissenschaftliches Fundament stellen Schöpfer des modernen (kommunalen) Finanzausgleichs: Johannes Popitz, Der künftige Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden. Gutachten erstattet der Studiengesellschaft für den Finanzausgleich, Berlin 1932. Popitzsches Gesetz von der Anziehungskraft des zentralen Etats von den Nationalsozialisten 1944 hingerichtet

149 Verfassungspolitik/Sozialstaat
10.13 Political economy in der NS-Zeit Verfassungspolitik/Sozialstaat Sicherung der Vollbeschäftigung und partieller Ausbau des Sozialstaats zur Herrschaftssicherung Reich/Länder Ausschaltung der Länder Parteipolitik Dualismus Partei/Staat; sich radikalisierende NS-Bewegung; Fraktionen in NS-Polykratie Finanzpolitik als Instrument der Machtpolitik Exekutive partieller Funktionsverlust der Ministerialverwaltung, insbes. des Finanzministeriums; Finanzpolitik als Mittel zur Finanzierung des Angriffskrieges Die Finanzpolitik des NS-Regimes dient vorrangig einem Zweck: Der Vorbereitung und Durchführung des 2. Weltkriegs.

150 10.14 Quellen: Johann Ludwig Schwerin von Krosigk und John Maynard Keynes
„Ein Volk, das auf Zunahme verzichtet, und ein Volk, das auf seine Wehrkraft verzichtet, ist tot. Daß in diesen beiden entscheidenden Fragen durch Adolf Hitler die große Wendung in unserem nationalen Leben eingetreten ist, das allein schon wird ihm für alle Zeiten den Ehrenplatz in der Geschichte unseres Volkes einbringen. Wenn man an die aktive Finanz- und Wirtschaftspolitik des Frühjahrs 1933 zurückdenkt, dann wird sie immer wieder in erster Linie gekennzeichnet sein durch die Arbeitsbeschaffungspolitik, nämlich die, daß damals diese Arbeitsbeschaffung auf Kredit genommen worden ist. Hier ist in einer beispielhaften Form der Weg gegangen worden, daß ein finanziell und wirtschaftlich am Boden liegender Staat das Letzte eingeworfen hat, über das er verfügte, nämlich den Kredit des Staates. Die Arbeitsbeschaffung in der Form des Frühjahrs 1933 ist jetzt abgeschlossen, und an ihre Stelle ist etwas anderes getreten, nämlich die Ausgaben für die Wehrmachung unseres Volkes.“ Lutz Graf Schwerin von Krosigk, Nationalsozialistische Finanzpolitik, Jena 1936 (= Kieler Vorträge, Nr. 41). „Nevertheless the theory of output as a whole, which is what the following book purports to provide, is much more easily adapted to the conditions of a totalitarian state …“ John Maynard Keynes, The General Theory of Employment, Interest and Money, Cambridge 1936 (ND 1993) (= The Collected Writings of John Maynard Keynes Bd. 7), XXVI (Preface to the German Edition).

151 10.15 Weiterführende Literatur zur Finanzgeschichte der NS-Zeit
Willi A. Boelcke, Die Kosten von Hitlers Krieg. Kriegsfinanzierung und finanzielles Kriegserbe in Deutschland , Paderborn 1985 Ders., Die Finanzpolitik des Dritten Reiches. Eine Darstellung in Grundzügen, in: Karl Dietrich Bracher, Manfred Funke, Hans-Adolf Jacobsen (Hrsg.), Deutschland Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft, Bonn 1992, S Friedrich-Wilhelm Henning, Die nationalsozialistische Steuerpolitik. Programm, Ziele und Wirklichkeit, in: Eckhart Schremmer (Hg.), Steuern, Abgaben und Dienste vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Stuttgart 1994, Friedrich-Wilhelm Henning, Deutsche Wirtschafts- und Sozialgeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Teil II: , hg. v. Markus A. Denzel, Paderborn u.a Christiane Kuller, Bürokratie und Verbrechen. Antisemitische Finanzpolitik und Verwaltungspraxis im nationalsozialistischen Deutschland, München 2013 (= Das Reichsfinanzministerium im Nationalsozialismus Bd. 1). Richard J. Overy, The Nazi Economic Recovery , London 1982. Ders., Die Wurzeln des Sieges. Warum die Alliierten den Zweiten Weltkrieg gewannen, Hamburg 2002. Lutz Graf Schwerin von Krosigk, Staatsbankrott. Die Geschichte der Finanzpolitik des Deutschen Reiches von 1920 bis 1945, Göttingen u.a.1974. Mark Spoerer, Demontage eines Mythos? Zu der Kontroverse über das nationalsozialistische „Wirtschaftswunder“, in: Geschichte und Gesellschaft 31 (2005), J. Adam Tooze, Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus, München 2007. Reimer Voß, Steuern im Dritten Reich. Vom Recht zum Unrecht unter der Herrschaft des Nationalsozialismus, München 1995.

152 11. Die fetten Jahre der Bonner Republik
Freitag, , Uhr 11. Die fetten Jahre der Bonner Republik

153 11.1 Entwicklung des Finanzierungssaldos des Bundeshaushalts 1950-1969
v.H. BSP Quelle: Für die Jahre bis 1959: Bundesministerium der Finanzen (Hg.), Haushaltsreden. Die Ära Schäffer, bearb. v. Kurt-Dieter Wagner u.a., Bonn 1992, 428 und 437; für die Jahre ab 1960: Bundesministerium der Finanzen (Hg.), Haushalts-reden. Starke, Dahlgrün, Schmücker, bearb. v. Kurt-Dieter Wagner u.a., Bonn 1995, 308f, jeweils eigene Berechnungen.

154 11.2 Ausgabenstruktur des Bundeshaushalts von 1963
hohe Sozialausgaben durch Wiedereinführung des Kindergelds (1954) und Versorgung der Kriegsopfer Einführung der dynamischen Rente im Jahr 1957: „Teuerstes Wahlgeschenk aller Zeiten.“ Zinsanteil niedrig, da Entschuldung aufgrund Inflation und einer sparsamen Haushaltspolitik in den 50er Jahren hoher Anteil der Verteidigungsausgaben durch kostenintensiven Aufbau der Bundeswehr 1963

155 11.3 Der erste Bundesfinanzminister: Fritz Schäffer (1949-1957)
Ergebnisse während der Amtszeit Investitionsförderung mittels der Steuerpolitik („Investition oder Finanzamt“) sparsame Haushaltspolitik ( „Politik der geschlossenen Hand“), die zu Haushaltsüberschüssen (Juliusturm) führt Finanzierung des Lastenausgleichs und der Wiederaufrüstung gegen die Einführung der dynamischen Rente durch Adenauer Regelung der Altschulden im Londoner Schuldenabkommen von 1953 Opfer des so genannten Kuchenausschusses

156 11.4 Entwicklung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer 1946-1970
Steuersätze der Siegermächte Finanz- reformen Der erste Bundesfinanzminister Schäffer machte aus der Not, also den hohen, von den Siegermächten auferlegten Steuersätzen, eine Tugend und förderte massiv die „Selbstfinanzierung“ der Unternehmen. Großzügige Abschreibungsregelungen und niedrige Steuern für einbehaltene Gewinne schufen starke Investitionsanreize. Die Unternehmen wurden letztlich vor die Wahl „Investition oder Finanzamt“ gestellt. „Von diesem Strukturfehler überhöhter Steuersätze und löchriger Bemessungsgrundlagen hat sich das deutsche Steuerrecht bis heute nicht erholt.“ (Paul Kirchhof)

157 11.5 Der Lastenausgleich von 1952
Ziele des Gesetzes über den Lastenausgleich von 1952: Solidarischer Ausgleich der Kriegsschäden und finanzielle Entschädigung für die 14 Mio. Vertriebenen, Flüchtlinge und Spätaussiedler Inhalt: Umverteilung über Lastenausgleichsfonds Umverteilungsvolumen: 115 Mrd. DM (insbes. 43 Mrd. DM Hauptentschädigung für Vermögensschäden, 10 Mrd. DM Hausratsentschädigung, 53 Mrd. DM Renten) Finanzierung: 42 Mrd. DM Vermögensabgabe (50 % des Vermögenswertes zum Stichtag 21. Juni 1948, zahlbar innerhalb von max. 30 Jahren), 9 Mrd. DM Hypothekengewinnabgabe, 2 Mrd. DM Kreditgewinnabgabe, 61 Mrd. DM Zuschüsse aus den öffentlichen Haushalten) Belastungswirkung: 1,67 % p.a., wg. langen Zahlungszeitraumes, hoher Einkommenssteigerungen und Inflation relativ leicht leistbar, also faktisch kein Verlust an Vermögenssubstanz Wertung: erfolgreiches Instrument zur Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge Vorläufer in der Weimarer Republik, aber keine Wirkung wg. Hyperinflation; später Hauszinssteuer als Belastung für Inflationsgewinne im Immobilienbereich Diskussion über einen erneuten Lastenausgleich nach der Deutschen Einheit Aktuelle Diskussion im Rahmen der europäischen Staatsschuldenkrise Literatur: Stefan Bach, Gert G. Wagner, Steuergerechtigkeit als Zukunftsinvestition, in: Wirtschaftsdienst 92 (9/2012), ; Richard Hauser, Zwei deutsche Lasten- ausgleiche - Eine kritische Würdigung, in: Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung 80 (2011), ; Lutz Wiegand, Der Lastenausgleich in der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 1985, Frankfurt am Main 1992.

158 11.6 Das Londoner Schuldenabkommen von 1953
Vorgeschichte: 1931 Moratorium für die deutschen Auslands- bzw. Reparationsschulden; seit 1933 faktischer Staatsbankrott, da die Nationalsozialisten den Schuldendienst einseitig einstellen → Bundesrepublik daher kreditunwürdig. Höhe der Schulden: Altschulden: 13,5 Mrd. DM (u.a. Dawes- und Young-Anleihe), aufgelaufende Zinszahlungen seit 1934: 14 Mrd. DM, Nachkriegsschulden (u.a. Zahlungen aus dem Marshall-Plan): 15 Mrd. DM Inhalt: Großzügiger Schuldenerlass: 14 Mrd. DM, zahlbar bis 1988 Reparationen: Bis zum Abschluss eines Friedensvertrags zurückgestellt. Um diese Problematik zu umgehen, wurde 1990 nur ein Zwei-plus-Vier-Vertrag unterzeichnet. Hintergrund: USA brauchen Bundesrepublik im Kalten Krieg und wollen nicht die Fehler des Versailler Vertrags wiederholen. Folgen: Bundesrepublik wird kreditwürdig und kann die Konvertibilität der Mark einleiten. Aktuelle Diskussion: Historisches Vorbild für Griechenland? Literatur: - Christoph Buchheim: Das Londoner Schuldenabkommen, in: Ludolf Herbst (Hrsg.): Westdeutschland 1945–1955. Unterwerfung, Kontrolle, Integration, München 1986, S. 219–229. - Ursula Rombeck-Jaschinski: Das Londoner Schuldenabkommen. Die Regelung der deutschen Auslandsschulden nach dem Zweiten Weltkrieg. München 2005. - 27. Februar 2003 – 50 Jahre Londoner Schuldenabkommen, in: BMF-Monatsbericht 02/2003, S Hermann Josef Abs, der deutsche Verhandlungs-führer, bei der Unterschrift

159 11.7 Bundesfinanzminister 1957-1966
Name und Amtszeit Ergebnisse während der Amtszeit Franz Etzel (CDU) ( ) Steuerreform von 1958 (Körperschaftsteuer und Einkommensteuer) Sparprämiengesetz von 1959 Haushaltspolitik „am Rande des Defizits“ (Abbau des Juliusturms) Beginn der Konjunkturpolitik Heinz Starke (FDP) ( ) kompromisslose Ablehnung gegenüber Ausgabewünschen der Fachminister und der Regierungsfraktionen Rolf Dahlgrün (FDP) ( ) starker Anstieg der Ausgaben und - dank der Konjunktur - auch der Einnahmen Haushaltsdefizit in der Rezession von 1966/67 Initiative zur Umformung der Umsatzsteuer zur Mehrwertsteuer Rücktritt sämtlicher FDP-Minister wegen Ablehnung von Steuererhöhungen

160 11.8 Franz Josef Strauß als Bundesfinanzminister (1966-69): Der erste Keynesianer
Ergebnisse während der Amtszeit „Plisch und Plum“ mit Wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) in der ersten Großen Koalition erfolgreiche Überwindung der ersten Nachkriegsrezession durch eine keynesianische Finanzpolitik Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967 „Mit Steuern steuern“ Umsatzsteuerreform (Umstellung von Brutto-Allphasen auf Mehrwertsteuer) Grundlegende Haushaltsreform Große Finanzreform von 1969

161 11.9 Die schwierige Geburt der bundesdeutschen Finanzverfassung
Parlamentarischer Rat Besatzungsmächte 1. Konfliktpunkt Unitarischer Grundzug mit Verbundmasse aus den großen Steuern Förderaler Grundzug mit striktem Trennsystem 2. Konfliktpunkt Bundesfinanzverwaltung Finanzverwaltung der Länder Die Besatzungsmächte setzen sich durch. Eine Bundesfinanzverwaltung wird untersagt. Der Bund erhält die Umsatzsteuer zu 100 %, kann aber über den Weg eines zustimmungspflichtigen Gesetzes auch am Aufkommen der Einkommen- und Körperschaftsteuer partizipieren, falls der Haushalt anderweitig nicht auszugleichen ist. Dies machte der Bund umgehend über sogenannte Inanspruchnahmegesetze wird dann seine direkte Beteiligung an der Einkommensteuer im Grundgesetz verankert. Mit der ersten größeren Finanzreform wird also die Finanzverfassung grundlegend reformiert.

162 11.10 Kompetenzverteilung auf die Gebietskörperschaften in der Bundesrepublik
Gesetzgebungshoheit Ertragshoheit Verwaltungshoheit Bund (konkurrierende) Gesetz-gebungshoheit über Einkommen- und Umsatzsteuer auf Druck der Sieger-mächte: Trennsystem, das sofort durch „Inanspruch-nahmegesetze“ (Beteiligung des Bundes an der Einkommensteuer) durchbrochen wird seit 1969 Verbundsystem Zollverwaltung Länder Zustimmung des Bundesrats in der Regel erforderlich Beteiligung an der Umsatzsteuer seit 1969 Finanzverwaltung Verwaltungsvereinbarung von 1970 zur Zusammenar-beit von Bund und Ländern Kommunen keine Beteiligung an der Einkommensteuer seit 1969 Realsteuern

163 11.11 Die Gemeindefinanzreform von 1969
Einführung der kommu-nalen Beteili-gung an der Einkommen-steuer (14 %) Bebehaltung des kommu-nalen Hebe-satzrechts an der Gewerbe-steuer Beibehaltung des kommu-nalen Hebe-satzrechts an der Grund-steuer dafür Gewerbe- steuerumlage an Bund/Land

164 11.12 Ertragshoheit über die Einkommensteuer 1944-1970
v.H.

165 11.13 Ertragshoheit über die Umsatzsteuer 1944-1970
v.H. Im Rahmen des 1969 eingeführten bzw. ausgebauten Verbundsystems werden die Länder mit zunächst 30 % beteiligt.

166 Verfassungspolitik/Sozialstaat
11.14 Political economy der Bonner Republik bis 1969 Verfassungspolitik/Sozialstaat Ausbau des Sozialstaats zur Sicherung der Demokratie Bund/Länder de facto Unitarisierung Parteipolitik zunehmende Instrumentali- sierung für Wahlkampf; Bruch der CDU-/FDP-Koalition wegen Finanzpolitik Finanzpolitik als Instrument der Machtpolitik Exekutive Konflikte zwischen Finanzministerium und Kanzleramt/Fachministerien

167 11.15 Quelle: Rede von Fritz Schäffer aus dem Jahre 1950
„Die Bundesregierung selbst ist aufgerufen, den Damm gegen jede inflatorische Politik zu bilden, und sie muss für diese Entwicklung die persönliche Verantwortung übernehmen. Sie muss und kann diese persönliche Verantwortung selbstverständlich nur im Rahmen dessen übernehmen, was die Verfassung selbst vorschreibt, also insbesondere im Rahmen des Art. 110 des Grundgesetzes, in dem die Abgleichung in Einnahmen und Ausgaben vorgesehen ist. Damit die Bundesregierung diesem Zwang nicht ausweichen kann, hat der Gesetzgeber des Grundgesetzes in Art 115 auch den Weg für eine leichtfertige Schuldenpolitik verbaut. Er hat vorgeschrieben, dass zur Aufnahme jeden Kredites und zur Gewährung jeder Bürgschaft und aller Sicherheitsleistungen, deren Wirkung über das laufende Haushaltsjahr hinausgehen, ein besonderes Bundesgesetz erforderlich ist. Die Bundesregierung ist hier also an die Beschluss-fassung der beiden gesetzgebenden Körperschaften, Bundesrat und Bundestag, gebunden. Durch diese Bestimmungen suchte der Gesetzgeber des Grundgesetzes zunächst einen Schutz gegen jene inflatorische Entwicklung in der deutschen Finanzpolitik zu schaffen. Um ein modernes Wort zu gebrauchen: „deficit spending“ ist durch das Grundgesetz in der deutschen Finanzpolitik untersagt.“ Rede zur Einbringung des Haushalts von Fritz Schäffer vom , in: Bundesministerium der Finanzen (Hg.), Haushaltsreden. Die Ära Schäffer bis 1957, bearbeitet von Kurt-Dieter Wagner u.a., Bonn 1992 (= Schriftenreihe zur Finanzgeschichte Bd. 1), 81.

168 11.16 Quelle: „3 Jahre neuer Finanzpolitik“
„Öffentliche Schulden – gut oder schlecht? Die „klassische“ Rechtfertigung der Kreditfinanzierung öffentlicher Ausgaben – nach der im Grunde nur solche Investitionen des Staates mit Kredit finanziert werden dürfen, die ihren Zinsendienst selbst zu tragen vermögen oder an deren Nutzung auch noch spätere Generationen teilhaben – muss als überholt angesehen werden. Die öffentliche Schuldenpolitik („debt management“) wird heute als ein legitimes Mittel einer modernen Finanz- und Wirtschaftspolitik – insbesondere zur Dämpfung von Konjunkturschwankungen und zur Sicherung eines angemessenen Wirtschaftswachstums – angesehen. In der Stagnation der vergangenen Jahre hat sie sich als ein wirksames konjunkturpolitisches Instrument bewährt. Als in der Phase der wirtschaftlichen Abschwächung ein Rückgang der privaten Investitionstätigkeit zu beobachten war, erhöhte der Staat die Nachfrage durch eigene Investitionen und führte brachliegende Liquidität über den Weg der Kreditaufnahme in den Wirtschaftskreislauf zurück. Auf diese Weise wurde die Volkswirtschaft vor Wachstumsverlusten bewahrt, die gleichbedeutend sind mit Einkommensverlusten der Arbeitnehmer, der Wirtschaft und des Staates. Ihre antizyklische Funktion erfüllt die öffentliche Kreditpolitik, wenn im Aufschwung öffentliche Schulden beschleunigt abgebaut werden, falls sich die Gefahr einer Überforderung der Volkswirtschaft abzeichnet.“ Bundesministerium der Finanzen (Hg.) mit einem Vorwort von Franz Josef Strauß, Drei Jahre neuer Finanzpolitik, Bonn 1969, 21.

169 11.17 Weiterführende Literatur zur Finanzgeschichte von 1946-1969
Werner Abelshauser, Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1945, München 2. Aufl Nikolaus Adami, Die Haushaltspolitik des Bundes von 1955 bis 1965, Bonn 1970. Gerold Ambrosius, Staatsausgaben und Staatsquoten in der Bundesrepublik in den 50er Jahren. Ihre Einflußnahme im internationalen Vergleich, in: Dietmar Petzina (Hg.), Ordnungspolitische Weichen- stellungen nach dem Zweiten Weltkrieg, Berlin 1991, Bundesministerium der Finanzen (Hg.), Chronologie zur Finanzgeschichte , bearbeitet von Kurt-Dieter Wagner u.a., Bonn 1993. Kurt Düwell, „Etzel werde, sei und bleibe hart!“ Franz Etzel ( ) und die Anfänge einer Finanzpolitik „am Rande des Defizits“, in: Wilfried Feldenkirchen, Susanne Hilger, Kornelia Rennert (Hg.), Geschichte - Unternehmen - Archive, Essen 2008 , Klaus Franzen, Die Steuergesetzgebung der Nachkriegszeit in Westdeutschland ( ), Bremen 1994. Dieter Grosser, Die Rolle Fritz Schäffers als Finanzminister in den ersten beiden Kabinetten Konrad Adenauers, in: Wolfgang Mückl (Hg.), Föderalismus und Finanzpolitik. Gedenkschrift für Fritz Schäffer, Paderborn u.a. 1990, Wolfgang Kitterer, Öffentliche Finanzen und Notenbank, in: Deutsche Bundesbank (Hg.), Fünfzig Jahre Deutsche Bank. Notenbank und Währung in Deutschland seit 1948, München 1998, , insbes Jutta Muscheid, Die Steuerpolitik in der Bundesrepublik Deutschland , Berlin 1986. Wolfgang Renzsch, Finanzverfassung und Finanzausgleich. Die Auseinandersetzungen um ihre politische Gestaltung in der Bundesrepublik Deutschland zwischen Währungsreform und deutscher Vereinigung ( ), Habil. Göttingen 1991, Bonn 1991. Franz Josef Strauß, Finanzpolitik. Theorie und Wirklichkeit, Berlin 1969. Dietrich Yorck, Franz Etzel als Finanzpolitiker, in: Historisch-politische Mitteilungen 2 (1995),

170 12. Konjunkturpolitik der 70er Jahre
Freitag, , Uhr 12. Konjunkturpolitik der 70er Jahre

171 12.1 Stagflation der 70er Jahre
v.H. Quelle: Scherf (1986), 8f.

172 12.2 Fiskalschock der Konjunkturpolitik der 70er Jahre
v.H. NSP/BSP/BIP

173 12.3 Entwicklung des Finanzierungssaldos des Staats 1970-1982
v.H. BIP Quelle: BMF-Monatsbericht Mai 2009, 100 (Tab. 12).

174 12.4 Entwicklung des Finanzierungssaldos des Bundeshaushalts 1969-1982
Mrd. DM Quelle: Scherf (1986), 98.

175 12.5 Entwicklung der Deckungsquote des Bundeshaushalts 1969-1982
v.H. Quelle: Scherf (1986), 92.

176 12.6 Anstieg der öffentlichen Ausgaben 1969-1982
v.H. Quelle: Scherf (1986), 92.

177 12.7 Entwicklung der Sozialleistungsquote 1969-1982
v.H. BSP Quelle: Scherf (1986), 87.

178 12.8 Bundesfinanzminister 1969-1974
Name und Amtszeit Ergebnisse während der Amtszeit Alex Möller (SPD) ( ) starke Ausgabensteigerungen infolge der vor allem verteilungspolitisch motivierten Reformen der sozialliberalen Koalition Rücktritt infolge finanz- und währungspolitischer Turbulenzen Karl Schiller (SPD) ( ) Superminister für Wirtschaft und Finanzen Keynesianischer Steuerungsoptimismus: „Konjunktur ist nicht unser Schicksal, Konjunktur ist unser Wille.“ Wegbereiter des Schuldenstaats (von ihm nicht intendiert) Rücktritt wegen grundsätzlicher Differenzen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik mit seiner Partei Literatur: Torben Lütjen, Karl Schiller ( ). „Superminister“ Willy Brandts, Bonn 2007. Helmut Schmidt (SPD) ( ) Konjunkturprogramme als Reaktion auf die 1. Ölkrise Freigabe der Wechselkurse (Ende von Bretton Woods)

179 12.9 Bundesfinanzminister 1974-1982
Name und Amtszeit Ergebnisse während der Amtszeit Hans Apel (SPD) ( ) Steuerreform von 1975 mit Steuersenkungen Zukunftsinvestitionsprogramm von 1977 Quelle: Hans Apel, Staat ohne Maß. Finanzpolitik in der Sackgasse, Düsseldorf 1997. Hans Matthöfer (SPD) ( ) jährliche Steuerpakete Sparpolitik und eher angebots- orientierte Politik seit 1980 Literatur: Werner Abelshauser, Nach dem Wirtschaftswunder. Der Gewerkschafter, Politiker und Unternehmer Hans Matthöfer, Bonn 2009. Manfred Lahnstein (SPD) ( ) Übergangsminister Sparpolitik „Die sozialliberale Koalition ist letztlich an der Finanzpolitik gescheitert.“ (Thilo Sarrazin 1983, S. 373)

180 Verfassungspolitik/Sozialstaat
12.10 Political economy der 70er Jahre Verfassungspolitik/Sozialstaat harte tarifpolitische Auseinandersetzungen mit hohen Lohnabschlüssen Bund/Länder Bundesratsmehrheit gegen Bundestagsmehrheit Finanzpolitik als Instrument der Machtpolitik Parteipolitik scharfe Auseinandersetzungen Exekutive Planungs- und Steuerungseuphorie der Ministerialverwaltung Die Finanzpolitik ist in den 70er Jahren ein zentrales Konfliktfeld im politischen Machtkampf.

181 12.11 Quelle: Thilo Sarrazin aus dem Jahr 1983
„Es hätte von Anfang an entweder eine stärkere Zurückhaltung bei der Ausgabenentwicklung oder eine Absicherung des geplanten Ausgabenpfades durch dauerhafte Einnahmen geben müssen. So aber dominierten, vereinfacht ausgedrückt, auf der Ausgabenseite des Bundeshaushalts die Vorstellungen der SPD und auf der Einnahmenseite die Vorstellungen der FDP.“ „Es bestand und besteht ein krasses Missverständnis zwischen akribischen haushaltspolitischen Bemühungen im Bereich der unmittelbaren Bundesausgaben und einer eher sorglosen Nicht-beachtung der großen Strukturprobleme in der Sozialversicherung.“ Thilo Sarrazin, Die Finanzpolitik des Bundes – Eine kritische Würdigung –, in: Finanzarchiv N.F. 41 (1983), 375 und 382.

182 12.12 Weiterführende Literatur zur Finanzgeschichte der 70er Jahre
Gérard Bökenkamp, Das Ende des Wirtschaftswunders: Geschichte der Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik in der Bundesrepublik , Stuttgart 2010. Alexandra Ehrlicher, Die Finanzpolitik im Spannungsfeld zwischen konjunkturpolitischen Erfordernissen und Haushaltskonsolidierung, Berlin 1991. Jutta Muscheid, Die Steuerpolitik in der Bundesrepublik Deutschland , Berlin 1986. Claus-Martin Gaul, Konjunkturprogramme in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: Einordnung und Bewertung der Globalsteuerung von 1967 bis 1982, Berlin 2009 (= Info-Brief WD /09 der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags). Monika Hanswillemenke, Bernd Rahmann, Zwischen Reformen und Verantwortung für Vollbeschäftigung. Die Finanz- und Haushaltspolitik der sozial-liberalen Koalition von 1969 bis 1982, Frankfurt a.M Tim Schanetzky, Die große Ernüchterung: Wirtschaftspolitik, Expertise und Gesellschaft in der Bundesrepublik 1966 bis 1982, Berlin 2007. Thilo Sarrazin, Die Finanzpolitik des Bundes – Eine kritische Würdigung –, in: Finanzarchiv N.F. 41 (1983), Harald Scherf, Enttäuschte Hoffnungen – vergebene Chancen. Die Wirtschaftspolitik der Sozial-Liberalen Koalition , Göttingen 1986. Hans-Peter Ullmann, Im Strudel der „Maßlosigkeit“? Die „Erweiterung des Staatskorridors“ in der Bundesrepublik der sechziger bis achtziger Jahre, in: Ders., Staat und Schulden, Öffentlichen Finanzen in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert, hg. v. Hartmut Berghoff und Till van Rahden, Göttingen 2009,

183 13. Konsolidierungspolitik der 80er Jahre
Freitag, , Uhr 13. Konsolidierungspolitik der 80er Jahre

184 13.1 Konsolidierungspolitik der 80er Jahre
v.H. NSP/BSP/BIP

185 13.2 Entwicklung des Finanzierungssaldos des Staats 1982-1989
v.H. BIP Quelle: BMF-Monatsbericht Juli 2010, 122 (Tab. 12).

186 13.3 Entwicklung des Finanzierungssaldos des Bundeshaushalts 1982-1988
Mrd. DM Quelle: Suntum (1989), 6.

187 13.4 Entwicklung der Gewinnüberweisung der Bundesbank 1982-1988
Mrd. DM Quelle: Suntum (1989), 6.

188 13.5 Entwicklung der Sozialleistungsquote 1982-1988
v.H. BSP Quelle: Suntum (1989), 6.

189 13.6 Ausgabenstruktur des Bundeshaushalts von 1983
Steigende Renten-, Arbeitsmarkt- und Sozialausgaben Zinsanteil relativ hoch aufgrund starker Verschuldung in den 70er Jahren und hohem Zinsniveau relativ hoher Anteil der Verteidigungsausgaben wegen des Kalten Kriegs 1983

190 13.7 Steuerreformen der 80er Jahre
Unter der Leitung von Bundesfinanzminister Gerhard Stoltenberg wird eine dreistufige Steuerreform durchgesetzt, die die Steuerstruktur verbessert und die Steuern senkt, um dadurch die marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für private Initiativen günstiger zu gestalten: Die erste Stufe 1986 entlastet Familien und Bezieher geringerer Einkommen. Die zweite Stufe 1988 führt zu einer weiteren, deutlichen Abflachung der Steuerprogression und zur Verbesserung der Sonderabschreibungsmöglichkeit für kleine und mittlere Betriebe. Die dritte Stufe 1990 realisiert das wichtigste Element, die Einführung des linear-progressiven Einkommensteuertarifs mit einem jeweils um 3 Prozentpunkte abgesenkten Eingangs- und Höchststeuersatz. Mit der nachhaltigen Senkung der Steuersätze geht auch eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage durch einen Abbau von steuerlichen Vergünstigungen und Sonderregelungen einher. Das Steuerentlastungsvolumen umfasst brutto fast 39 Mrd. DM bzw. netto rund 25 Mrd. DM.

191 13.8 Gerhard Stoltenberg: Bundesfinanzminister 1982-1989
Ergebnisse während der Amtszeit Sparpolitik (insbesondere ) Erhöhung der Sozialabgaben dreistufige Steuerreform 1986/88/90 mit deutlichen Entlastungen Verkauf Bundesanteile u.a. von VW AG, VIAG, VEBA AG Angebotsorientierte Finanz- und Ordnungspolitik

192 13.9 Kohl als deutsche Antwort auf Reagan und Thatcher?
Aspekte USA GB Geistige Wegbereiter F.A. von Hayek Milton Friedman J. Buchanan F.A. von Hayek (persönlicher Kontakt zu Thatcher) Anthony Fischer (Institute of Economic Affairs) Politische Triebkräfte Liberale Think Tanks Ronald Reagan (Gouverneur von Kalifornien, Präsident) Margaret Thatcher (Oppositionsführerin, Premierministerin) Ökonomische Ausgangslage Stagflation Keynesianische Wirtschaftspolitik seit der Weltwirtschaftskrise Stagflation mit hoher Arbeitslosigkeit „Englische Krankheit“ (mangelnde Wettbewerbsfähigkeit) Ausgebauter Wohlfahrtsstaat Extrem mächtige Gewerkschaften Politik Reduzierung Staatswachstum Reduzierung Steuern Reduzierung Inflation durch Geldmengenbegrenzung Deregulierung Hohe Militärausgaben Ende Mixed Economy Privatisierungen Ende Zusammenarbeit mit Gewerkschaften Abbau Sozialstaat Reduzierung Inflation Inkaufnahme steigender Arbeitslosigkeit und hoher sozialer Ungleichheiten Quelle: Michael von Prollius, Deutsche Wirtschaftsgeschichte nach 1945, Göttingen 2006, 229f.

193 Verfassungspolitik/Sozialstaat
13.10 Political economy der 80er Jahre Verfassungspolitik/Sozialstaat moderate Reduzierung des Sozialstaats Finanzpolitik als Instrument der Machtpolitik Bund/Länder relativ wenig Konflikte Parteipolitik stabile Koalitionsregierung Exekutive Kanzleramt als Machtzentrum Finanzministerium relativ schwach

194 13. 11 Quelle: Helmut Kohls erste Regierungserklärung vom 13
13.11 Quelle: Helmut Kohls erste Regierungserklärung vom 13. Oktober 1982 „Die Ansprüche an den Staat und die Systeme der sozialen Sicherung wurden an der optimistischen Vorstellung eines ständigen und kräftigen Wachstums der Wirtschaft orientiert. Als diese hohen Wachstumsraten ausblieben, fehlte es an Einsicht und Kraft, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen und die notwendigen Korrekturen durchzusetzen. Wir haben … ein haushaltspolitisches Dringlichkeitsprogramm beschlossen, das die zerrütteten Bundesfinanzen neu ordnen soll. Dabei wollen wir vorrangig die öffentliche Neuverschuldung durch eine strenge Haushaltsdisziplin wieder unter Kontrolle bringen. Nach den jetzt vorliegenden katastrophalen Ergebnissen der Bestandsaufnahme werden wir für 1982 unverzüglich einen weiteren Nachtragshaushalt einbringen. Insgesamt stellen wir mit diesem Dringlichkeitsprogramm die Weichen zur Erneuerung: weg von mehr Staat, hin zu mehr Markt; weg von kollektiven Lasten, hin zur persönlichen Leistung; weg von verkrusteten Strukturen, hin zu mehr Beweglichkeit, Eigeninitiative und verstärkter Wettbewerbsfähigkeit.“ Helmut Kohl, Regierungserklärung vom 13. Oktober 1982

195 13.12 Weiterführende Literatur zur Finanzgeschichte der 80er Jahre
Norbert Andel, Die Steuerreformen der 80er Jahre: Erreichtes und Aufgeschobenes, in: Diether Döring, Paul Bernd Spahn (Hg.), Steuerreform als gesellschaftliche Aufgabe der neunziger Jahre, Berlin 1991, Gérard Bökenkamp, Das Ende des Wirtschaftswunders: Geschichte der Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik in der Bundesrepublik , Stuttgart 2010. Ulrich Johann, Die Steuergesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland von 1983 bis 1998: die Zeit der christlich-liberalen Koalition, Frankfurt a.M. u.a Ulrich Suntum, Finanzpolitik in der Ära Stoltenberg, Bochum 1989 (= Diskussionsbeiträge der Ruhr-Universität Bochum, Seminar für Wirtschafts- und Finanzpolitik Nr. 8; auch veröffentlicht in: Kredit und Kapital 23 (1990), Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 5: Bundesrepublik und DDR , München 2008. Andreas Wirsching, Abschied vom Provisorium. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland , München 2006, Klaus Zimmermann, Zur Realität von Kurswechseln, Wenden und ähnlichen Manövern aus budgetpolitischer Sicht, in: Der Gemeindehaushalt 9 (1984), Reimut Zohlnhöfer, Die Wirtschaftspolitik der Ära Kohl. Eine Analyse der Schlüsselentscheidungen in den Politikfeldern Finanzen, Arbeit und Entstaatlichung, , Opladen 2001. Ders., Globalisierung der Wirtschaft und finanzpolitische Anpassungsreaktionen in Westeuropa, Baden-Baden 2009.

196 14. Fiskalschock der Deutschen Einheit
Freitag, , Uhr 14. Fiskalschock der Deutschen Einheit

197 14.1 Fiskalschock der Deutschen Einheit und der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008/09
v.H. NSP/BSP/BIP Quelle: BMF-Monatsbericht August 2012, 72 (Tab. 9), 73 (Tab.10) und 80 (Tab. 14).

198 14.2 Auswirkungen der Finanz- und Bankenkrise auf den Schuldenstand
Quelle: BMF

199 14.3 Entwicklung des Finanzierungssaldos und des Wirtschaftswachstums seit 1989
v.H. BIP Quelle: BMF-Monatsbericht September 2014, 108 (Tab. 14) und Statistisches Bundesamt.

200 14.4 Entwicklung der Schuldenquoten von Frankreich, Großbritannien und Deutschland seit 1980
v.H. BIP Quelle: BMF-Monatsbericht September 2014, 110 (Tab. 16).

201 14.5 Entwicklung der Schuldenquoten der USA, Irland und Schweden seit 1980
v.H. BIP Quelle: BMF-Monatsbericht September 2014, 110 (Tab. 16).

202 14.6 Entwicklung der Schuldenquoten von Japan, Italien, Belgien und Griechenland seit 1980
v.H. BIP Quelle: BMF-Monatsbericht September 2014, 110 (Tab. 16).

203 14.7 Ausgabenstrukturen des Bundeshaushalts von 2007
Zuschuss an Rentenversicherung als mit Abstand größter Kostenblock hohe Arbeitsmarktausgaben wegen struktureller Arbeitslosigkeit hoher Zinsanteil aufgrund hoher Verschuldung relativ niedriger Anteil der Verteidigungsausgaben („Friedensdividende“) 2007

204 14.8 Langfristig gebundene und politisch verfügbare Ausgaben im Bundeshaushalt 1970 - 2009
Schuldendienst Sozialhilfe/ALG II Zuschüsse zu den Sozialversicherungen Personal Verteidigung Kriegsfolgelasten Quelle: Wolfgang Streeck, Daniel Mertens, Politik im Defizit: Austerität als fiskalpolitisches Regime, in: MPIfG Discussion Paper 10/5 (2010), 17 (Abbildung 3).

205 14.9 Entwicklung des Primärsaldos des Bundeshaushalts seit 1969
Mrd. Euro Quelle: BMF-Monatsbericht August 2013, 94f. (Tab. 5 und 6) und Entwurf Haushaltsgesetz 2015 (BT-Drucksache 17/2000), jeweils eigene Berechnungen.

206 14.10 Entwicklung finanzwirtschaftlicher Kennzahlen des Bundeshaushalts seit 1969
v.H. Quelle: BMF-Monatsbericht August 2013, 94f. (Tab. 5 und 6) und Entwurf Haushaltsgesetz 2015 (BT-Drucksache 17/2000), jeweils eigene Berechnungen.

207 14.11 Umschichtung der Staatsfinanzierung von direkten zu indirekten Steuern seit 1989
v.H. des gesamten Steueraufkommens Quelle: BMF-Monatsbericht September 2014, 101f. (Tab.10).

208 14.12 Senkung der Einkommensteuer
In Tsd. Euro % Quelle: Peter Bofinger, Präsentation beim 5. Deutschen Kämmerertag.

209 14.13 Senkung der Unternehmensteuern
v.H.

210 14.14 Erhöhung der Mehrwertsteuer

211 14.15 Fiskalföderalismus in der Berliner Republik
Sonderförderung der neuen Bundesländer bis 2019 Keine wirkliche Entflechtung von Bundes- und Landes-aufgaben im Zuge der Föderalismusreform Weiterhin Konkordanzföderalismus Verbot der Schuldenaufnahme der Länder ab 2020

212 14.16 Theo Waigel, Bundesfinanzminister 1989-1998
Ergebnisse während der Amtszeit Finanzierung der deutschen Einheit (über Kredite, Steuern und Sozialabgaben) Versuch einer großen Steuerreform 1998 Privatisierung Post und Telekom Verhandlung über Euro und Maastricht-Kriterien

213 14. 17 Oskar Lafontaine, Bundesfinanzminister vom 27. 10. 1998 bis 18
Ergebnisse während der Amtszeit ökologische Steuerreform „Der letzte Keynesianer“: Versuch einer keynesianischen Finanzpolitik Initiative zur Veränderung des Weltwährungssystems Rücktritt wegen Differenzen mit dem Bundeskanzler

214 14.18 Hans Eichel, Bundesfinanzminister 1999-2005
Ergebnisse während der Amtszeit Sparpolitik (insbesondere 1999/2000) deutliche Senkung der Einkommensteuersätze in drei Stufen Unternehmensteuerreform Versuch einer Gemeindefinanzreform Nettoneuverschuldung-Null als Ziel Verletzung der Maastricht-Kriterien

215 14.19 Peer Steinbrück, Bundesfinanzminister 2005-2009
Ergebnisse während der Amtszeit Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 % Kürzung von Steuersubventionen Unternehmensteuerreform Reform der Finanzverfassung Verankerung einer Schuldenbremse ins Grundgesetz Nettoneuverschuldung-Null in 2008 erstmals seit fast vier Jahrzehnten fast erreicht Konjunkturprogramme und Bankenrettung in der Wirtschafts- und Finanzkrise Massive Neuverschuldung in 2009

216 14.20 Wolfgang Schäuble, Bundesfinanzminister seit 2009
Ergebnisse während der Amtszeit Schuldenkrise im Euro-Raum Abwehr von Steuersenkungswünschen Erster ausgeglichener Bundeshaushalts seit 1969

217 14.21 Erster ausgeglichener Bundeshaushalt seit 1969

218 14. 22 Aus der Geschichte gelernt
14.22 Aus der Geschichte gelernt? Vergleich der Politik 1929/33 und heute

219 Verfassungspolitik/Sozialstaat
14.23 Political economy seit 1990 Verfassungspolitik/Sozialstaat Harte Auseinandersetzungen zw. Regierung und Gewerkschaften aufgrund Schröders Agenda 2010 Finanzpolitik als Instrument der Machtpolitik Bund/Länder Sonderproblem der Integration der fünf neuen Länder; Weiterhin Konkordial- Föderalismus Politisierung des Bundesrats Parteipolitik relative Instabilität im Parteiensystem und wechselnde Regierungen Exekutive Kanzleramt als Machtzentrum Finanzministerium häufig relativ schwach

220 14.24 Quelle: Haushaltsstaatssekretär Manfred Overhaus im Jahr 2002
„Der generelle Verzicht auf eine öffentliche Neuverschuldung ist nicht nur ökonomisch, sondern auch fiskalisch vernünftig: Die Kredite, die der Bund von 1972 bis 2002 aufgenommen hat bzw. noch aufnimmt, reichen gerade aus, um die in diesem Zeitraum zu zahlenden Zinsen zu bezahlen: (Summe der Kredite: 569 Mrd. Euro, Summe der Zinsen: 538 Mrd. Euro, Differenz: 31 Mrd. Euro in 30 Jahren). Mit anderen Worten: Ohne die Neuverschuldung hätten wir uns in etwa die gleichen Ausgaben – also auch Investitionen – leisten können, nur hätten wir dann heute nicht die hohen Zinsverpflichtungen von rd. 20 v.H. unserer Steuereinnahmen.“ Haushaltsstaatssekretär Manfred Overhaus, Rede am an der Universität in Kiel

221 14.25 Weiterführende Literatur zur Finanzgeschichte seit 1990
Maximilian Grasl, Markus König, Von außen getrieben. Die Finanzpolitik der Großen Koalition , in: Christoph Egle, Reimut Zohlnhöfer (Hg.), Das zweite Große Koalition. Eine Bilanz der Regierung Merkel , Wiesbaden 2010, Heinz Grossekettler, Die ersten fünf Jahre. Ein Rückblick auf die gesamtdeutsche Finanzpolitik der Jahre 1990 bis 1995, in: Finanzarchiv N.F. 53 (1996), Wolfgang Kitterer, Rechtfertigung und Risiken einer Finanzierung der deutschen Einheit durch Staatsverschuldung, in: Karl-Heinrich Hansmeyer (Hg.), Finanzierungsprobleme der deutschen Einheit, Bd. 1, Berlin 1993, Walther Otremba, Finanzpolitik die Dämme haben gehalten, in: Wirtschaftsdienst 79 (1999), Wolfgang Renzsch, Die Finanzierung der deutschen Einheit und der finanzpolitische Reformstau, in: Wirtschaftsdienst 78 (1998), Gerhard A. Ritter, Der Preis der deutschen Einheit. Die Wiedervereinigung und die Krise des Sozialstaats, München 2. Aufl Wolfgang Streeck, Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus, Berlin 2013. Roland Sturm, Die Wende im Stolperschritt. Eine finanzpolitische Bilanz, in: Göttrik Wewer (Hg.), Bilanz der Ära Kohl. Christlich-liberale Politik in Deutschland , Opladen 1998, Uwe Wagschal, Auf dem Weg zum Sanierungsfall? Die rot-grüne Finanzpolitik seit 2002, in: Christoph Egle, Reimut Zohln-höfer (Hg.), Ende des rot-grünen Projekts: Eine Bilanz der Regierung Schröder , Wiesbaden 2007, Florian Zinsmeister, Die Finanzierung der deutschen Einheit – Zum Umgang mit den Schuldlasten der Wiedervereinigung, in: Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung 78 (2009), Reimut Zohlnhöfer, Die große Steuerreform 1998/99: Ein Lehrstück für Politikentwicklung bei Parteienwettbewerb im Bundestag, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 30 (1999), Ders., Der lange Schatten der schönen Illusion: Finanzpolitik nach der deutschen Einheit, , in: Leviathan. Zeitschrift für Sozialwissenschaft 28 (2000), Ders., Rot-grüne Finanzpolitik zwischen traditioneller Sozialdemokratie und neuer Mitte, in: Christoph Egle, Tobias Ostheim, Reimut Zohlnhöfer (Hg.), Das rot-grüne Projekt. Eine Bilanz der Regierung Schröder , Wiesbaden 2003,

222 15. Checkliste zum Anfertigen einer Hausarbeit (I)
1. Themenwahl: Welches Thema interessiert mich? 2. Literaturrecherche und -beschaffung: Die Qualität der Hausarbeit hängt maßgeblich von der benutzten Literatur ab! Literaturrecherche und -beschaffung erfordern relativ viel Zeit. 3. Wissenschaftliche Belege: Prinzipiell muss jede (Kern-)Aussage über eine Fußnote belegt werden. 4. Erkenntnisinteresse: Die Hausarbeit muss eine oder mehrere Fragestellungen (oder Thesen) haben. Mittels der Fragestellung wird die Literaturfülle überblickt und die Hausarbeit gegliedert. Sie ist der rote Faden der Arbeit. 5. Gliederung: Je klarer die Gliederung ist, desto leichter schreibt und liest sich die Arbeit. Der rote Faden sollte unbedingt zu erkennen sein! 6. Einleitung: Die Einleitung sollte zuletzt geschrieben werden, damit sie zum Text passt. In ihr ist auf jeden Fall die Fragestellung und der Aufbau der Arbeit zu beschreiben. Sie sollte nicht zu lang sein (nicht mehr als eine Seite). 7. Hauptteil: Im Hauptteil sollten nicht zu viele Details aufgezeigt werden. Die Gefahr besteht darin, zu deskriptiv (beschreibend) und zu wenig analysierend zu arbeiten. Ein paar Eye-catcher (Graphiken, Tabellen, ggf. Fotos) können auflockern.

223 15. Checkliste zum Anfertigen einer Hausarbeit (II)
8. Schluss: Der Schluss beantwortet die Fragestellung(en) der Hausarbeit. Er besteht aus einer (wertenden) Zusammenfassung und – wenn möglich – einem kurzen Ausblick. Der Schluss ist der vielleicht wichtigste Teil der Hausarbeit und sollte daher auch in zeitlicher Hinsicht angemessen bearbeitet werden. 9. Literaturverzeichnis: Lieber mehr Literatur als zu wenig! Viele Lexika und Internetquellen sind übrigens nicht zitierfähig. 10. Stil: Einfach und verständlich ausdrücken. Nicht zu lange Sätze formulieren. Nicht zu viele Füllwörter benutzen. 11. Korrekturlesen: Am besten wird die Arbeit von einer anderen Person Korrektur gelesen. Rechtschreib-, Grammatik- und Stilfehler können eine Arbeit ganz erheblich verschlechtern. 12. Umfang: ca. 15 Seiten 13. Ausführliche Hinweise (auch zur formalen Gestaltung): Manuel René Theisen, Wissenschaftliches Arbeiten, 13. Aufl., München (Preis: 13,00 €)


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