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Nationenbau und Minderheiten in Osteuropa

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Präsentation zum Thema: "Nationenbau und Minderheiten in Osteuropa"—  Präsentation transkript:

1 Nationenbau und Minderheiten in Osteuropa
Albert F. Reiterer Nationenbau und Minderheiten in Osteuropa Europäistik Kurs 2004 / 2005

2 Dimensionen sozialen / politischen Verhaltens
Soziale Persönlichkeit Dimensionen Identität Interesse Wertorientierung (Materielle) Ansprüche (Orientierung in der Welt) Nutzung der Welt Politik als Kampf um Kampf um Hegemonie Ressourcen Hale 2004: Identity is „the set of points of personal reference on which people rely to navigate the social world they inhabit, to make sense of the myriad constellations of social relationships that they encounter, to discuss their place in these constellations, and to understand the opportunities for action in this context. It is, in a certain way, a kind of social radar, a conceptual device through which people come to see where they stand in relation to the human environment. In the most basic sense, then, groups are defined by common relationships to points of social reference” (463). “People strive for certainty only in those areas of life that are subjectively important to them … When intergroup categorization and interpersonal similarity are pitted against each other, categorization prevails” (465). – “Identity, then, is necessarily both situational and ever changing” (466). Castells 1997: „Our world and our lives are being shaped by the conflicting trends of globalization and identity” (1). “By identity … I understand the process of construction of meaning on the basis of cultural attributes, that is / are given priority over other sources of meaning. For a given individual, or for a collective actor, there may be a plurality of identities. Yet, such a plurality is a source of stress and contradiction of both self-representation and social action. ... Identities are sources of meanings by the actors, and by themselves, constructed by a process of individuation. … Yet, identities are stronger sources of meaning than roles, because of the process of self-construction and individuation that they involve. … Identities organize the meaning while roles organize the functions. I define meaning as the symbolic identification by a social actor of the purpose of her / his action. … Meaning is organized around a primary identity (that is an identity that frames the others), that is self-sustaining across time and space” (6 f.).

3 Nationenbau: Eine Skizze der Entwicklungslinien und Kontinuitäten
Nation ist eine historische Legitimationsstruktur für den modernen bürokratischen Staat. Sie baut die moderne Gesellschaft in einer je nach Verfasstheit abgegrenzten Personengesamtheit als „System“ unter dem Aspekt, dass sie durch eine gemeinsame nationale Identität eine pathetische politisch-soziale Loyalität vertikal und horizontal herstellt und dadurch die Grundlage oder den Tatbestand eines politischen Systems, und zwar eines modernen Staats legitimiert. Nationalstaat ist der moderne Staat, welcher sich auf Volkssouveränität als grundlegendes Legitimierungsprinzip stützt, wobei er an seiner Basis, dem souveränen Volk, den Aspekt der Gemeinschaftlichkeit hervorhebt und gemeinsame Identität anstrebt. Nationalismus wird in zwei deutlich voneinander unterscheidbaren Bedeutungen gebraucht, welche häufig nicht auseinander gehalten werden: I) Er kennzeichnet die Stimmungen, Gefühle und Haltungen der Angehörigen einer Nation, welchen die Zugehörigkeit zu einer Nation, die wir als nationale Identität bezeichnen, bewusst und selbstverständlich ist. Sie ziehen daraus den normativen Schluss, dass Solidaritätspflichten gegenüber ebenso Denkenden, nämlich den Ko-Nationalen, bestehen. Das ist „Gemeinschaftlichkeit“ (Max Weber 1976). II) Der Ausdruck bezeichnet aber auch eine Klasse von politischen Bewegungen. Je nach der Verfasstheit der Nation streben sie einen eigenen Staat entweder an; oder aber sie messen diesem schon bestehenden eigenen Staat hohen Wert und hohe Priorität in ihren Entscheidungen, nicht aber notwendig erste Priorität zu. Dementsprechend richten sie ihr politisches und parapolitisches Handeln aus.

4 Nationenbau als internationaler Prozess
Nationenbau findet statt als Prozess des Aufbaus eines politischen Weltsystems nach Zentrum und Peripherien Internationales System („Westfälisches System“) Nationenbildung Nationales Projekt nachnationales Verständnis Nation in der globalisierten Welt Nationenbau ist ein Prozess im Rahmen des Aufbaus modernen Gesellschaften und insbesondere ihres Steuermechanismus, des modernen Staats. Dieser Prozess findet als Aufbau des politischen Weltsystems der neueren Geschichte statt, ist ein internationaler, globaler Prozess, der nur unter globalen Perspektive verstanden werden kann. Gellner’s Wort der „Zeitzonen“ der nationalen Entwicklung von West nach Ost ist ein Metapher für die Entwicklung des Weltsystems. Es ist ein grobes Modell des Aufbaus eines Weltsystems in Zentrum und Peripherien. Mit dem Westfälischen Frieden von 1648 ging die christlich-universalistische Auffassung endgültig unter. Sie hatte eine einheitliche Religion und auch eine einzige hierarchische politische Struktur für die gesamte Menschheit erstrebt. Sie war stets eine Ideologie und nie eine Wirklichkeit gewesen. Es ist der endgültige politische Sieg der Reformation über die angeblich universale Kirche, die vor allem ein universaler Herrschaftsanspruch gewesen war, der jetzt radikal ausgehöhlt wurde. Nun trat an ihre Stelle der staatliche Partikularismus grundsätzlich gleichberechtigter politischer Einheiten. Der ausformulierte Souveränitätsbegriff ist eine essentielle Voraussetzung für den Aufbau der Nation und vor allem des Nationalstaats. Die Theoretiker dieses Staatsaufbaus sind Jean Bodin (Souveränität), Hugo Grotius (Natur- und Völkerrecht), Thomas Hobbes, John Locke und Jean-Jacques Rousseau (Gesellschaftsvertrag und Volkssouveränität).

5 Das internationale System: „Völkerrecht“
Die Staaten müssen (sollen) sich an gewisse Regeln des zivilisierten Umgangs miteinander halten, die vom „Naturrecht“ – d. h. vom allgemeinen Verständnis der Zeit von Gerechtigkeit und Dezenz – vorgegeben sind. Hugo Grotius 1609: Mare Liberum Hugo Grotius 1625: De Jure Belli ac Pacis Samuel von Pufendorf 1672: De jure naturae et gentium Suche nach Gewissheit in einer säkularisierten Welt von Einzelstaaten, nach Sicherheit in der Beziehung zwischen partikularen Souveränitäten: «Vernunft» und «die Übereinstimmung Aller» (oder auch nur «Vieler») enthüllt Naturrecht und Naturgesetz: Die menschliche Gattung ist eine Einheit, daher gibt es ein allgemeines Recht. Europäischer Suprematismus: christliche Offenbarung legt ebenso Regeln fest wie das „Naturrecht“ Der selbsttragenden Modernisierungsprozess seit Beginn des 16. Jahrhunderts brachte eine starke Zunahme des materiellen Wohlstands, aber auch einen zugespitzten Kampf um die Ressourcen der Welt. Das war ein großregionaler europäischer Prozess, strukturiert nach Zentrum und Peripherien. Kulturell resultierte er in der Bildung neuer Eliten („bürgerliche Intellektuelle“), welche sich auf überlokale und überregionale politische Einheiten als soziale Referenzgrößen orientierten – auf die künftigen „Nationen“. Der Prozess lief ab in der Ausbreitung der Lebensstile solcher Eliten, insbesondere von Individualisierung als Lebensstil. Der westeuropäische Nationenbau wurde als politisches Organisationsprinzip im 19. Jahrhundert von allen Staaten übernommen und diente in wenig entwickelten Gesellschaften und im 20. Jh. in der Dritten Welt bald als Modernisierungsstrategie. Die Reichweite des Nationalstaats ist durch seine territorialen Grenzen gegeben. In einer sich globalisierenden Gesellschaft gehen die Strukturbeziehungen über diese Grenzen hinaus. Die Reformation hatte in Europa jeden ernsthaften Anspruch auf organisierte Universalität aufgelöst. Welche Regulierung gibt es, wenn eine Vielheit von Staaten nicht in Anarchie pur verfallen soll? Für den Umgang von Staaten miteinander soll das „Völkerrecht“ Regeln vorgeben. Der Niederländer Hugo Grotius (1583 – 1645) forderte ein „freies Meer“ und definierte 1625 das „Recht von Krieg und Frieden“. Seine politische Stoßrichtung ging gegen den Konkurrenten England. Sein intellektuelles Anliegen war die Suche nach Gewissheit und nach der Sicherheit einer festen Ordnung. Er fand sie in einer allgemeingültigen Logik, die er als Ontologie deutete. Die „Natur“ gibt eine ewige Ordnung vor, welche selbst Gott nicht abändern kann. Er findet seinen Archimedischen Punkt für das Problem der Regelhaftigkeit in der Übereinstimmung zumindest „der höher zivilisierten Nationen“ (europäischen Suprematismus). Gott habe die Welt erschaffen, und durch dreifache Offenbarung nach der Schöpfung, nach der Sintflut und mit Christus auch „göttliches gesatztes Recht“ gegeben.

6 Souveränität Der Staat wird zum autonomen System gegenüber und über der Gesellschaft: Ein Regierungssystem mit einer Bürokratie, das höchste Gewalt über Leben und Tod der Untertanen beansprucht? Wie kann er das rechtfertigen? Jean Bodin 1576: Les six livres de la Republique (Lateinische Fassung: De Republica libri sex): Staat („la republique“, respublica) ist „eine richtige Regierung in voller Souveränität über mehrere Haushalte sowie das, was ihnen gemeinsam ist“. Der „Staat“ ist also nicht eine Assoziation von Individuen, sondern von Kleingruppen. Problemstellung: In der fortschreitenden Entwicklung konstituiert sich die Autonomie des politischen Systems. Das führt zur bürgerlichen Emanzipation und Individualisierung. Herrschaft muss daher gerechtfertigt werden (Legitimationsproblematik). Aber wie? Jean Bodin sagt einfach: Die Bürger (francs subiects) sind dem Herrscher Gehorsam schuldig. Warum eigentlich? Der ausformulierte Souveränitätsbegriff ist essentielle Voraussetzung für den Aufbau der Nation und des Nationalstaats. Bodin hebt zwei Notwendigkeiten hervor, ohne die er keinen Staat sieht. „Es muss auch etwas geben, was allen gemeinsam und öffentlich ist.“ Dazu kommt: „Jedoch dürfen nicht alle Dinge, einschließlich Frauen und Kinder, gemeinsamer Besitz sein, wie Plato dies wünscht. Er beabsichtigt nämlich, die Begriffe ‚mein’ und ‚dein’ auszulöschen, da sie die Ursache für alle Unglücksfälle und Zusammenbrüche von Staaten seien. … Denn es gibt nichts Öffentliches, wenn es kein Eigentum gibt. Das Öffentliche kann nur in Bezug auf das Private gedacht werden“ (1, 2). Souveränität ist politische Struktur und muss sich von umfassenden sozialen Herrschaftsbeziehungen lösen. Der Staat ist eine autonome Struktur mit eigenen Erfordernissen, abgebildet am Einzelelement, dem „Haushalt“, mit einer herrschaftliche Binnenstruktur. Nicht Herrschaft unterscheidet Staat und Gesellschaft voneinander. „Die häusliche gleicht der souveränen Gewalt“ (2,2). Die gesellschaftliche Beziehungen kommen indirekt ins Spiel im hochwichtigen Begriff des Eigentums parallel zur Souveränität. Er ist politisch formuliert und garantiert, gehört jedoch in den Bereich der sich jetzt langsam ausbildenden Zivilgesellschaft. Vor dem Nationenaufbau kommt also historisch der Staatsaufbau. Wenn heute im Englischen (z. B. von der US-Regierung“) von „nation-building“ gesprochen wird, ist gewöhnlich der Aufbau eines modernen und funktionierenden Staats gemeint. –Politische Herrschaft muss aber legitimiert werden. Die Herrschaftsinstitutionen, die Regierung, die Bürokratie und die Justiz, müssen von einem grundsätzlichen Konsens der Bürger getragen werden, von der Zustimmung fast aller. Das gilt nicht für die Einzelpersonen, wohl aber für die Institutionen.

7 Legitimität - der „Gesellschaftsvertrag“
Thomas Hobbes 1651: Leviathan Im Naturzustand herrscht ein Krieg Aller gegen Alle (Bellum Omnium contra Omnes) Das erfordert zum Überleben des Einzelnen eine Friedensordnung John Locke 1690, Zwei Abhandlungen über die Regierung Wenn die Herrscher ihre Verpflichtungen nicht einhalten, gibt es ein Widerstandsrecht Jean-Jacques Rousseau 1762: Der Gesellschaftsvertrag erzeugt einen Allgemeinwillen Staat und Gesellschaft entstehen also aus einem „Vertrag“, in dem die Bürger Teile ihrer ursprünglichen anarchischen Freiheit an eine Regierung abtreten. Dazu gehört insbesondere das Recht, ihre berechtigten Ansprüche selbst gegen andere durchzusetzen: Der Staat hat ein „Gewaltmonopol“. Der „Gesellschaftsvertrag ist keine Beschreibung eines wirklichen Geschehens, sondern ein Denkmodell mit normativem Charakter. The “natural state” is “that miserable condition of war which is necessarily consequent, as hath been shown, to the natural passions of men when there is no visible power to keep them in awe, and tie them by fear of punishment to the performance of their covenants, and observation of those laws of nature” (Hobbes 1651, part 2, ch. XVII). Was geschieht aber, wenn die Herrschenden (die Regierung z. B.) ihren Teil des Vertrags nicht einhalten und sich weigern, abzutreten, oder aber die wichtigsten Anliegen der Bürger zu erfüllen? “Wo die Anrufung des Gesetzes und ernannter Richter offensteht, die Hilfe aber durch offensichtliche Verkehrung und unverhüllte Rechtsverdrehung verweigert wird, um die Gewalttätigkeit und das Unrecht einiger Menschen oder einer Partei zu protegieren und straflos zu halten, da fällt es schwer, sich etwas anderes vorzustellen als einen Kriegszustand. ... Denn der Sinn der Gesetze ist es, durch vorurteilsfreie Anwendung auf alle, die unter ihnen stehen den Unschuldigen zu schützen und ihm zu seinem Recht zu verhelfen. Wo dies nicht bona fide geschieht, wird gegen den Leidtragenden der Krieg erklärt. Ihnen bleibt dann nur als einziger Ausweg, den Himmel anzurufen, da sie auf Erden keine Instanz haben, die ihnen zu ihrem Recht verhilft” (Locke 1690, II, 3, § 20). Weniger verhüllt und in heutiger Sprache ausgedrückt: Es bleibt nur der bewaffnete Kampf (z. B. auch: Terrorismus), wenn Regierungen vitale Anliegen der Bevölkerung vernachlässigen und sich selbst den Regeln nicht beugen. Die Schwelle zum Einsatz von Gewalt ist in ethnischen und nationalen Konflikten besonders niedrig, da es dabei nicht um einfache Interessen, sondern um Identitäten geht.

8 Volkssouveränität: Wo liegen die Grenzen des „Volks“?
Gleichheit (egalité, equality): Egalitarismus ist nicht irgendein politisches Ziel. Es ist ein emphatischer normativer Begriff, welcher anthropologisch eine politische Strategie und die Grundlage des politischen Projekts der Moderne darstellt. Die Spannung zwischen dem utopischen Endgehalt des Begriffs und der nüchternen und umstrittenen Verwirklichung im politischen Alltag das Pathos der Nation. Weder Bodin noch die Kontraktualisten haben aber die Frage nach den richtigen Grenzen beantwortet. Nach außen werden Grenzen gezogen durch: das politische Projekt Sprache Religion, Weltanschauung ethnische und nationale Identität Staatsbürgerschaft Wirtschaftssystem „Le desir d‘être ensemble“ (Ernest Renan 1882): Nation wird durch nationale Identität als Trägerin eines politischen Projekts zur abgegrenzten „Gemeinschaft“ Die Moderne war eine Emanzipation des Menschen aus Banden der persönlichen Abhängigkeit und Unterdrückung in traditionalen Gesellschaften hin zu einem langfristig angelegten Prozess der Individualisierung. Sie war der Aufbau von Großorganisation, welche zu neuen, engmaschigen, aber unpersönlich aufgefassten Abhängigkeiten in bürokratischen Herrschaftssystemen führte („organische Solidarität“ durch soziale Arbeitsteilung – Durkheim). Der nationale Aufbau führt zu einer langsamen Ausweitung der politischen Partizipation (Beteiligung am politischen Leben), eine bottom up-Bewegung. Dies ist in der nationalen Ideologie und ihrem Kernstück, der Volkssouveränität, angelegt. „Democracy was born with the sense of nationality: the two were inherently linked“ (Lia Greenfield 1992). Weiter: „In Europe, at any rate, the end of the nation-state would indeed mean the end of democracy as we know it“ (Jean Marie Guehenno). “Nation“ ist der politisch partizipierende Teil der Bevölkerung, dessen Partizipation – z. B. durch Wahlrecht – dem staatlichen Herrschaftsapparat die Legitimation seiner Existenz liefert. Das Wahlrecht als Paradigma der Partizipation hat sich im Laufe des 19. Jahrhunderts ständig erweitert. Volkssouveränität als Doktrin muss nicht explizit Legitimierungsgrundlage des jeweils aktuellen Regimes sein, selbst wenn sich dieses selbst als „national“ kennzeichnet. Dies ist ein gar nicht seltener Fall bei konservativen oder autoritären Regimen (Franco-Spanien, Griechenland 1967 – 1974). Sie ist jedoch als impliziter Bezugspunkt unverzichtbar. Ein theokratischer Staat kann daher nie eine nationale Ideologie entwickeln und wird sich explizit dagegen aussprechen.

9 Die Ausgeschlossenen von der Nation: Die Frauen
Olympe de Gouges stellte der Männerrechtserklärung schon 1791 eine Erklärung der Frauen- und Bürgerinnenrechte (Déclaration des Droits de la Femme et de la Citoyenne) gegenüber. Überall, wo in der Menschenrechtserklärung "hommes" steht, setzt Olympe de Gouges "femme" oder "femmes et hommes" ein, je nach Kontext: "La femme naît libre et demeure égale à l'homme en droits.“ 1792 Mary Wollstonecraft, A Vindication of the Rights of Woman Eine intellektuell anspruchsvolle Abhandlung, womit die britische Autorin Gleichberechtigung einfordert. Das Wahlrecht für Frauen kam überall sehr spät: Neuseeland 1893 Finnland 1906 (der Reichstag hatte aber keinerlei Bedeutung) Sowjet-Russland 1917 Österreich 1918 Deutsches Reich 1918 Großbritannien in Etappen zwischen 1918 und 1956 Schweiz (auf Bundesebene) 1971 Der einzige wirklich kennzeichnende Zusatz Olympes war ein Formular mit einem Ehevertrag, einem Sozialvertrag zwischen Mann und Frau, wie sie es nannte. So zahm diese Forderungen waren, kosteten sie ihr am 3. November 1793 den Kopf. Der Staatsanwalt von Paris hielt es für nötig, danach warnend auf das Schicksal der "schamlosen" Olympe de Gouges zu verweisen, die Frauenklubs gegründet, sich in die Belange der Republik eingemischt habe, und deren Kopf daher unter dem rächenden Eisen des Gesetzes gefallen sei.

10 Ethnizität: Zugehörigkeit und ihre Mystik

11 Nationale Identität als Trägerin des Politisches Projekt Nation
Aus einem Kampflied königstreuer preußischer Truppen 1848: “Das waren Preußen, schwarz und weiß die Farben … Da schnitt ein Ruf ins treue Herz hinein; ’Ihr sollt nicht Preußen mehr, sollt Deutsche sein.’ …Heil uns, sie wollen nicht mehr Preußen sein. Schwarz, Roth und Gold glüht nun im Sonnenlichte, der schwarze Adler sinkt herab entweiht … so treu wird keiner wie die Preußen sein.“ In der Revolution von 1848 standen sich Progressive und Konservativ-Reaktionäre gegenüber. Sie suchten jeweils nach anderen politischen Identitäten. Die Reaktionäre in Berlin, der Hauptstadt Preußens, nannten sich „Preußen“. Die Progressiven sprachen von sich als „Deutsche“. Die nationalen Identitäten symbolisierten also verschiedene politische Programme. Die Nation als politisches Projekt verband sich mit der Ethnie. Diese Verbindung von Staatsorganisation und -legitimität mit der linguistisch markierten Ethnizität einer aufstrebenden Elitengruppe – der Bürger und Intellektuellen, „Besitz und Bildung“ – wurde zum zentralen Prozess des Nationenbaus schlechthin. Er wird die Auffassung von Nation über die nächsten, d. h. die vergangenen zwei Jahrhunderte bestimmen. Nation wurde also jetzt zur Ethno-Nation. Selbst heute ist diese Auffassung noch herrschend. Die nationale Identität ist vom politischen Projekt abhängig. In der Revolution von 1848 in Berlin wollten die Progressiven „Deutsche“ werden. Die Konservativen und Reaktionäre wollten hingegen „Preußen“ bleiben. In der politischen Realität setzte sich unter Bismarcks Führung weitgehend das preußische Projekt durch, musste sich aber aus propagandistischen Gründen ein „deutsches Kleid“ geben: 1866 bis 1870 wurde das „Deutsche Reich“ gegründet. Doch die Volksschichten waren lokal und regional orientiert. Sie mussten ihre neue politische Identität erst lernen. Johann Gottlieb Fichte (1978, 22 und 145) : "Wir wollen durch diese neue Erziehung die Deutschen zu einer Gesamtheit bilden... Die Mehrheit der Bürger muss zu diesem vaterländischen Sinne erzogen werden." Er wendet er sich an die dünne Intellektuellenschicht, die er realistisch gleichzeitig zu "den" Deutschen schlechthin erklärt: "Ich rede für Deutsche schlechtweg, von Deutschen schlechtweg, nicht anerkennend, sondern durchaus beiseite setzend und wegwerfend alle die trennenden Unterscheidungen, welche unselige Ereignisse seit Jahrhunderten in der einen Nation gemacht haben... Mein Geist versammlet den gebildeten Teil der ganzen Deutschen Nation, aus allen den Ländern, über welche er verbreitet ist, um mich her... Ich erblicke diese Einheit schon als entstanden, vollendet, und gegenwärtig darstehend" (13 f.)

12 Die Sprache und die Sprachen
Intellektuelle beginnen früh die Volkssprache zu nützen und zu reflektieren Dante Aleghieri: De vulgari eloquentia, um 1305 Joachim du Bellay : La défense et illustration de la langue française, 1549: Auch die Volkssprachen sind für Kultur und Literatur geeignet und « schön ». Die sprachliche Standardisierung, meist als Übersetzung heiliger Texte, war seit je das effizienteste Mittel der Sprachplanung. Übersetzung der Bibel in die Volkssprachen der frühen Neuzeit (zumindest das „Neue Testament“) 1382 (88) Englisch: John Wycliffe und Schüler 1522 (NT) bzw (AT) Deutsch: Martin Luther 1530 Französisch: Jacques Lefèbre d’Etaples 1548 Finnisch: Mikael Agricola Um 1585 Slowenisch: Jurij Dalmatin Nationalsprachen sind vorrangig politische, erst an zweiter Stelle auch linguistische Tatbestände. „A language is a dialect, backed by an army.” Die jeweilige Sprachenwahl ist nicht zufällig, sondern trägt politische Absichten mit sich. Beispiel: Nach der Verselbständigung Griechenlands seit 1821 suchte die griechische Elite – an ihrer Spitze ein 1833 aus Mitteleuropa importierter bayrischer König – eine würdige Stammtafel für die griechische Nation. Sie fand sie im klassischen Griechenland. Doch die neue griechische Sprache hatte mit dem Altgriechischen nur mehr wenig zu tun, weder mit dem Attischen, noch mit der lingua franca des Hellenismus, der Koiné. Mit den Volksschichten wollte die neue Elite nicht verwechselt werden, und schon gar nicht mit den Banditen (Kleften), welche vor Ort den Unabhängigkeitskampf militärisch getragen hatten. Die Elite entschied sich für eine Sprache, die auf dem Altgriechischen aufbaute und ergänzt war mit Elementen der Gegenwart. Die Katharevousa („reine Sprache“) war dem Großteil des Volks nicht verständlich. Es kam zu einer Gegenbewegung: Intellektuelle mit einem stärker demokratischen Nationalprojekt (an ihrer Spitze Ioannis Psicharis, dessen Buch „Meine Reise“ 1888 als Startpunkt gilt) wollten die gesprochene Sprache, die Demotiki, die „Volkssprache“, zur National- und Literatursprache machen. Die demotische Bewegung war ein nationales Konkurrenzprojekt zur hegemonialen Elite. Die griechische Obristenjunta förderte in der Militärdiktatur 1967 bis 1974 die Katharevousa. Unmittelbar nach ihrem Zusammenbruch (1976) wurde erst die Demotiki zur Nationalsprache. Die Akzentsetzung wurde vereinfacht.

13 Volkssprache – Nationalsprache
J. G. Herder, Über den Ursprung der Sprache 1772: Es ist die ausgebildete Sprache, welche den Menschen vom Tier unterscheidet. Doch: Sprache gibt es in der Mehrzahl, es gibt Sprachen! Aber Herder ist Universalist: „In so verschiedenen Formen das Menschengeschlecht auf der Erde erscheint, so ist's doch überall ein und dieselbe Menschengattung .“ (Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit 1780 – 1790) Der Marquis de Condorcet (1743 – 1794), Aktivist der Französischen Revolution, wollte dagegen eine Universalsprache aufbauen. Sprache ist „quintessential symbol“ (J. Fishman) für die Nation und ihre Einheit. Die Nation wird daher im 19. Und 20. Jahrhundert praktisch überall (Ausnahme: Schweiz) zur Sprachnation. Junge Nationen glauben daher, sie müssten unbedingt eine eigene Sprache haben. Dies hat sich bis heute erhalten: Aus dem Serbokroatischen wurde im letzten Jahrzehnt: das „Serbische“ das Kroatische“ das „Bosnische“ Vergleiche auch: Bulgarisch – Makedonisch; Rumänisch – Moldawisch Dazu gab es Sprachwiederbelebungen: in Irland (Gälisch), in Israel (Iwrid). Beispiel Norwegen: Ende des 19. Jahrhunderts war die Schriftsprache der gebildeten Schichten in Norwegen das Dänische, das auch nur wenig vom Schwedischen abweicht. Es kam in der Folge der Nationalisierung zum Phänomen einer doppelten Staatssprache. Nach einem Jahrhundert konfliktreicher Union mit Schweden und vorher einigen Jahrhundert dänischer Herrschaft erlangte dieses Land im Jahr 1905 seine Unabhängigkeit. Die bisherige Hochsprache war das Bokmål oder Riksmål, praktisch die gemeinskandinavische Hochsprache in dänischer Version, die auch den Schweden gut verständlich ist. Es war die Sprache der alten, in Christiania (Oslo) konzentrierten Oberschichten. Die neue Nation sollte nach dem Willen einer auf Unabhängigkeit bedachten Intellektuellengruppe auch ihre eigene Sprache haben. Sie sollte Programmcharakter tragen. Der Oberschichtsprache wurde also die Sprache der blutarmen norwegischen Bauern gegenüber gestellt. Doch die war je nach Gegend verschieden. Also entwickelte man eine neue Sprache aus Elementen dieser Dialekte, das Nynorsk. Die Devise war und ist bis heute: Sprich Deine Regionalsprache, aber schreib Nynorsk! Schon aus diesem Grund lässt sich auch heute nicht sagen, dass 20 % der Norweger Nynorsk sprechen. Etwa dieser Anteil erlernt aber das Nynorsk als erste Schriftsprache in der Schule, vor allem in Gemeinden des (süd-) westlichen Norwegens. Nicht wenige Menschen in Oslo haben mit diesen Eigenheiten Mühe. Es gibt somit erhebliche Ressentiments gegen das Nynorsk. So wurde diese neue Nationalsprache zu einer nationalen Konfliktlinie statt zu einem Einheitsinstrument. Der Versuch eines Kompromisses (Samnorsk) blieb im wesentlichen folgenlos.

14 Kleine und große Vaterländern
Intellektuelle wollen riesige Nationen haben, nicht lokale Gesellschaften Ernst Moritz Arndt Was ist des Deutschen Vaterland? (1813, von 1841 stammt ein Zusatz) Was ist des Deutschen Vaterland? Ist´s Preussenland ? ist´s Schwabenland? Ist´s, wo am Rhein die Rebe blüht? Ist´s, wo am Belt die Möwe zieht? O nein, nein, nein! Sein Vaterland muß größer seyn. Was ist des Deutschen Vaterland? Ist´s Baierland ? ist´s Steierland? Ist´s, wo des Marsen Rind sich streckt? ist´s, wo der Märker Eisen reckt? O nein, nein, nein! Sein Vaterland muß größer seyn. Was ist das Deutsche Vaterland? So nenne endlich mir das Land! So weit die deutsche Zunge klingt Und Gott im Himmel Lieder singt, Das soll es seyn! Das, wackrer Deutscher, nenne dein. Das ist das Deutsche Vaterland, Wo Eide schwört der Druck der Hand, Wo Treue hell vom Auge blitzt Und Liebe warm im Herzen sitzt, Das soll es seyn ! Das, wackrer Deutscher, nenne dein. Das ist das Deutsche Vaterland, Wo Zorn vertilgt den wälschen Tand, Wo jeder Franzmann heißet Feind, Wo jeder Deutsche heißet Freund, Das soll es seyn ! Das ganze Deutschland soll es seyn! Nationen des 19. Jahrhunderts waren als Großgesellschaften konzipiert: Engels’ Diktum in einem Brief an Marx lautete brutal: "Eine Nation, die bis Mann [an Truppen] höchstens stellt, hat nicht mitzusprechen" (MEW 27, 268). Nur eine Großmacht ist wirklich eine Nation! Am Berliner Kongress 1878 wurde über die politische Situation auf dem Balkan entschieden. Doch die unmittelbar Betroffenen, nämlich die Staaten des Südost-Balkans, waren nur zur Auskunft eingeladen, nicht als eigentliche Teilnehmer. In Griechenland bezeichnet man heute noch dieses Faktum –in Verkennung der Lage und in der für Hellas fast grotesken Illusion einer „autochthonen Entwicklung“ als den „ausländischen Faktor“ (ο ξένος παράγοτας). Es war das schlichte und allseits ausgesprochene Faktum, dass kleine Nationalstaaten Objekte und nicht Subjekte der Politik waren. Die sogenannten „kleinen Nationen“ waren Völker, welche ihre Nationenbildung in der Abhängigkeit einer politischen und wirtschaftlichen Peripherie durch machten, von Menschen anderer Sprache und d. h. im damaligen Verständnis anderer nationaler Zugehörigkeit beherrscht. Als „kleine Nationen“ (Hroch 2000 [1985]) entstanden und politisch selbständig wurden – die Finnen, die baltischen Nationen, die Norweger, die Tschechen, die Völker des Balkan – bedeutete dies einerseits eine Ethnisierung von Politik, andererseits einen Demokratisierungs-schub. Nationale Selbstbestimmung erhielt zum ersten Mal einen politischen Inhalt.

15 Chauvinismus: Einmaligkeit und Außenfeind
„Somit ist unsre nächste Aufgabe, den unterscheidenden Grundzug des Deutschen vor den andern Völkern germanischer Abkunft zu finden, gelöst. Die Verschiedenheit ist sogleich bei der ersten Trennung des gemeinschaftlichen Stamms entstanden, und besteht darin, daß der Deutsche eine bis zu ihrem ersten Ausströmen aus der Naturkraft lebendige Sprache redet, die übrigen germanischen Stämme eine nur auf der Oberfläche sich regende, in der Wurzel aber todte Sprache.“ „Naturgemäßheit von deutscher Seite, Willkürlichkeit und Künstelei von der Seite des Auslandes sind die Grundunterschiede. ... Alle die Uebel, an denen wir jetzt zu Grunde gegangen, [sind] ausländischen Ursprungs .“ Der „ertödtende Geist des Auslands“, die ständige „Ausländerei“ ist die Wurzel allen Übels. Johann Gottlieb Fichte 1808: Reden an die Deutsche Nation Integraler Nationalismus existierte jedoch in allen europäischen Nationen: Frankreich: Maurice Barrès (1862 – 1923) und Charles Maurras (1868 – 1952) Italien: Giovanni Pascoli (1855 – 1912) und Enrico Corradini (1865 – 1931) Griechenland: Ion Dragoumis (1878 – 1920) und Athanasios Souliotis-Nikolaides (*1878) Norwegen: Knut Hamsun (1859 – 1952) Usw. Der Populärphilosoph J. G. Fichte (1772 – 1814) entwickelt im Hass auf die Franzosen und insbesondere Napoleon einen nationalistischen Mythos, eine nationalistische Mystik, die in frappierender Weise an Nazi-Theorien erinnert. Dieser nationalistische Chiliasmus ist im Vergleich mit der von ihm so sehr bekämpften "Ausländerei", worunter er vor allem den französischen Rationalismus, teils vermutlich auch den englischen Utilitarismus verstand, ein gewaltiger Rückschritt in der politischen Theorie. Das ist allerdings nicht ein „deutsches Modell“ der Nation. Es gab innerhalb der vielen Ausdrucksformen des Nationalismus eine europaweite Strömung, welche diesen Zug auf nahezu pathologische Weise ausprägte: der integrale Nationalismus. Ein nicht unbeträchtlicher Teil einer pubertierenden Oberschicht-Jugend und der Adoleszenten dieser Zeit in Europa fanden in den kranken Hirnen überspannter und eifernder Nationalisten ein Idol – wie bei Barrès in Frankreich. Darüber hinaus fanden sich genug Erwachsene aus der Elite, welche diesen Gedanken Einfluss auf die offizielle staatliche Politik verschafften. Integraler Nationalismus macht die Nation zum „letzten Sinnziel“ (Parsons). Die Suche nach Sinn in der sozialen Transzendenz hat sich also mit dem Nationalismus verbunden. Die vielleicht deutlichste Formulierung solcher Haltungen findet sich in Hitlers Programmschrift „Mein Kampf“. Das ist allerdings gerade jene Stilistik, welche der Nationalismus mit manchen anderen „jungen“ Bewegungen teilt, nicht unbedingt das, was Nationalismus als solchen kennzeichnen würde. Die integralen Nationalisten waren auch jene Kreise, welche den Krieg im Jahre 1914 als „Ausweg“ (?) geradezu suchten.

16 Nationenbau: ein Zentralisierungsprozess
Nationenbau ist auch ein Zentralisierungsprozess bisher unverbundener lokaler und regionaler Kleingesellschaften, in politischer wie in sozialer Hinsicht. "Eine ungeheure Zentralgewalt [hat] in ihre Einheit alle Bestandteile von Einfluss und Autorität an sich gezogen und verschlungen... Nicht nur die Provinzen gleichen einander mehr und mehr, sondern es werden auch in jeder Provinz die Menschen der verschiedenen Klassen, zumindest alle diejenigen, die außerhalb der Masse des Volkes stehen, trotz aller Standesunterschiede einander immer ähnlicher... Durch die noch vorhandenen Verschiedenheiten schimmert die Einheit der Nation hindurch; die Gleichförmigkeit der Gesetzgebung lässt dies erkennen" (Tocqueville 1978 [1861], 25 und 87). "Es leuchtet ein, dass die Zentralisierung der Regierung eine gewaltige Macht erhält, wenn sie sich mit der Verwaltungszentralisierung verbindet. Solcherweise gewöhnt sie die Menschen daran, von ihrem Willen vollkommen und beständig abzusehen; nicht nur einmal und in einem Punkt, sondern durchwegs und täglich zu gehorchen... Sie gibt sie der Vereinzelung preis und bemächtigt sich daraufhin jedes Einzelnen in der allgemeinen Masse. Diese beiden Arten der Zentralisierung [der Regierung und der Verwaltung] stützen sich wechselseitig, sie ziehen sich gegenseitig an; aber ich kann nicht glauben, daß sie untrennbar sind." (Tocqueville 1978 [1861], 98 f.) Nationenbau ist ein Modernisierungsprozess. Nation hat ihre Funktionen als Integrationssystem und ist der Aufbau einer Großgesellschaft über Herstellung einer gemeinsamen pseudogemeinschaftlichen Identität. K. W. Deutsch (1953, 1953a) nannte dies Kommunikationsgemeinschaft. Deutsch zählt als allgemeine Strukturen der Nation bzw. des Nationenbaus vorwiegend soziale und erst an zweiter Stelle auch politische Prozesse auf: 1. Der Übergang von einer Subsistenz- zu einer Tauschwirtschaft. – 2. Die Mobilisierung der ländlichen Bevölkerungsgruppen in Zentren dichter Besiedlung mit intensiviertem Tausch. – 3. Das Wachstum der Städte. – 4. Das Entstehen eines Kommunikationsnetzes, welches die bedeutenderen Punkte eines ausgedehnten Gebiets für Transporte, Wanderungen und Reisen miteinander verbindet. – 5. Die und gleichzeitige Akkumulation und Konzentration von Kapital und Ausbildung, sowie der Eintritt weiterer sozialer Schichten in den Mobilisierungsprozess. – 6. Das Entstehen des Interessens-Begriffs und die wachsende Bereitschaft, in einem selbstbewussten Entscheidungsprozess sich spezifischen Gruppen anzuschließen, welche durch Sprache und Kommunikationsgewohnheiten verbunden sind. – 7. Das Verschmelzen ethnischen Bewusstseins mit dem Aufbau eines politischen Zwangsapparats (eines Staats) und manchmal mit dem Versuch, das eigene Volk darin zu einer privilegierten Klasse zu machen. Nationenbau ist ein Prozess der politischen Zentralisierung, welcher insbesondere der lokalen und regionalen Ebene Steuerungsfunktionen entzieht. Daher kommt es immer wieder zu Gegenreaktionen, etwa zum Regionalismus.

17 „Postnation“: Ziel oder Illusion?
„Tod der Nation“? Die liberale Schule will zuerst Assimilation der „Unterentwickelten“ (J. St. Mill), dann eine universelle Gesellschaft, denn sie ist gegen „Partikularismus“. Der Marxismus stellt die Klassenidentität über die nationale Identität. Die neuere politische Theorie schließlich konstatiert ein Kongruenzproblem: Die Reichweite des nationalen Staats fällt nicht mehr mit der Regelungsnotwendigkeit für soziale und politische Probleme zusammen – es bedarf daher supranationaler Institutionen (Zürn). Problem: Kann ein Staat, auch ein supranationaler, für seine Legitimität, Kohäsion und seine Umverteilungsprozesse auf den gemeinschaftlichen Aspekt verzichten? Die politischen Identitäten sind auch in der westeuropäischen Integration (EU) noch vorrangig national bestimmt: Nationale und europäische Identität: EU-15, 2003 In der Nahen Zukunft, sehen Sie sich da ... (in %) Gesamt ... nur als (Nationalität) 40 ... als (Nationalität) und als Europäer/in 45 ... als Europäer/in und als (Nationalität) 8 ... nur als Europäer/in weiß nicht Zusammen “Experience proves that it is possible for one nationality to merge and be absorbed in another: and when it was originally an inferior and more backward portion of the human race the absorption is greatly to its advantage. Nobody can suppose that it is not more beneficial to a Breton, or a Basque of French Navarre, to be brought into the current of the ideas and feelings of a highly civilised and cultivated people –to be a member of the French nationality, admitted on equal terms to all the privileges of French citizenship, sharing the advantages of French protection, and the dignity and prestige of French power – than to sulk on his own rocks, the half-savage relic of past times, revolving in his own little mental orbit, without participation or interest in the general movement of the world. The same remark applies to the Welshman or the Scottish Highlander as members of the British nation” (John St. Mill, On Representative Government, Ch. XVII, 1864). „An die Stelle der alten, durch Landeserzeugnisse befriedigten Bedürfnisse treten neue, welche die Produkte der entferntesten Länder und Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen. An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander. Und wie in der materiellen, so auch in der geistigen Produktion. Die geistigen Erzeugnisse der einzelnen Nationen werden Gemeingut. ... Die Arbeiter haben kein Vaterland. ... Die nationalen Absonderungen und Gegensätze der Völker verschwinden mehr und mehr schon mit der Entwicklung der Bourgeoisie, mit der Handelsfreiheit, dem Weltmarkt, der Gleichförmigkeit der industriellen Produktion und der ihr entsprechenden Lebensverhältnisse “ (Karl Marx / Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei 1847). Aber: „Neither compact nor promise upon which compacts rest are sufficient to assure perpetuity, that is, to bestow upon the affairs of men that measure of stability without which they would be unable to build a world for their posterity“ (Hanna Arendt, On Revolution 1973).

18 Die „Dritte Zeitzone“ – der Balkan
„Zeitzonen“ ist ein metaphorischer Ausdruck (Ernest Gellner 1994, 1997), welcher die langsame Verbreitung des politischen Modells Nation und ihren Ausbau sinnfällig machen soll: Der Balkan war die erste Großregion in Europa, in der „kleine Nationen“ nach nationaler Selbstbestimmung suchten und Staaten gründeten. Etwa gleichzeitig ging ein ähnlicher Prozess in Lateinamerika vor sich. „Balkanisierung“ wurde zum Schimpfwort, vergleichbar dem heutigen englischen „tribalism“. Die Großmächte und ihre Ideologen können und konnten in der nationalen Selbstbestimmung kleiner Nationen nur Rückschritt erkennen. Todorovna: „Die Erfindung des Balkan“ war ein Akt der Abwertung nichtwestlicher Nationen. Zur „Vierten Zeitzone“ wurde schließlich die Dritte Welt. Die arabischen Nationen, Indien, China erlebten eine nationale Debatte. Ab 1950 verbreitete sich der Nationalismus auch ins subsaharische Afrika. Die Erfahrungen der osmanischen Herrschaft mit ihrer archaischen politischen Struktur bildete den Hintergrund für die Entwicklung. Die Orientierung auf die Orthodoxie und ihre Abwehrhaltung gegenüber dem lateinischen Westen gab eine weitere gemeinsame Komponente vor. Da diese Orthodoxie jedoch aus dem byzantinischen Erbe heraus gewachsen war, spielte die griechische Sprache als Kirchen- und Bildungssprache eine Rolle, die nicht unähnlich jener des Lateins im Westen war. Diese Sprache war die Sprache einer Bevölkerungsgruppe. Sie war auch die Sprache der Teilnehmer an einem ausgedehnten Kaufmanns- und Handelsnetz, der griechischen Diaspora. Auch im „Westen“, d. h. in Triest, Wien, Marseille, Korsika, und anderswo hatte sie ihre Stützpunkte. Von den dort ansässigen griechischen Gemeinschaften kamen die Ideen der fortgeschrittenen Intellektuellen zu den hellenischen Zentren. „Griechische“ Intellektuelle hatten oft einen anderen sprachlichen Hintergrund. Es war eine Handvoll Intellektueller mit verschiedenem ethnischem Hintergrund. Iossipos Moisiodax (ca – 1800) war walachischer Herkunft, auch Rigas Velestinlis-Feraios (+ 1798), ein „griechischer Nationalheld“. Andere kamen aus der wohlhabenden kleinasiatisch-griechischen Kaufmannschaft, wie Adamantios Korais (1748 – 1833). Diese „Partei der Humanität“ war eine vereinheitlichte südosteuropäische Bewegung, welche sich jedoch hauptsächlich in griechischer Sprache literarisch ausdrückte. Sehr bald allerdings setzte die Aufspaltung in einzelne Sprachgruppen und die nationale Zuordnung. Die kleinen Nationen des Balkans begannen zu entstehen.

19 Eine vornationale Struktur: Das Osmanische Reich
Die Reformen des Osmanischen Reichs im 19. Jh. (Tanzimat) waren bis 1839 traditionaler Transformis-mus; dann wurden sie zu einem reformistischen Transformismus. Sie wollten das System retten, indem sie die Personen austauschten und durch weniger korrupte Menschen ersetzten. Reformistischer Transformismus modelt weniger wichtige soziale Beziehungen und Institutionen um. Nationenbau ist eine Revolution, sie will den modernen Staat, einen fundamentalen Umbau. Das Osmanische Reich war unreformierbar. Es konnte den Anforderungen einer globalisierten Welt nicht standhalten. Es war ein System gegen die Modernisierung. Das Geschehen ruft politische Prozesse der Gegenwart in Ländern der Dritten Welt heute in Erinnerung. Ständig intervenierten die damaligen Großmächte in die inneren Angelegenheiten. Die wichtigsten Reformerlässe, das Hatt-i şerif von Gülhane 1839 und das Hatt-i hümayun 1856, waren durch äußere Abläufe veranlasst und wandten sich an die Großmächte Frankreich und Großbritannien. Auf ihr Wohlwollen kam es an. Die Europäer sollten das modernisierte osmanische Rechtssystem akzeptieren und auf die „Kapitulationen“ (Eingriffsrechte) verzichten. Neben dieser politischen Abhängigkeit wurde wirtschaftliche Abhängigkeit hergestellt nahm die Pforte (der Sultan und seine Regierung) eine Auslands-Anleihe auf. Bis 1875 war die Außenschuld auf 200 Mill. Pfund angewachsen, der Schuldendienst, Zinsen und Amortisation, machten mit 12 Mill. Pfund mehr als die Hälfte des osmanischen Volkseinkommens aus. Die Pforte war in der Weltwirtschaftskrise 1873 nicht mehr imstande, sie zu bedienen; sie wurde unter ökonomische Vormundschaft gestellt. Die OPDA (Ottoman Public Debt Administration) wurde zur Nebenregierung durch Briten und Franzosen. Regelmäßig lassen sich bei der „Geburt einer Nation“ eine Anzahl von Geburtsstunden anführen. Der jungtürkische Putsch von 1908 ist eine unter ihnen. Die wichtigere ist die Gründung der Republik zwischen 1921 und Am 20. Jänner 1921 wurde ein Grundgesetz beschlossen, welche die Souveränität in die türkische Nation verlegte. Im Lausanner Vertrag (Juli 1923) erlangte die Türkei die heutige territoriale Gestalt. Am 29. Oktober 1923 wurde die Türkei Republik , Mustafa Kemal Staatspräsident. Am 3. März 1924 wurde das Kaliphat (religiöse Spitze des Islam) abgeschafft. Hintergrund des Prozesses war der Abstieg des Osmanischen Reichs. Das Osmanische Reich war keine Nation. Aber es kannte ethnisch-religiöse Strukturen mit Selbstverwaltung (milet). Der miletbaşi / Ethnarch der Orthodoxen Christen war der Patriarch von Konstantinopel / Istambul.

20 Polen gescheiterter Staatsaufbau - später Nationenbau
Ein mittelalterliches „Reich“ von Mieszko (10. Jh.) bis zu Ladislaus Wasa (17. Jh.) Die „Goldene Freiheit“ des 17. Und 18. Jahrhundert ist Adelsanarchie und führt zu den Teilungen 1772, 1793 und 1795 zwischen Russland, Preußen und Österreich. Im 19. Jahrhundert entsteht eine polnische Nation im Protest gegen Russland und Preußen in einer kleinen Gruppe von Intellektuellen: „Until the very end of the [19th] century, the ‘Polish question’ convcerned only a minority of those we might categorize as Polish, with few peasants demonstrating any interest in independence “ (Porter, zit. in: Auer 2004). Die erste polnische Republik (von polnischen Historikern als „zweite Republik“ bezeichnet) von 1918 bis 1938 scheiterte in der pseudofaschistischen Militärdiktatur des Jozef Piłsudski, lang bevor die Nazis das Land überfielen und in Besitz nahmen. Die zweite polnische Republik (1952: Volksrepublik Polen) begann ihre Existenz 1945 in Abhängigkeit von den Sowjets, die jedoch im Land keine große Unterstützung hatten – eine Existenz in Abhängigkeit. Die dritte polnische Republik begab sich selbst in Abhängigkeit, und zwar in eine potentiell konfliktreiche, nämlich einerseits den USA (in der NATO) und andererseits der EU. Der Staatsaufbau in Mitteleuropa war ein Prozess der politischen Entmachtung und zivilisatori-schen Zähmung des Adels. Am Verlust des Fehderechts für die Freien und den Adel glaubte daher Otto Brunner den staatlichen Herrschaftsaufbau des Endmittelalters darstellen zu können: „Die Fehde abschaffen heißt nicht, eine staatliche Maßnahme ergreifen wie tausend andere auch, sondern heißt, die Struktur von Staat und Recht grundlegend ändern“ (1980 [1939], 33 f.). In Westeuropa war es der Aufbau des absolutistischen Staats, welcher einen politisch-administrativen Apparat und damit das Hauptmerkmal des modernen Staats hervor brachte. So wurde der westeuropäische Absolutismus zum Vorbild des Staats, in der höfischen Form aus Frankreich, wie in der britischen Form, welche von Heinrich VIII. mit der Einführung des Staatskirchentums über Elisabeth I. bis zur Diktatur Cromwells im Protektorat. Polen hat diese Schritte nicht mitgemacht. Der Aufstand des Zebrzydowski (rokosz Zebrzy-dowskiego, 1606 – 1609) steht dafür. „Der König hatte schon auf dem Reichstag von 1607 versichert, er denke an keine absolute Herrschaft. Für die weitere innere Entwicklung hatte der Zebrzydowski-Aufruhr bedeutende Folgen. Jegliche Form des Absolutismus erschien nunmehr in Polen / Litauen unmöglich, und der in anarchischer Weise, oft ohne große bewaffnete Stärke geführte Aufruhr wurde zu einem nahezu legitimierten Mittel der inneren Politik“ (Rhode 1980, 268). Die „Goldene Freiheit Polens“ ist nichts Anderes als Adelsanarchie. Polen – bemerkt ironisch der polnische Soziologe Jerzy Jedlicky (in: Auer 2004, 22) – “has always been returning to Europe, although it has actually never been there.” Diese “Rückkehr nach Europa” war in der Politik aller osteuropäischer Länder seit 1989 eine stehende Redewendung.

21 Die erste „kleine Nation“ des Balkans: Griechenland – eine neue Nation wird von Westeuropa erfunden
1814 In Athen und Odessa werden Geheimbünde (Filiki Etiria) gegründet und organisieren Aufstände gegen die Osmanen. Sie hoffen auf russische und britische Unterstützung. 1822 Der Nationalkongress in Epidauros proklamiert die griechische Unabhängigkeit. Philhellenen im Ausland feiern diese Proklamation. Insbesondere Lord Byron wird dabei zur Symbolgestalt. 1826 wird die vernichtende griechische Niederlage bei Misolunghi zum entscheidenden politischen Sieg für die Aufständischen. Die westeuropäischen Mächte Frankreich und Großbritannien greifen gegen die Massaker ein. 1827 Sie schlagen die ägyptisch-türkische Flotte bei Navarino vernichtend. 1830 Der unabhängige griechische Staat wird auf der Londoner Konferenz anerkannt. 1832 Otto I., Sohn König Ludwig I. von Bayern wird zum König von Griechenland gemacht 14. Jänner 1844: Rede des Ioannis Kolettis in der Nationalversammlung: „Megali idhea“: Die Grundidee eines expansiven griechischen Nationalismus will Istambul wieder als Hauptstadt. Der griechische „Universalismus“ ist ein besonders weit gedehnter Herrschaftsanspruch. Die griechische Verfassung wird verabschiedet. Bis zum Ersten Weltkrieg dehnt Hellas sein Gebiet ständig aus. „Greece emerged from the Ottoman empire not as a Western nation with a long history but as a commercial class and a provincial peasantry in a Middle Eastern scheme of society“ (A. Toynbee, zit. in Spiliotis 1998, 67). 1912 Im 1. Balkankrieg gewinnt das Bündnis Serbien, Bulgarien, Griechenland, Montenegro gegen die Türkei. Die Türkei soll im Londoner Frieden 1913 alle ägäischen Inseln abgeben. 1924 Nach einer vernichtenden Niederlage griechischer Truppen in Kleinasien wird der Vertrag von Lausanne geschlossen und ein „Bevölkerungsaustausch“, d. h. gegenseitige Vertreibung von Griechen und Türken vereinbart. 1936 General Metaxas bildet durch einem Staatsstreich eine faschistische Regierung. 1941 Das Deutsche Reich erobert Griechenland. Georg II. flieht nach London und gründet eine Exilregierung. 1967 Die griechische Armee übernimmt in einem Staatsstreich die Regierung. General Papadopoulos wird Ministerpräsident. Doch die Obristenjunta bricht 1974 zusammen 1981 Griechenland wird Mitglied der Europäischen Gemeinschaft Griechenlands Existenz als Nationalstaat begann “So far as the Greeks were concerned the question was whether Greece should become an annex of Russia or even conceivable of Austria; a colony of Britain or France; a private empire of Ali Pasha of Iannina; or whether it even should remain, by virtue of the mutual cancellation of contending forces, a province of a salvaged Ottoman empire. The last thing anybody contemplated was an independent nation-state. It was disputed in the early 19th century whether there even was such a people as the Greek” (Woodhouse 1998, 124). Was war also früher, der griechische Nationalismus oder die griechische Nation? Diese Formulierung wurde – in allgemeines Form – durch Ernst Gellner prominent und hatte Anfang der 1980er Jahre durchaus einen provokativen und stimulierenden Wert. Es gab zumindest zwei konkurrierende nationale Zentren für die griechische Nation. Das eine bildete der griechische Staat und, symbolisch gesehen, die Stadt Athen, der Sitz der griechischen Regierung Das andere geistige Zentrum war Konstantinopel / Istambul, der Sitz des orthodoxen Patriarchen. Diese beiden Städte symbolisierten zwei konkurrierende Nationalprojekte: Das eine war liberal, säkularisiert, progressiv; das andere war konservativ, klerikal, nach rückwärts gerichtet. Der griechische Staat war nach Innen und nach außen schwach. Der Staatsaufbau kam nur mühsam voran. Die griechische Gesellschaft war unterentwickelt, Dritte Welt in Europa.

22 Serbien, Bulgarien: „Historische“ Ethnonationen gegen die „Türken“
1804 Befreiungskrieg der Serben des Georg Petrovič, genannt Karadjordje, gegen die Türken 1817 Serbien unter Miloš Obrenovič autonom, d. h. quasi-selbständig 1878 Serbien wird vom Berliner Kongress als unabhängig anerkannt – 1918 Als Sieger im Ersten Weltkrieg kann Serbien die Kroaten und die Slowenen vom Sinn eines gemeinsamen Staats überzeugen: Jugoslawien entsteht. 1876 Der Aprilaufstand der Bulgaren wird von den Osmanen blutig nieder geschlagen 1878 Berliner Kongress: Ein Teil Bulgariens ist unabhängig, der andere untersteht völkerrechtlich weiterhin dem Sultan, wird aber 1885 von Zar Alexander II. an Bulgarien angeschlossen – 1913 Bulgarien besiegt in einer Koalition mit Griechenland, Serbien und Montenegro die Osmanen (Erster Balkankrieg). Bei der Aufteilung der Beute kommt es zum Streit. Im Zweiten Balkankrieg wird Bulgarien von seinen bisherigen Verbündeten geschlagen. 1914 – 1918 Bulgarien schließt sich den Mittelmächten (Deutsches Reich, Habsburgerstaat) und gehört zu den Verlieren. Im Vertrag von Neuilly verliert es Gebiete und muss hohe Reparationen auf sich nehmen. Sowohl Serben wie auch Bulgaren bezogen ihre nationale Identität in der jüngsten Geschichte aus der Erinnerung an eine „große serbische“ bzw. „bulgarische“ Vergangenheit. Im Hochmittelalter hatte die Fürstendynastie der Nemanjiden ein mächtiges ethnisch-serbisches Gemeinwesen gegründet. Es ging mit der Niederlage gegen die Osmanen auf dem Kosovo Polje, dem Amselfeld, im Jahr 1389 zugrunde. Auch ein Großbulgarisches Reich war schon vorher (gegen die Serben) zugrunde gegangen. Es hatte sein Zentrum lange in Ohrid (an der heutigen makedonisch-albanischen Grenze, gehabt. Die Bulgaren des Frühmittelalters hatten übrigens eine Turk-Sprache gesprochen, bis sie im Zuge der Christianisierung von ihren eigenen Khanen (Fürsten) slawisiert worden waren. Der Prozess der Ethnogenese in vormodernen, jedenfalls aber vornationalen Gesellschaften ist ein von wechselnden politischen Kräfteverhältnissen angetriebener Prozess der ständigen Verschmelzungen, Abspaltungen, neuerlichen Fusionen, Umgruppierungen und Neuformierungen von sozialen Bezugseinheiten und Zugehörigkeitsgruppen. Engere Kontakte werden nach strategischen Interessen eingegangen, aber bei Bedarf auch wieder gelöst. Eine längere Traditionen von ethnisch klar gekennzeichneten Kerneinheiten ist zumindest in außereuropäischen Verhältnisse eher die Ausnahme als die Regel. Nur verhältnismäßig gut organisierte und durch herrschaftliche Bande zusammen gehaltene Zentralgruppen konnten eine Kontinuität über längere Zeit hin aufbauen, welche auch durch einen Namen gekennzeichnet ist und weitergegeben wird. Im übrigen ist es erst im nachhinein sagbar, ob wir uns bei einer bestimmten Gruppe vor einer solchen Kerngruppe befinden.

23 Rumänien und die Erfindung einer langen Tradition in Abhängigkeit
1861 Einigung der „Donaufürstentümer“ Moldau (Hauptstadt Iasi) und Walachei (Hauptstadt Bukuresti) unter Alexandru Ioan Cuza 1878 Auf dem Berliner Kongress unter Auflagen – Bürgerrechte auch für Juden – erklärt. 1881 Karl von Hohenzollern erklärt sich zum König 1914 – 1918 Im Ersten Weltkrieg erleiden rumänische Truppen zwar eine schwere Niederlage. Doch sie stehen auf Seite der Sieger. 1918/19 können sie also ihr Ziel Großrumänien (mit dem Anschluss von Siebenbürgen, der Bukowina und der Moldau) durchsetzen. „Jene Deutung, wonach alle soziale Unruhe im Europa der Zwischenkriegszeit vom Versailler Vertrag ausgegangen sei, geht für Rumänien fehl“ (Heinen 1986, 40) Vor dem Zweiten Weltkrieg entwickelt das Land mit der „Legion Erzengel Michael“ bzw. der „Eisernen Garde“ seinen eigenen Faschismus. Nach dem Zweiten Weltkrieg kommt das Land unter sowjetischen Einfluss. In einem zähen Bemühen kann es sich wesentlich mehr Handlungsfreiheit erringen als die anderen Sowjetsatteliten. 1989 Als einziges Land der sowjetischen Einflusszone erlebt Rumänien eine Art Revolution. Der Staats- und Parteichef wird in einem Kurzprozess zum Tode verurteilt und, mit seiner Frau zusammen, erschossen. Nationalhistorische Konstruktionen – wie historische Konstruktionen überhaupt – können auch dann realpolitische Wirkungen entfalten, wenn sie weitgehend fiktiv sind. Rumänische Intellektuelle behaupteten Mitte des 19. Jahrhunderts ihre römische Herkunft („dakorumänische Theorie“). So sollte denn auch Rumänisch eine romanische Sprache sein. Zu dieser Zeit wurde diese Sprache kyrillisch geschrieben, stimmte im Lautbestand mit der hauptsächlich slawischen Umgebung überein, und war vom Vokabular her zumindest zur Hälfte nicht romanisch. Nun begann man sie lateinisch zu schreiben. Man begann den Wortbestand zu „reinigen“. Der slawische Teil wurde bis heute auf weniger als die Hälfte reduziert. Rumänisch wurde nun erst tatsächlich zur romanischen Sprache, auch wenn vieles ungewohnt für den klingt, der westromanische Sprachen gewohnt ist. Ähnlich Griechenland wurde auch Rumänien eine Nation, die ihre wichtigsten ideologischen Bestandteile aus dem Westen importierte. Man kann sagen: Die rumänische Nation wurde in den 1840er Jahren von Studenten aus der Moldau und der Walachei in Paris erfunden und zurück in die „Donaufürstentümer“ importiert. Die Revolution von 1848 nach französischem Vorbild scheiterte. Doch bald begannen die Protagonisten (Vasile Alecsandri, M. Kogalniceanu) eine nationale Einheit zu behaupten. Sie hatten politischen und persönlichen Erfolg. In der jüngsten Vergangenheit war das Ceausescu-Regime wiederum abhängig von ideologischem Import, diesmal des Marxismus, der allerdings in seiner rumänischen Form mit faschistischen Elementen versetzt war. Heute sucht das Land seine Stellung zwischen zwei Abhängigkeiten, von der USA in der NATO und von Westeuropa in der EU.

24 Der Berliner Kongress: Das europäische Konzert der Großmächte
Das internationale System Europas war auch im 19. Jahrhundert zwischenstaatlich stark reguliert: Der Berliner Kongress war eine Konferenz zwischen Vertretern des Deutschen Reiches, Russlands, Österreich-Ungarns, Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und des Osmanischen Reiches vom 13. Juni bis 13. Juli 1878 in Berlin. Der habsburgische Außenminister Gyula Andrássy ergriff nach den Wirren am Balkan die Initiative und lud die europäischen Großmächte zu einer Konferenz . Den Vorsitz führte der deutsche Reichskanzlers Otto von Bismarck. Der Kongress ersetzte die in San Stefano festgesetzten Beschlüsse durch die Berliner Kongressakte, in der es Bismarck als „ehrlichem Makler” gelang, von Russland Zugeständnisse zu erhalten (Berliner Frieden vom 13. Juli 1878). Serbien, Rumänien und Montenegro erlangten ihre Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich. Das Gebiet, das ihnen im Vertrag von San Stefano zugesichert worden war, wurde jedoch erheblich verkleinert. Bulgarien wurde in ein autonomes Fürstentum im Norden und eine osmanische Provinz geteilt. Neben den armenischen Gebieten Batum und Kars erhielt Russland das rumänische Bessarabien (Moldau). Als Ausgleich wurde Rumänien das türkische Territorium des südlichen Dobrudscha zugesprochen. Die beiden osmanischen Provinzen Bosnien und Herzegowina wurden Österreich-Ungarn, Zypern der britischer Verwaltung unterstellt. Nationen bilden seit je ein internationales Netz gleichartiger Strukturen, obwohl alle ihre Einmaligkeit behaupten. Das „Europäische Konzert“ vom Wiener Kongress bis zum Ersten Weltkrieg – das zwischendurch einmal fast zusammen brach, nämlich im Krimkrieg – war eine informelle, intensive Zusammenarbeit von sechs Großmächten, dem Vereinigten Königreich, Frankreich, Preußen / Deutschland, dem Habsburger-Staat und dem Zarenreich; nach 1870 wurde Italien berücksichtigt. Das Osmanische Reich war „halbes“ Mitglied. Die meisten der gemeinsamen Aktionen dieses Konzerts bezogen sich am Ende des Jahrhunderts auf die „Orientalische Frage“. Die Hohe Pforte war dabei mehr Objekt als Subjekt der Politik, als Großmacht nicht ernst genommen. In dieser Organisation des „Europäischen Gleichgewichts“ standen auch zwei multinationale und multiethnische Gebilde (Österreich-Ungarn und das Zarenreich). Es waren bis zum Ersten Weltkrieg nur die Großmächte, welche offen unbeschränkte Souveränität geltend machten bzw. die Souveränität der Kleineren einschränkten. Sie verkörperten „den Willen Europas“gegen die Kleinstaaten, wie es in den Stellungnahmen des habsburgischen Außenministers Goluchowski zur griechischen Angriffspolitik gegen die Pforte 1896 / 97 heißt. Kleine Nationalstaaten waren Objekte und nicht Subjekte der Politik. „Dieses Recht der großen nationalen Gebilde Europas auf politische Unabhängigkeit, anerkannt von der europäischen Demokratie, … bedeutete … die Anerkennung des gleichen Rechts auf eigene nationale Existenz für andere große, zweifellos lebensfähige Nationen. … Doch diese Anerkennung und die Sympathie mit den nationalen Bestrebungen beschränkten sich auf die großen und genau definierten historischen Nationen Europas; das waren Italien, Polen, Deutschland und Ungarn; Frankreich, Spanien, England, Skandinavien. …“ (Engels 1866 über Polen; in MEW 16, 156 ff.; die Kursive stammen von mir – AFR). Mit dem Grundprinzip der „europäischen Demokratie“, nämlich mit Selbstbestimmung, hat dies nichts mehr zu tun.

25 Die Türkei: Kemalismus als Nationenbau von oben Nationalismus als „abgeleiteter Diskurs“
Mustafa Kemal „Atatürk“ ( ), General, nationalistischer Führer, führte den Widerstand gegen den Vertrag von Sévres, erster Präsident der Republik Türkei ( ). Den Namen Atatürk („Vater der Türken”) nahm er 1934 an. Die sechs Prinzipien des Kemalismus: Nationalismus Laizismus: Der Islam darf keine politische Rolle mehr spielen Republikanismus Populismus: Mobilisierung der Massen, Revolutionismus: gewaltsame wie gewaltfreie gesellschaftliche Umgestaltung Etatismus: Der Staat gibt ein politisches Entwicklungsprogramm vor und setzt es durch Kemal legte seine Politik im Programm der PPP von 1931 fest und übernahm sie in die Verfassung von Populismus sollte die organisierte Unterstützung des Volks sein. „Volkshäuser“ sollten die neue politische Kultur flächendeckend in die Dörfer Anatoliens tragen. Nationenbau ist ein von oben dirigierter Aufbau von Nationalbewusstsein. Kemalismus ist das Paradigma einer abhängigen Entwicklung (Dependenz). Sie sieht ihr höchstes Ziel in der schnellen Übernahme westlicher Techniken, ökonomischer und sozialer Strukturen und sogar Kleidung. Das Atatürk’sche Fez-Verbot war vom osmanischen Wechsel vom Turban zum Fez in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorgebildet worden. Heute spiegelt sich dies im Verbot des islamischen Kopftuchs in türkischen Universitäten. Es ist ein Prozess abhängiger Modernisierung, welcher seine Legitimität auch durch eine Anreicherung mit indigenen Elementen gewinnen möchte, die allerdings oft nicht indigen sind. Es ist ein „abgeleiteter Diskurs“, der aber – im Gegensatz zum bengalisch-indischen Diskurs, welchen Partha Chatterjee (1986 und 1993) glänzend analysiert – kein Fragezeichen mehr hinter die Ableitung und Übernahme stellt. Die indigenen (auch nativistischen) Elemente sind „falsch-authentisch“. Selbst ihre Entwicklung ist gelernt aus dem westlichen Vorbild, welche eine kulturalistische Fundierung der Nation fordert und Folklore zur Identitätsbildung einsetzt. Heute führt eine „islamistische“ Regierung (Islamisch-Demokraten) eine Politik des Kemalismus, gemildert durch Partizipation. Damit hat sich das national­politische Projekt Türkei in einem wesentlichen Punkt geändert. Die Bevölkerung wird zum ersten Mal in ihrer Geschichte einbezogen. Nicht geändert hat sich das Ziel, die Verwestlichung, die „Europäisierung“. Dem nationalen Projekt, das die politische Führungsgruppe tabuisiert hatte, steht in der EU ein supranationales Projekt gegenüber. Es widerspricht in vielem dem türkischen Projekt und dürfte mit ihm kaum kompatibel sein. Ist diese Inkompatibilität eine Zeitfrage oder ein dauernder Antagonismus?

26 Die Sowjetunion bis 1989: Ein a-nationaler Ansatz
Sowjetunion (UdSSR) 15 Unionsrepubliken: RSFSR (Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik) Ukraine, Weißrussland, Estland, Lettland, Litauen, Moldau; Kasachstan, Turmenien, Usbekistan, Kirgisien, Tadjikistan; Armenien, Georgien, Aserbaidjan. Darin inkorporiert, der Großteil in der FSFSR: 20 Autonome Sozialistische Republiken (16 davon in der RSFSR, eine in Usbekistan, 2 in Georgien und eine in Aserbaidjan); weiters 8 Autonome Gebiete und 10 Autonomen Bezirken. Art. 72 der (Breschniewistischen) Verfassung von 1977 stipuliert ein Sezessionsrecht: „Jeder Unionsrepublik bleibt das Recht auf freien Austritt aus der UdSSR gewahrt.“ Dieses theoretische Recht erscheint bereits in der Verfassung von 1924, mit welcher die Sowjetunion als föderale Struktur begründet wurde, und auch in der Stalin‘schen Verfassung von 1936. Der „Realsozialismus“, d. h. der sowjetischen Version des Marxismus ist ein Versuch, ein nichtnationales Entwicklungsmodell zu formulieren. Die Integration in die neue Gesellschaft sollte auf individuelle Weise erfolgen. Das „sowjetische Volk“ war keineswegs als nationale Kategorie gedacht, war keine Dachnation, aber sollte eine Dachgesellschaft sein. Im nichtnationalen Entwurf hatten die Nationen ihren Platz, aber sollten eine untergeordnete Rolle spielen. (1) Eine Integration passierte wesentlich von oben her zu einer Zeit, in welcher diese top-down-Bewegung nicht mehr als legitim gilt. Die sowjetischen Systeme stützten sich nicht auf nationale Souveränität. Ihrem Anspruch auf Volkssouveränität lag ein Volksbegriff zugrunde, der nicht ethnonational, sondern sozial verstanden war. (2) Die Bedingung der Moderne in der Politik ist die Legitimierung „von unten“. Sie muss auch in diesen Systemen institutionalisiert sein. Ein Ansatz war z. B. die „Selbstverwaltung“ in Jugoslawien. Teils waren es auch die nationalen Parlamente der Teil-Republiken. (3) Das internationale System musste dies nicht nur zulassen, sondern sogar fördern. Die war unter der Bedingung der Systemkonkurrenz gegeben („Jalta“). Es gab einen Dualismus im sowjetischen Staatsaufbau. Die KPdSU spielte die zentrale politische Rolle. Sie verkörperte das „sowjetische Volk“. Sie stellte die Gemeinsamkeit der Herrschenden her. Die nationale Komponente wurde von der formalen Regierung repräsentiert. Daraus leitet sich eine Doppelgewalt mit einer Priorität des Parteipersonals in den Unions-Republiken ab. Da die Partizipation (d. h. die Demokratie) mangelte, entwickelte das „sowjetische Volk“ außerhalb der Partei keine integrative Kraft; es hatte nur eine beschränkte sozio-politische Wirklichkeit. Die Parteifunktionäre waren mit imperialen Kadern des britischen Kolonialreichs zu vergleichen, die nicht Bürger, sondern Untertanen verwalteten. They „saw themselves as fitted to rule any nation and any people, because they saw peoples as subjects and not as citizens“ (Kamenka 1993, 83).

27 Europa in der Zwischenkriegszeit: Die „kleinen Nationen“ werden selbständig
Die übernationalen Gebilde werden durch ihre Niederlage im Weltkrieg zerschlagen: Habsburgerstaat, Zarenreich, Osmanisches Reich. Es entsteht eine größere Anzahl von Kleinstaaten, welche „nationale Homogenität“W anstreben und dazu zugespitzt nationalistische Politik betreiben: Finnland, die Baltischen Staaten, Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, ... (in Westeuropa übrigens auch Irland. Im Lauf von ökonomischen Krisen übernehmen in den meisten dieser Staaten (Ausnahme: Tschechoslowakei, Finnland) durch Staatsstreiche und ähnliche Mittel faschistische Parteien und Diktatoren die Macht. Der Völkerbund (League of Nations) löste das „Europäische Konzert“ ab und sollte eine weltweite Friedensordnung garantieren. Er war zwar vom US-Präsident Wilson initiiert worden, doch aus kleinlichen innenpolitischen Motiven verhinderte der Kongress schließlich den Beitritt der USA. Als eine Reihe von Staaten faschistisch wurden und Angriffskriege zu führen begannen, traten sie aus dem Völkerbund aus (Italien, Japan, Deutsches Reich). Der Erste Weltkrieg ist nicht aus „nationalen Konflikten“ entstanden, wie häufig behauptet wird. Er entstand aus der Konkurrenz zweier Gruppen von Mächte um Märkte und Herrschaft. Doch haben Demokratisierungsprozesse innerhalb dieser zwei Lager stattgefunden, welche zur Entwicklung neuer Ethnonationenvor allem an den Rändern Europas führten. Die Verlierer des Ersten Weltkriegs wurden bald revanchistisch (Deutsches Reich, Ungarn). Aber auch in den meisten anderen Staaten brachten die alten sozialen Elite den Demokratisierungsprozess zum Scheitern. Es entstanden Faschismen und Militärdiktaturen: 1920 Monarcho-faschistische Diktatur in Ungarn 1922 Marsch der italienischen Faschisten auf Rom und Machtübernahme 1926 Staatsstreich und Militärdiktatur Pilsudskis in Polen 1926 Diktatur des Antanas Smetonas in Litauen 1934 Präsidialdiktatur des Konstantin Päts in Estland 1934 Diktatur des Karlis Ulmanis in Lettland 1933 Königsdikatur in Jugoslawien 1936 Faschismus in Griechenland 1939 Sieg der Franco-Diktatur im Spanischen Bürgerkrieg, u.a. Die meisten dieser Regime nannten sich „national“. Damit wurde der Ausdruck irreparabel beschädigt, denn mit demokratischer Selbstbestimmung hatten diese Regime nichts zu tun.

28 Europa nach 1945: Spaltung und globale Lager drängen nationale Politik in den Hintergrund
Die meisten der Staaten aus der Zwischenkriegszeit (Ausnahme: Die Baltischen Länder) entstehen wieder. Doch sie sind nunmehr in die „Systemkonkurrenz“ eingebunden. Ihre Politik wird bestimmt von den globalen Hegemonialmächten, der „Supermächten“. Das System der UNO mit der zentralen Institution Vereinte Nationen und vielen Fachorganisationen, die organisatorisch selbständig sind (UNESCO, UNIDO, FAO, ILO, ...) löst den Völkerbund ab und wird zum Ausdruck des internationalen Systems. Die Bildung zweier antagonistischer politischer Lager und ihre Konkurrenz untereinander unterdrückte zwischen 1945 und 1989 weitgehend nationale Rivalitäten innerhalb dieser Lager, im Bereich der NATO und des Warschauer Paktes. Die Hegemonialmächte USA und UdSSR dulden keine inneren Konflikte in ihrem jeweiligen Lager. Das Abkommen von Jalta hatte die Zuordnung zu den Lagern geregelt. In Westeuropa hielten sich auch die oppositionellen kommunistischen Parteien daran, trotz ihrer anderen Rhetorik. Nur in Griechenland funktionierte dies nicht, und in einem blutigen Bürgerkrieg wurde die KP zur Raison gebracht. In Osteuropa hingegen wird das sowjetische System eingeführt, meist gegen eine Mehrheit der Bevölkerung (Ausnahmen: Jugoslawien, Tschechoslowakei). Für vier Jahrzehnte gibt es nun kaum nationale Konflikte. Vereinzelte Versuche einer Verselbständigung werden schnell unterdrückt: DDR 1953, Ungarn 1956, Tschechoslowakei 1968. Die Innenpolitik dieser Staaten ist nicht nationalistisch, sondern versucht die sowjetischen Regelungen nach zu vollziehen. Ausnahmen bilden in gewissem Grad Rumänien, wo ein rumänischer Ethnonationalismus zur Variante des Kommunismus dieses Landes gehörte; vor allem aber Bulgarien, wo vor allem in den 1980er Jahren eine Welle von politischen Unterdrückungsmaßnahmen gegen die Türken getroffen werden, die auch teilweise vertrieben werden.

29 Europa nach 1989 Demokratisierung und Nationalisierung gingen in Ost- und Südosteuropa Hand in Hand. Der Zusammenbruch der Sowjetunion hat die Idee des Nationalstaats in Osteuropa als Gegenentwurf wieder neu belebt. In Westeuropa haben allerdings postnationale Strukturen Kraft gewonnen. „What has tended to alter the basic conditions for national homogeneity – by imposing new conditions for ‘homeness’ and belonging – are European, transnational, and globalizing processes and the new types of identity formation, boundary confusion, and ethnic politics that follow in their wake. ‘Globality’ … spells significant changes in the cultural landscapes of belonging, not because it supplants the nation-state and the forms of homeness outlined so farbut because it changes the contexts (politically, culturally, and geographically) for them, situates national identity and belonging differently and superimposes itself on ‘nationality’ as a new frame of reference, values, and consciousness, primarily for the globalized elites, but increasingly for ‘ordinary citizens’ as well” (Hedetoft / Hjort 2002, XV). Nationalismus will eine Deckung / Kongruenz des politischen Verbandes (des Staates) mit der an spezifisch kulturellen Markern (Sprache, etc.) abgezirkelten Gesellschaft (der Nation). Das Identität sollte den Strukturgrenzen der Nation folgen und diese eventuell auch in mancher Weise modifizieren (das politische Projekt in inhaltlicher und räumlicher Hinsicht). Wenn aber „die Kongruenz der sozialen und politischen Räume“ (Zürn 1998, 10) aufgehoben wird, weil die Regelungskapazität des national-territorial begrenzten Staats nicht mehr an die Probleme heran kommt, zieht dies der nationalen Politik den Boden unter den Füßen weg. Nation und Nationalismus wollen diese Kongruenz doch gerade herstellen. „Nur wenn der Kreis der Betroffenen (bisher: die Nation) einigermaßen mit dem Raum des zu regelnden Handlungszusammenhanges (bisher: der Territorialstaat) übereinstimmt, kann die Regelung ihre Ziele erreichen“ (Zürn 1998, 17).

30 Minderheiten Mehrzahl MEHRHEIT UNTERWORFENE
Macht Ohnmacht Mehrzahl MEHRHEIT UNTERWORFENE Minderzahl ELITE MINDERHEIT "Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht. ... "Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhaltes bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden" (Weber 1976, 28). In modernen Gesellschaften sind die einzelnen sozialen Teilsysteme autonom und ausdifferenziert, folgen einer jeweils eigenen „Handlungslogik“. Die sozialen Mikrosysteme des Alltags (Familie und Haushalt) und der Berufswelt (Arbeitsstätte, Verein; usf,); der Wirtschaft (Markt: Einkommens- und Gewinnmaximierung) und der Politik (Machtgewinn und -erhalt) sind in der Machtverteilung aber ungleichmäßig und unsymmetrisch. Das politische System funktioniert in Demokratien in der Entscheidungs-findung nach der Mehrheitsregel. Wo danach Entscheidungen getroffen werden, gibt es Minderheiten. Zum Problem wird dies weniger bei politischen Minderheiten: Sie können rechnen, irgendwann auch die Mehrheit zu stellen. Wenn aber das Merkmal vorgegeben ist („zugeschrieben“), dann ist dies innerhalb übersehbarer Zeiten nicht mehr möglich: Es entstehen „ewige Minderheiten“. Eine Minderheit ist nicht sosehr durch ein Zahlen- als vielmehr durch ein Herrschaftverhältnis definiert. Nicht jede kleine Gruppe ist auch eine „Minderheit“ und nicht jede Minderheit ist eine ethnische Minderheit: Es gibt religiöse, weltanschauliche, kulturelle, verhaltensmäßige (z. B. sexuelle) und politische Minderheiten. Luhmann 1975, 8; 11, 12, 14: Macht ist “die Übertragung von Selektionsleistungen ... Macht ordnet soziale Situationen mit doppelter Selektivität...; ist Beschränkung des Selektionsspielraumes des Partners; ... Die Funktion der Macht liegt in der Regulierung von Kontingenz...Macht ‘ist’ eine codegesteuerte Kommunikation.” “‘Power’ in this heighly generalized sense means ‘transformative capacity’, the capability to intervene in a given set of events so as in some way to alter them Domination is expressed as nodes of control ... Relatively stable forms of control are types of rule” (Giddens 1987, 6 ff.) .

31 Osteuropa – eine Übersicht
Staat Minderheit Zahl 1998 Anteil 1998, in % Albanien Griechen 3,5 Belarussland Polen 4,1 Russen 13,2 Bulgarien Roma 8,9 Türken 8,5 Kroatien 35.000 0,8 Serben 5,3 Tschechien 2,6 Slowaken 3,9 Estland 28,7 Ungarn 5,60 Lettland 34,40 Litauen 7,00 8,70 Makedonie Albaner 22,90 12,00 48.000 2,40 Moldova Gagausen 3,50 Slawen 26,80 Rumänien Magyaren 8,90 9,30 Slowakei 10.80 Jugoslawien Kroaten 134 1,20 4,00 Kosovaren / Albaner 14,00 Sandzak Muslime 1,84 Kommentar: Die Zahlen sind allenfalls indikativ, denn kaum wo gibt es mehr Zwiespalt als im Kampf um die Mitgliederzahl von Nationen, ethnischen Gruppen und Minderheiten. Weiters gibt es viele Kleingruppen, die hier nicht angeführt werden. Weiters ist an den analytischen Begriff der Minderheit zu erinnern: Nicht jede ethnische Gruppe ist auch eine „Minderheit“.

32 Minderheiten im Europa in der Zwischenkriegszeit
„Völkerbundsystem“ Zum Minderheitenschutz werden durch Einzelbestimmungen in den Friedensverträgen vor allem die Kriegsverlierer, aber auch die neu entstandenen Staaten auf dem Gebiet des Habsburgerreichs und des Zarenreichs verpflichtet. Die Sieger selbst übernehmen keine Verpflichtungen. Trotzdem ist es ein vergleichsweise effizientes Minderheitenschutzsystem, wenn auch mit Lücken. Es wird überwacht durch den STIG (Ständiger Internationaler Gerichtshof). In den sogenannten „Pariser Verträgen“, aber auch in anderen internationalen Vereinbarungen, wurden Minderheitenschutzbestimmungen aufgenommen. Im Vertrag von St. Germain, Art. 63 bis 69, wurde z. B. die Republik Österreich verpflichtet, ihren Minderheiten Schutz vor Assimilation angedeihen zu lassen, z. B. ihnen Unterricht in der eigenen Muttersprache zu ermöglichen. Minderheiten nahmen diesen Schutz durchaus in Anspruch, indem sie sich mit Beschwerden an den Völkerbund wandten oder Klagen beim STIG einbrachten und nicht selten auch Recht bekamen. Die Unzufriedenheit mancher Staaten mit solchen Entscheidungen führte dazu, dass einzelne unter ihnen aus dem Völkerbund austraten (z. B. Polen 1934). Diese Minderheiten bildeten auch Verbände, hauptsächlich den Europäischen Nationalitätenkongress. Tonangebend wurden dabei die deutschen Minderheiten. Sie wurden sehr bald vom NS-Regime instrumentalisiert. Seit Hitlers Machtergreifung 1933 wandelten sich nicht wenige unter ihnen zu „Fünften Kolonnen“ des Hitler-Regimes. Von den Sudetendeutschen in der Tschechoslowakei stimmten bei der letzten Wahl 80 % für die nazistische Henlein-Partei. Nicht unähnlich war es in Jugoslawien und in Ungarn. Dies war einer der Gründe für die Vertreibung der Deutschen am Ende des Zweiten Weltkriegs.

33 Gibt es „die Russen“? Mittelasien: Azerbaijan 1.964.000
Kasachstan Kirgisien Georgien Tadjikistan Turkmenistan Usbekistan Ukraine Weißrussland ?? Baltische Staaten: Estland Lettland Litauen Moldau Gesamt Mittelasien: Kasachstan Georgien Mittelasien: Kasachstan Georgien Nehmen wir diese Übersicht ernst, so sind „die Russen“ die mit Abstand größte Minderheit in einem „europäischen“ Kontext, auch wenn die Hälfte von ihnen in den neuen unabhängigen Staaten Mittelasiens lebt. Doch gibt es „die Russen“ überhaupt? Die einzelnen russischen Sprachgruppen leben in unterschiedlichen sozialen und politischen Zusammenhängen, je nach der inneren Situation des Staats. Wenn man darunter eine ethnische oder nationale Einheit versteht, gibt es sie eindeutig nicht. Es gibt zumindest bisher kein einheitliches Bewusstsein, und auch die Situationen in den unterschiedlichen Heimatstaaten sind sehr verschieden. In Mittelasien sind sie die Trümmer der vorherigen Sowjetunion. Sie bilden in einzelnen Staaten eine substanzielle Minderheit, in Kasachstan kamen sie am Ende der Sowjetunion sogar an die Mehrheit heran. Heute sind sie Staatsbürger, von denen die autoritären Regierungen Unterordnung erwarten. In den Baltischen Staaten Estland und Lettland sind sie politisch entrechtet, einem erheblichen Teil wurde die Staatsbürgerschaft aberkannt. Ökonomisch geht es ihnen im Schnitt schlechter als der Mehrheit, aber besser als es ihnen in Russland gehen würde. In der Ukraine, insbesondere im Osten, waren sie bisher in keiner Weise diskriminiert. Tatsächlich wird Russisch manchmal noch als lingua franca auch von Ukrainern verwendet. Die Auseinandersetzungen um die Präsidentenwahl November / Dezember 2004 brachten erstmals neue Akzente, allerdings noch immer weitgehend ohne ethnische Splits: Klar wurde vielmehr, dass „Nation“ unterschiedliche Projekte bedeuten kann. Ethnische Einheiten werden nicht durch ein „objektives Merkmal, wie die Sprache, konstituiert, sondern im Bewusstsein und in der politischen Aktion.

34 (Ex-) Jugoslawien Sechs Republiken: Slowenien Kroatien
Bosnien und Herzegowina Serbien, inklusive der Autonomen Republiken Kosovo Wojwodina Montenegro Makedonien Die Völker des früheren Jugoslawien waren in einer Hierarchie geordnet: Die Titular-Nationen der Republiken wurden als Nationen (narod) bezeichnet; sie hatten theoretisch Souveränität und auch das Recht der Sezession. Die Nationalitäten (narodnost), insbesondere die Albaner und die Ungarn, hatten ausgedehnte Autonomierechte in den Autonomen Republiken Kosovo und Wojwodina, welche durchaus auch in der Wirklichkeit substanziell waren. Minderheiten i. S. westeuropäischer Auffassungen wurden dort als ethnische Gruppen oder auch als nationale Minderheiten oder ethnische Minderheiten bezeichnet. Davon gab es eine große Anzahl, von den Ungarn in Slowenien über die Rusynen bis zu den Slowaken in der Wojwodina. Man kann durchaus von einer mustergültigen Gesetzgebung im Rahmen des durch das System Möglichen sprechen. Jugoslawien ging auch keineswegs an nationalen und ethnischen Problemen per se zugrunde. Vielmehr gab es eine Systemkrise, in welcher grundlegende soziale Probleme nationalisiert und ethnisiert wurden. Der Demokratisierungsprozess begann von unten, wurde aber auf der obersten Ebene jahrelang verweigert. Darüber hinaus wirkten die Grenzen der Republiken, welche im Rahmen des alten Systems stabilisierend waren, weil sie das Übergewicht einzelner Nationen (der Serben) minderten, im Prozess der Auflösung konfliktsteigernd, weil sie nicht mit den ethnischen Grenzen zusammen fielen. Die Politik des Westens (Frankreich, UK, USA; die BRD verfolgte eigene Interessen und führte daher früh eine eigene Politik) wollte zuerst Jugoslawien um jeden Preis erhalten (Unterstützung für Ante Markovic bis 1991), dann aber unbedingt Serbien von außen bestimmen. Insgesamt wirkte diese Intervention konfliktsteigernd.

35 Sinti und Roma: Marginale als Minderheit
„Roma“ ist ein Überbegriff, welche die diversen Gruppen selbst gewählt haben, um die diskriminierende Bezeichnung „Zigeuner“ („Schwarze“, gypsies, ...) zu vermeiden. Es gibt viele Gruppen, welche ursprünglich wenig gemeinsam hatten als eine starke Diskriminierung durch die jeweiligen Mehrheiten seit Hunderten von Jahren: Roma Sinti Lovara Chalderasch u. a. Wie viele Roma gibt es in Europa? Die Zahlen sind ganz unzuverlässig, weil die Frage nicht beantwortet ist, wer ein Roma ist. Die Angaben schwanken zwischen 5 und 8 Millionen Menschen. Bulgarien: ? Rumänien: ? Slowakei: ? Früheres Jugoslawien: ? Tschechien: ? Roma unterscheiden sich beträchtlich von den anderen, oft „autochthon“ (seit langem ansässig) genannten Minderheiten in Europa. Ihr Herkunftsmythos ist „Indien“. Sie sind bis heute vor allem ein Unterschichtverband, eine Ethno-Klasse, deren wesentlichste Gemeinsamkeit die Diskriminierung von außen ist. Ein Teil pflegt noch die nomadisierende („fahrende“) Lebensweise. Die meisten sind lange sesshaft, weil sesshaft gemacht. Fast überall sind sie am Fuß der sozialen Pyramide angesiedelt. Ein beträchtlicher Teil unter ihnen strebt daher – im Gegensatz zu den meisten Mitgliedern der anderen Minderheiten – eine Assimilation an, welche ihre Vergangenheit möglichst auslöschen und unkenntlich machen soll. Da ihre Herkunft häufig äußerlich erkennbar ist (Haut-, Haarfarbe), ist dies nicht einfach. Ihnen wird daher oft die Assimilation verweigert, welche von anderen Minderheiten dagegen verlangt wird. Seit vielen Jahren gibt es Versuche politischer Organisation, welche oft wenig zweckmäßig angelegt sind („Zigeunerkönige“ und dgl.). Jedenfalls ist die Integration der Roma das wahrscheinlich ernsthafteste Minderheitenproblem in Europa, und insbesondere in Osteuropa, denn dort lebt noch immer die große Mehrzahl der Roma. Sie haben häufig Konflikte mit der Mehrheit; ein erheblicher Teil unter ihnen sucht die Auswanderung.

36 Albanien und die Albaner
Albanien wurde als Staat unabhängig 1913, fast gegen den eigenen Willen: Ein Großteil der Bevölkerung war damals noch auf das Osmanische Reich orientiert, einzigartig unter den Balkanstaaten und -völkern. Damals verblieb gut die Hälfte der albanisch sprechenden Bevölkerungsgruppen außerhalb der Grenzen des neuen Staates. Kosovo und angrenzende Gebiete: 1, Makedonien: Griechenland kleine Gruppen sowie Auswanderer Italien: Abareshe (Sprecher eines alten Albanisch in Süditalien) ? Die Albaner gehören zu den spätesten Gruppen, welche in Europa den Prozess der Nationenbildung in Angriff nahmen, mehr gestoßen als aus eigenem Impuls. „An accidental state“ (Fischer 2004, 177) hat man Albanien genannt. Zuerst war dieser Kleinstaat von Italien abhängig, der König Ahmed Zogu war eine Marionette Italiens. Im Zweiten Weltkrieg wurde er auch offen von Mussolini-Truppen besetzt. Im Widerstand dagegen übernahm die KP mit Enver Hoxha (1908 – 1985) im Partisanenkampf die Führung. Sie hat (1) eine autarkistische Politik durch (2) eine Revolution von oben seitens (3) einer kleinen politischen Elite mit Hilfe (4) einer entpolitisierten technokratischen Intelligenz durchgeführt. Ziel war eine (5) international anerkannte (6) Modernisierung kemalistischen Musters i. S. einer (7) antibäuerlichen Agrarrevolution und einer (8) Industrialisierung. Trotz des stalinistischen gewaltorientierten Regimes in Albanien gab es in den Nachbarländern einen gewissen Irredentisimus, der ein „Großalbanien“ anstrebte. Heute ist die „albanische Frage“ im Kosovo noch immer nicht gelöst: Die Provinz ist durch den NATO-Angriff auf Serbien 1999 zum Protektorat dieses Militärbündnisses geworden. Die Führungsgruppe verlangt Selbständigkeit und wird sie auch bekommen. In Makedonien gab es 2001/2002 einen kurzen Krieg auf Sparflamme, hauptsächlich von Kosovaren getragen. Im Abkommen von Ohrid wurde eine Regelung getroffen, welche den dortigen Albanern starke Selbstverwaltungsrechte gibt. Die Bewährung dieses Abkommens, d. h. die Haltbarkeit des Friedens, steht noch aus.

37 Sonderfall Bosnien und Herzegowina (BiH)
Türken, Muslime Griechenland In Westthrakien gibt es eine über Personen starke Gruppe von im wesentlichen türkischer Umgangssprache, welche durch den Lausanner Vertrag völkerrechtlich geschützt sind, allerdings nicht als „Türken“, sondern als „Muslime“. Bulgarien Laut Volkszählung 2001 leben Türken in Bulgarien, dazu noch rund Pomaken, Menschen mit islamischen Wurzeln, aber bulgarischer Umgangssprache. Sonderfall Bosnien und Herzegowina (BiH) Die Muslime, manchmal nach historischem Muster Bosniaken genannt, sind die größte Gruppe dieser ehemaligen jugoslawischen Republik, haben aber keine Mehrheit. Sie waren früher die „Titularnation“ ihres Gebiets. Im heutigen BiH müssen sie die Macht mit den Serben und den Kroaten teilen. Die Türken und die islamisierten Gruppen auf dem Balkan, die meist aus Opportunitätsgründen zur Religion der Herrschenden konvertiert waren, bildeten in der osmanischen Zeit eine privilegierte Gruppe. Nach der Unabhängigkeit des jeweiligen Gebiets kamen sie daher stark unter Druck. In BiH kam ihnen die habsburgische Politik nach der Okkupation 1878 entgegen, Nach dem Motto divide et impera sollten dadurch die Serben geschwächt werden. Nicht völlig zu Unrecht heißt es, der österreichisch-ungarische Finanzminister Kállay habe, als Administrator in BiH, die Bosniaken als Nationalität „erfunden“. Allerdings existiert keine Nationalität als natürliche Einheit, sondern wird von jemanden „erfunden“. In Griechenland wurden in der Folge des Lausannner Vertrags rund Türken gegen 1,5 Mill. Griechen aus Kleinasien „ausgetauscht“: Beide Seiten vertrieben die jeweils anderen. In Westthrakien erhielt allerdings eine Gruppe unter der Bezeichnung „Muslime“ Autonomierechte, vor allem im Familienbereich und in der Schule. Die Türkei hielt sich dagegen nicht an ihre vertraglichen Verpflichtungen zum Schutz der .Konstantinopel-Griechen sowie der Einwohner der zwei Inseln Imbros / Gökceada und Tenedos / Bozacaada. Von den seinerzeit Griechen in Istambul sind daher heute nur mehr 2 – übrig geblieben. In Bulgarien gibt es neben den Türken noch eine islamisierte Gruppe bulgarischer Sprache, die Pomaken. Von nationalistischen Bulgaren werden sie als Bulgaren betrachtet, sie selbst sehen sich als eigene Gruppe und neigen eher den Türken zu.

38 Ungarn und „seine“ Magyaren
Amtssprache in Ungarn war bis 1784 das Latein – die Sprache einer kleinen Oberschichtgruppe, des magyarischen Adels! Bis 1918 / 1919: Zu den „Länder der Stephanskrone“ gehörte auch Kroatien und Slawonien, die Slowakei (damals: „Oberungarn“), und Siebenbürgen (Transsylvanien) im heutigen Rumänien, weiters schließlich auch das heutige österreichische Bundesland Burgenland sowie das slowenische Gebiet Prekmurje. Im Friedensvertrag von Trianon wurde dieses alte Großungarn auf ein Drittel der Fläche reduziert. Es verblieben Millionen von Magyaren außerhalb der Grenzen des ungarischen Staats. Slowakei: rund Rumänien: 2, Serbien: Slowenien: 8.000 In kleinen Zahlen auch in Österreich und in der Ukraine Heute: Ungarn führt gegen seine eigenen Minderheiten eine mustergültige Politik. Doch es geriert sich als Schutzmacht für die Magyaren Im Ausland. Hier sind seine Maßnahmen umstritten und werden mit Misstrauen betrachtet („Statusgesetz“) Ungarn führte im Staatsverband des Habsburgerreichs von 1876 bis 1918 eine harte assimilatorische und unterdrückende Politik gegen die anderen nichtmagyarischen Nationalitäten auf seinem Gebiet. Die Sieger wollten den neuen Staat nach 1918 bestrafen und die eigenen Alliierten (Rumänien, Tschechoslowakei, Jugoslawien) belohnen und zerschlugen den alten Staat. Es gab darauf in den genannten Staaten irredentistische magyarische Minderheiten, einen ungarischen „Revisionismus“. Heute sind diese Minderheiten unter Druck seitens rumänischer und slowakischer Nationalisten. Sie werden von Ungarn gefördert, indem diese Republik ihnen im „Statusgesetz“ Rechte verliehen hat, welche im wesentlichen jenen von ungarischen Staatsbürgern nahe kommen. Dies wiederum sehen die Nachbarstaaten als Angriff auf ihre staatliche Integrität. Die Beziehungen Ungarns zur Slowakei und zu Rumänien sind daher nicht friktionsfrei. Nationalisten in diesen beiden Ländern sehen in den Magyaren ein ständiges Ziel ihrer Angriffe. In der Slowakei besiedeln die Magyaren kompakt einen schmalen Streifen an der Donaugrenze zu Ungarn. Durch die Verwaltungs-reform und die Einteilung des Landes in drei große Regionen haben sie aber keine Möglichkeit, über der Gemeindeebene irgendwo die Mehrheit zu bilden.

39 Rumänien Geschätzte 2 Mill. Magyaren (s. u. die Volkszählungsergebnisse) Geschätzte 2,1 Mill. Roma (offizielle Zahl wesentlich niedriger) Reste von Deutschsprechern, ursprünglich an die Diese wurden in den 1970er und ‚80er Jahren in einem Handel regelrecht an die BRD verkauft. Großrumänien – in etwa das heutige Rumänien mit der Republik Moldau – entstand im Jahr 1918 und umfasste eine große Anzahl von nationalen Minderheiten. Die Ungarn bilden heute in Siebenbürgen eine auch politisch gut organisierte Kraft mit einer Sammelpartei. Allerdings sind die Magyaren Angriffsziel rumänischer Chauvinisten. Diese setzen gerne dort Schikanen gegen die Magyaren ein, wo sie im kommunalen Bereich die Mehrheit haben. Bevölkerung insgesamt Rumänen Ungarn, inl. Szekler, Csangos Roma Deutsche, Schwaben, Sachsen Ukrainer, Ruthenen Lipowaner, Russen Türken Serben Tataren Slowaken

40 Hidden Minorities oder Folklore?
Aromunen Koutsovalachen (Megleno-Rumänen) Bunjewatzen Huzulen Czoernig 1857, VIII: "In keinem Gebietsteil der Monarchie haben sich im Verhältnis zu dem Umfange soviele Reste verschiedener Nationalitäten und von Abstufungen derselben noch mehr als in der Sprache, in der Kleidung und in der Sitte erkennbar erhalten, als in der kleinen Halbinsel von Istrien... Aber nicht allein die 13 ethnographischen Nuancen, welche der Unterzeichnete dasselbst festzustellen vermochte – Italiener (directe Nach-kommen der römischen Ansiedler und Venezianer), Romanen (Walachen), Albanesen, Slovenen (Savriner, Berschaner und Verchiner), Kroaten (Berg-, Ufer- und Inselbewoh-ner), Beziaken und Fucky, Serben (Uskoken, Morlaken und Montenegriner) und die rätselhaften Tschitschen – sind es, welche der ethnographischen Darstellung Verlegenheit bereiten, sondern insbesondere die Verschmelzung verschiedener Abtheilungen einander nahestehender, ja selbst der entgegengesetztesten Volksstämme." – Erst als die Welt nationalstaatlich strukturiert wurde, setzte sich auch in diesem Gebiet die ethnonationale Vereinheitlichung durch. In Westeuropa u. a.: Sprachinseln der Cimbern in Oberitalien Aromunen: eine über den ganzen Balkan verbreitete Gruppe mit romanischer Sprache, welche jedoch nur in ihren lokalen / regionalen Untergruppen (Istrorumänen, Meglenorumänen / Koutsovalachen, ...) eine Identität entwickelt hat. Diese Kleinstminderheiten sind die Reste des großangelegten Homogenisierungs-prozesses, welcher aus lokal und regional basierten Kleingesellschaften eine größere ethnische und schließlich eine nationale Einheit, eine Nation erzeugte. Diese Gruppen sind gewöhnlich nicht diskriminiert, aber auch nicht geschützt. Sie können so kaum als Minderheiten bezeichnet werden. Die Assimilation bringt sie aber weitgehend zum Verschwinden. Es gibt von Zeit zu Zeit Versuche der Revitalisierung. Die Prusen (Altpreußen) waren eine baltische Gruppierung vor allem im späteren Ostpreußen, welche dieser Gegend und schließlich den dort einwandernden Deutschsprachigen ihren Namen gaben. Die letzten Sprecher dieser Sprache dürften bereits um 1700 u. Z. verstorben sein. Heute gibt es in Berlin wieder einen „Preußen-Verein“, von dessen Mitgliedern sich einige allen Ernstes wieder als „Prusen“ kennzeichnen. Es gibt auch etwas politisch ernsthaftere Ansätze: Im heutigen Südschweden, auf der Halbinsel Schonen / Skåne, gibt es seit Jahren eine in der Größenordnung und Bedeutung schwer abschätzbare Gruppe, welche nicht mehr „Schweden“ sein will, weil ihre Vorfahren vor einigen Jahrhunderten erst (?) zu Schweden gekommen seien, vorher gehörten sie politisch zu Dänemark. Und überhaupt seien sie auch nicht Dänen gewesen, sondern eben Schonen.

41 Kleinminderheiten: Der Fall der Ruthenen
Slowakei laut Volkszählung 2001: „Ruthenen“ und „Ukrainer“; aber es gibt laut derselben Zählung Menschen, welche Ruthenisch als ihre Muttersprache angeben, wovon sich aber der Nationalität nach als Slowaken einordnen. Ukraine: Ruthenen werden offiziell zu den Ukrainern gezählt, vielleicht Ruthenische Nationalisten selbst geben phantastische Zahlen bis zu Köpfe an. Assimilation: Der Wechsel von Identitäten und (ethnischen) Zugehörigkeiten, meist von einer Minderheit zur Mehrheitsnation. Die ethnisch bewussten Sprecher der Minderheiten betrachten gewöhnlich Assimilation als Hauptgefahr ihrer Einheit und behandeln nicht selten die Assimilierten als „Verräter“. Doch Zugehörigkeit ist eine Frage auch der Option, der Wahlfreiheit. Ein ethisch-politisches Problem aus einer liberalen Sicht erhebt sich dort, wo Assimilation nicht freiwillig erfolgt, sondern unter politischem Druck vor sich geht. „When we compare the rubric ‚nationality‘ in census from different dates we find an incredible fluctuation: inhabitants of the same village are mentioned once as Rusyns, ten years later as Slovaks, a further ten years later as Russians, later still as Ukrainians, then again as Slovaks.“ Musinka 1992, 224 Auch hier stellt sich die Frage: Wer ist ein Ruthene / Rusyne? Die Ukrainer betrachten Ruthenen offenbar nur als sozial etwas zurückgebliebene Ukrainer mit einem regionalen Sonderbewusstsein. Die Ruthenen selbst scheinen eine große Unsicherheit über ihre nationale / ethnische Zugehörigkeit entwickelt zu haben. Wir finden dies häufig bei Nationalitäten und ethnischen Gruppen ohne ambitionierte Führungsgruppe, die aus der Idee des Sprachnationalismus heraus auch Teil einer anderen Nation sein könnten. Es ist kein osteuropäisches Spezifikum. Sind die Friulaner in der Nordostecke Italiens „Italiener“, Ladiner, oder eben doch eine eigene ethnische Gruppe und damit u. U. sogar eine Minderheit? Als offizielle Zahlen eher ungewöhnlich sind die slowakischen Angaben. Dort wurde – in der sowjetischen Tradition, welche bis 1989 nach Muttersprache und nach Nationalität fragte – in der VZ nicht nur nach der Muttersprache gefragt, sondern auch nach der Nationalität. Mehr als die Hälfte der Menschen, die in der Muttersprache Ruthenisch erzogen wurden, bezeichnen sich aber als Slowaken. Das Fakt an sich ist in der Gegenwart keineswegs ungewöhnlich: Bei vielen kleinen Minderheiten gibt es einen erheblichen Anteil, welche ethnisch nicht mehr zur Minderheit gehören wollen, sondern zur Mehrheits-Ethnonation.

42 Immigranten und Migranten
Einwanderer: Hauptproblem ist nicht der Spracherhalt und die Identität, sondern die Integration. Einwanderer stehen meist am Fuß der sozialen Pyramide. Auswanderung, um sich ein besseres Leben zu erarbeiten, war vor allem im Europa des 19. Jahrhunderts eine Standardlösung für europäische und nicht zuletzt ost-europäische Arbeiter und Bauern sowie auch für unterdrückte Bevölkerungsgruppen (religiöse, teils auch schon ethnische Minderheiten). Ziele waren damals vor allem die USA, aber auch Kanada, Südamerika, Australien; teilweise auch Südafrika und sonstige europäisch beherrschte Kolonien. Seit den 1960er Jahren wurde auch Westeuropa zu einem bevorzugten Wanderungsziel. Osteuropa ist infolge des drastischen Wohlstandsabfalls in den meisten Ländern nach der „Wende“ heute nur ein unbedeutendes Wanderungsziel. Allerdings gab es in der KP-Zeit organisierte Gruppen von Wanderarbeitern: die Vietnamesen z. B. Von ihnen sind heute noch Reste verblieben. Weiters scheint es eine gewisse Ost-West-Bewegung zu geben: Vietnamesen und Chinesen wandern zumindest zeitweise in die Ukraine, Ukrainer wandern nach Polen, Polen wandern nach Deutschland und Österreich ...

43 Minderheitenschutz Die wichtigste Instanz für den Minderheitenschutz in Europa ist der EUROPARAT The European Convention on Human Rights Rome, 4 November 1950 Framework Convention for the Protection of National Minorities Strasbourg, 1. II. 1995 Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen1 Straßburg/Strasbourg, 5. XI. 1992 UNO-Dokumente (nicht bindend) EMRK, ARTICLE 14 The enjoyment of the rights and freedoms set forth in this Convention shall be secured without discrimination on any ground such as sex, race, colour, language, religion, political or other opinion, national or social origin, association with a national minority, property, birth or other status. Sprachencharta, Teil II – Ziele und Grundsätze in Übereinstimmung mit Artikel 2 Absatz 1 Artikel 7 – Ziele und Grundsätze Hinsichtlich der Regional- oder Minderheitensprachen legen die Vertragsparteien in den Gebieten, in denen solche Sprachen gebraucht werden, unter Berücksichtigung der Situation jeder Sprache ihrer Politik, Gesetzgebung und Praxis folgende Ziele und Grundsätze zugrunde: die Anerkennung der Regional- oder Minderheitensprachen als Ausdruck des kulturellen Reichtums; die Achtung des geographischen Gebiets jeder Regional- oder Minderheitensprache, um sicherzustellen, daß bestehende oder neue Verwaltungsgliederungen die Förderung der betreffenden Regional- oder Minderheitensprache nicht behindern; die Notwendigkeit entschlossenen Vorgehens zur Förderung von Regional- oder Minderheitensprachen, um diese zu schützen; die Erleichterung des Gebrauchs von Regional- oder Minderheitensprachen in Wort und Schrift im öffentlichen Leben und im privaten Bereich und/oder die Ermutigung zu einem solchen Gebrauch;

44 „Symbolische Ethnizität“: Die Zukunft der Minderheiten?
Der US-Kultursoziologe Gans 1985: „Da die strukturellen Funktionen von ethnischen Kulturen und Gruppen an Bedeutung abnehmen und Identität die hauptsächliche Weise ist, in der man ’ethnisch’ ist, bekommt Ethnizität eher eine expressive als eine instrumentale Funktion im Leben der Menschen, wird so mehr und mehr zu einer Freizeit-Aktivität und verliert an Relevanz z. B. für die Regulierung des Familienlebens oder den Lebensunterhalt. Expressives Verhalten kann viele Formen annehmen; es beinhaltet meist auch die Nutzung von Symbolen eher als Zeichen denn als verhaltensleitenden Mythen …“ Tatsächlich hat in den USA Ethnizität im Alltag, abgefragt unter der Bezeichnung „ancestry“, keine Bedeutung mehr. Die Sprachkenntnis geht meist schon in der zweiten Generation verloren. „Ethnizität“ heißt dann die Erinnerung an eine bestimmte Abstammung. Changes in Language Use of U.S.born south-centraleastern Eruopean Ethnics Born % report non-English % Currently speak   non-English language non-English language home în childhood home before ,8 18,2 1916 – ,2 14,9 1931 – , ,2 1946 – , ,3 after , ,8 (Alba 1990) Der „liberale“ Zugang hat seit je einen Bedeutungs-Verlust des Ethnischen behauptet. Später hat man auf die vielen ethnischen Konflikte hinzuweisen und diese „liberal fallacy“ der Blindheit bezichtigt. Unbestritten ist der Rückgang struktureller Bedeutung ethnischer Grenzen. Gleichzeitig gibt es eine sogar steigende Kraft des Ethnischen als mentaler Bezugsrahmen. Das Konzept symbolischer Ethnizität ist in der groben Formulierung von Gans anfechtbar, gibt aber analytischen Hinweis. Allerdings ist die US-amerikanische Situation nicht ident mit der west- oder osteuropäischen. In Westeuropa drückt sich dieser Wandel als symbolische Zweisprachigkeit aus. Mehr-sprachigkeit wird in der heutigen Rhetorik der Diversität von Seiten der Mehrheiten hoch gewertet. Sie darf aber keine politischen und strukturellen Folgen haben. Minder-heiten akzeptieren dies weitgehend; sie kommen dem in vorauseilendem Gehorsam nach. Symbolische Ethnizitätin der Form der symbolischen Zweisprachigkeit, nimmt den Charakter von Folklore-Ethnizität an, von weekend-Ethnizität, ritueller Ethnizität, usf.. Ethnizität betrifft nicht mehr Differenz – wie etwa „Rasse“ – , sondern Diversität. Stuart Hall (2003, 91) diagnostiziert „the extraordinary diversity of subjective positions, social experiences, and cultural identites” für die Schwarzen in Großbritannien, “the end of the essential black subject”. Das bedeutet die Wahl der eigenen Referenzgruppe auszeichnet. Identitätskonstruktionen werden in der Postmoderne immer mehr zu persönlichen Zusammenstellungen disparater Identitäts-Elemente aus unterschiedlichen Kontexten (vgl. Hall 1999, u. a.). Kann die Transformation von sozialer Identität die postmoderne Ethnizität tatsächlich soweit optional machen, dass sie als Wahlmöglichkeit nicht nur historisch analysiert, sondern auch sozial und politisch wahrgenommen wird? Die Verallgemeinerung städtischer Lebenssituation durch eine ständig steigende Mobilität macht dies wahrscheinlich.


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