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Hauptseminar ‚Staatszerfall‘

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Präsentation zum Thema: "Hauptseminar ‚Staatszerfall‘"—  Präsentation transkript:

1 Hauptseminar ‚Staatszerfall‘
TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

2 Ziel das weltweit unübersehbare Phänomen des ‚Staatsverfalls‘ analytisch in den Blick nehmen die Selbstverständlichkeit der Vorstellung aufbrechen, es müsse Staaten geben und auf diese sich ein globales politisches System gründen lassen Denkfiguren erarbeiten und ihren Gebrauch einüben, welche das Phänomen fragiler, scheiternder oder zerfallener Staatlichkeit zu erschließen erlauben die ‚Gestalt‘ des Scheiterns von Staaten erkennen und erklären TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

3 Weg zum Ziel Vermittlung themenerschließender analytischer Kategorien in den ersten drei Sitzungen sowie durch eigene Lektüre ‚Phänomenologie‘ des Staatszerfalls im perspektivischen Überblick (Staatszerfall und ‚neue Kriege‘ bzw. Entwicklung des globalen Systems) in vergleichenden Fallstudien Dabei: Ziel ist ‚Gestalterkenntnis‘, denn man kann nur erklären, was man zuvor erkannt hat. Überblick zu Möglichkeiten, politische Systeme zu stabilisieren – sowohl im perspektivischen Überblick als auch in Fallbeispielen TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

4 Erfolgreiches Studieren
Lesen – und zwar ‚Theorie‘ nicht minder als ‚Empirisches‘ zu den Fallbeispielen Nur im Wechselspiel des Kennenlernens nützlicher analytischer Kategorien mit der gründlichen Zurkenntnisnahme einer Vielzahl von konkreten Fällen entsteht ‚Gestalterkenntnis‘. Diskutieren ist Zweck von Seminaren! gelingt nur, wenn man auch vor der Sitzung schon etwas weiß Gute Referate und Diskutantenbeiträge TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

5 ‚analytische Distanz‘
Erwartet in den Referaten: gute, ‚gestalterkennende‘ Analysen Was ist eine ‚Analyse‘? Sie beantwortet mit Anspruch auf Wahrheit eine klare Frage, etwa: Warum ist der Staat X am Zerfallen? Sie ordnet den Stoff nach Gesichtspunkten oder Begriffen, die für eine Antwort auf jene Frage nützlich sind. Genau solche Gesichtspunkte oder Begriffe sind ‚analytische Kategorien‘. Sie löst sich von ... der Chronologie der Ereignisse (‚historische Beschreibung‘) der Selbstsicht der Akteure (‚Nachzeichnung der Sicht von innen‘) der für den Autor unverbindlichen Wiedergabe der Sichtweisen anderer (‚Nachzeichnung des Diskussionsstandes‘) ‚analytische Distanz‘ TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

6 Aufgaben von ... Referent und Diskutant
lobt kritisiert bringt Eigenes trägt den zu vermittelnden Stoff vor oder präsentiert die einzuübenden Fertigkeiten anhand einer klaren Fragestellung in zielführender Gliederung mündend in eine begründete Antwort auf seine Frage; zeigt auf ... weiterführende Fragestellungen erkenntnisträchtige weitere Richtungen der Gedanken- und Argumentationsführung. erörtert, ob das vom Referenten an den Tag gelegte Verständnis des Stoffes wohl das bestmögliche war legt ggf. eine Alternative vor hinterfragt den Gedankengang des Referenten bringt Sachverhalte, Sichtweisen und Gedanken vor, die der Referent überging, obwohl sie nach Ansicht des Diskutanten wichtig sind. freundlicher Wettstreit ... aber niemals ein ‚Koreferat!‘ TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

7 Anforderungen für den Erwerb eines Leistungsnachweises
Übernahme eines Referates von ca Minuten Mehrfachvergabe von Referaten! Übernahme der Rolle des Diskutanten wird von Stunde zu Stunde ausgelost Abgabe einer schriftlichen Hausarbeit zum Thema des Referats im Umfang von 30 Textseiten (ohne Titelei, Inhaltsverzeichnis, Literatur) bis zum 30. September Dringender Rat: Fangen Sie gleich zu Beginn des Semesters mit der Mitarbeit und der Arbeit an Ihrem Referat an – sonst werden Sie viel weniger Freude an diesem Seminar haben und schlimmstenfalls auch in einigen Wochen aufgeben. TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

8 Literatur Auf Hauptseminarniveau muß jeder selbst in der Lage sein, die einschlägige Literatur zu finden. Dies einzuüben, gehört zu den Ausbildungszielen dieser Lehrveranstaltung! Ein ‚Leitfaden‘ findet sich im Foliensatz zur ersten Proseminarsitzung des Basismoduls ‚Systeme‘ Erste Literaturhinweise fanden sich bereits im KVV, wesentlich mehr auf dem Seminarplan Gerade für die aktuellen Fallstudien sind Recherchen nach geeignetem Material im Internet wichtig! Die Foliensätze meiner ‚Einführung‘ ins Thema sind über die Homepage meines Lehrstuhls herunterladbar. TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

9 Schritte zielführenden Bibliographierens
SLUB: Suche nach einschlägigen Lexika, Handbüchern, Lehrbüchern, Monographien, spezialisierten Fachzeitschriften am Regal – möglich dank systematischer Aufstellung! Einlesen, um Verständnis und Gefühl für das Thema zu bekommen! Internet: Suche im Schlagwort-, Stichwort- oder systematischen Katalog des OPAC (Open Public Access Catalogue) einer großen oder einschlägigen Bibliothek nach Literatur Beschaffung solcher Bücher in SLUB oder über Fernleihe falls die Abfragesprache einer guten, einschlägigen Suchmaschine gut beherrscht wird: Stichwortsuche im WWW (etwa über Google) vervollständigende Suche nach aktuellen einschlägigen Büchern: Rezensionsteil der Zeitschrift für Politikwissenschaft (Zpol); ferner: VLB, ‚Books in Print‘ usw. gezielte Suche nach Aufsätzen aus Fachzeitschriften: International Political Science Abstracts, Sociological Abstracts, Social Science Citation Index, Zeitschrift ‚Current Contents‘ (letzterer in SLUB auf CD ROM) Durchsehen von einschlägigen Fachzeitschriften und deren Rezensionsteilen (v.a.: Zeitschrift für Politikwissenschaft) ab den jüngsten Ausgaben Durcharbeiten der Literaturhinweise in jüngeren, zentral einschlägigen Aufsätzen, Sammelbänden und Büchern: Einleitungen, Literaturberichte, Fußnoten, Literaturverzeichnisse Kontaktaufnahme (am besten per ) mit identifizierten zentralen Autoren und Forschungseinrichtungen mit Bitte um weitere Hinweise TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

10 Noch Fragen? - Bitte! TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

11 Thematische Einführung
Überblick zur Thematik (eine Seminarsitzung) Konzepte und Theorien des Staatszerfalls (zwei Seminarsitzungen) Anschließend – d.h. in vier (!) Wochen – müßte sich jeder soweit eingelesen haben, daß Diskussionen auf Hauptseminarniveau möglich sind. TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

12 Verfall von Staatlichkeit
korrupt, ineffizient unglaubwürdig zentrales politisches Entscheidungs-system zentrales politisches Entscheidungs-system Forderungen Entscheidungen / Regeln Illegitimität Unterstützung Verwaltung Massenmedien Auswirkungen Gesellschaft Rückkoppelung Gesellschaft TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

13 Beobachtungen und Fragen
Internationale Politik und Völkerrecht gehen von der Annahme aus, daß es für jedes Gebiet der Erde eine zuständige Regierung gibt. Nur mit dieser oder mit deren Zustimmung darf man Abmachungen eingehen, welche dieses Gebiet betreffen. Umgekehrt ist diese Regierung dafür verantwortlich, die international getroffenen Abmachungen auf ‚ihrem‘ Gebiet auch um- und durchzusetzen. Aber: Durchaus nennenswerte Gebiete der Erde sind ohne verläßlich arbeitende staatliche Strukturen! ( ‚marginale Staatlichkeit‘) Beispiele: Somalia, Kongo (Kinshasa), Afghanistan, Irak … Was folgt hieraus – praktisch und für unsere Versuche, politische Systeme zu verstehen? Sind ‚staatenlose‘ Gebiete oder solche mit schlecht funktionierenden Staaten ‚abnormale Fälle‘, in denen man möglichst schnell wieder eine funktionierende Staatlichkeit herstellen soll? Ist etwas falsch mit unseren politischen Denkweisen, die in aller Selbstverständlichkeit davon ausgehen, daß überall auf der Erde gut funktionierende Staaten bestehen? TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

14 ‚marginale‘ Staatlichkeit
Grad der Partizipation ‚marginale‘ Staatlichkeit Apolitizität Mobilisierung Grad der Ideologisierung vielfältige Misch- und Übergangsformen Mentalitätspflege Ideologisierung Clanherrschaft ‚starker‘ Autoritarismus  Totalitarismus Grad der Machtteilung durchstrukturierte Ein-Parteien-Herrschaft TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

15 ‚marginale Staatlichkeit‘ und die Arten politischer Systeme
Herrschaftsstruktur Willensbildung monistisch gewaltenteilend politischer Gestaltungsanspruch begrenzt unbegrenzt konkurrierend monopolisiert (2) totalitäre Diktatur (3) liberaler demokratischer Verfassungsstaat (1) autoritäre Diktatur ‚marginale‘ Staatlichkeit TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

16 Historische Tatsachen I
‚Staatlichkeit‘ ( Info) ist eine Ausnahmeform politischer Ordnung – mit großen Vorzügen und etlichen Kosten Beispiele: Ägypten, Hethitisches Reich, mesopotamische Reiche, Persien, griechische Poleis, Karthago, Rom/Byzanz; europäische ‚Staaten‘ seit dem Frankenreich, Rußland; China, Japan; mittelamerikanische Staaten (Maya, Azteken), Inka; Äthiopien, Timbuktu, Benin …; arabische Reiche, osmanisches Reich … viel häufiger: ausgedehnte herrschaftslose Räume mit instabilen und oft eher clanartigen als fest institutionalisierten machtausübenden Gruppen Beispiele: große Teile des Mittelmeerraums bis zur phönizischen und später griechischen Kolonisation; Nordeuropa bis zum (Früh-) Mittelalter, Sibirien bis zum russischen Imperialismus; große Teile von Afrika, Amerika und Australien bis zum Kolonialismus/Imperialismus nicht selten auch: ‚Übergangszustände‘ zwischen ‚autonomen Stammesstrukturen‘ und ‚loser Oberherrschaft einer Hegemonialgewalt‘ Beispiele: Peripherie der antiken Großreiche, große Teile West- und Mitteleuropas zwischen Völkerwanderung und Frühmittelalter, große Teile Afrikas in den ersten gut zwei Jahrhunderten des Kolonialismus Ferner gilt: Die meisten Staaten, die es je gab, waren autoritäre Diktaturen. Warum? TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

17 Historische Tatsachen II
Faustformel: „Staatlichkeit ist ein europäischer Exportartikel, dessen Import oft mehr Probleme schuf als löste!“ Historische Tatsachen II ‚Moderne Staatlichkeit‘ entstand in Europa seit den Religions- und Bürgerkriegen des 16./17. Jahrhunderts (‚westfälisches Staatensystem‘) aus mindestens drei Ursachen. Kulturelle Voraussetzungen u.a.: sehr konkretes Nachwirken von römischer Reichsidee und römischem Recht, Institutionenmodell und Regierungspraxis der römischen Kirche, Verbindung von stabilem Ständewesen mit stabiler Zentralgewalt. Mit der außergewöhnlichen technischen Entwicklung Europas und dem so möglich gewordenen Kolonialismus / Imperialismus werden die Leitideen und institutionellen Formen europäischer Staatlichkeit über einen Großteil der Erde verbreitet. Achtung: zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren außer v.a. China, Japan, Thailand und Äthiopien nur sehr wenige Gebiete der Erde nicht unter die (indirekte) Regierungsgewalt europäischer Staaten geraten! In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schaffen Entkolonisierung und kommunistische Revolutionen in den allermeisten Ländern der Erde politische Strukturen, die der europäischen Staatlichkeit nachgebildet sind. Wichtiger Stabilisierungsfaktor: weltweit prägender Ost/West-Konflikt samt ‚Kaltem Krieg‘. In genau dieser Zeit wird das System der modernen internationalen Beziehungen immer komplexer, dessen Rechtsgrundlagen auf der Annahme beruhen, alle bewohnten Gebiete der Erde gehörten zu für sie verantwortlichen souveränen Staaten. Seit dem Ende des Ost/West-Konflikts beobachten wir den Wegfall von dessen Stabilisierungsleistung sowie Prozesse, in denen Staatlichkeit zusammenbricht (etwa: Somalia), mühsam von außen stabilisiert wird (z.B. multinationale Protektorate wie auf dem Balkan) oder sich nach Zerstörung von außen kaum mehr wieder errichten läßt (z.B. Afghanistan, Irak). TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

18 Was ist ein ‚Staat‘? verläßlich funktionierendes Gefüge von Institutionen, welches die Herstellung und Durchsetzung allgemein verbindlicher Regeln und Entscheidungen (≈ ‚Staatsgewalt‘) übernimmt, und zwar … auf einem mehr oder minder klar umrissenen Gebiet (≈ ‚Staatsgebiet‘) über einen mehr oder minder klar umrissenen Personenkreis, deren Zusammenleben durch jene Staatsgewalt geregelt wird (≈ ‚Staatsvolk‘) verläßliches Funktionieren der Staatsgewalt wird in der Regel bewerkstelligt durch … informale und formale Rechtsnormen Legitimitätsglauben bei einem großen Teil des Staatsvolkes Unterscheidung zwischen akzeptierter Staatsgewalt und nicht akzeptierten derzeitigen Inhabern der Staatsgewalt ‚Produkt‘ dieses Institutionengefüges: ‚politische Güter‘ – aufsteigend von denen, derentwillen man Staaten schafft, bis zu jenen, die einen Staat an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit bringen: Sicherheit nach außen und im Inneren; Rechtsstaatlichkeit; persönliche Freiheit und praktizierten Pluralismus; gute sowie nachhaltige Gesundheits-, Bildungs-, Infrastruktur-, Finanz- und Wirtschaftssysteme; Demokratie Alternativen zum Staat: persönliche Herrschaft, Protektorat, Reich TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

19 persönliche Herrschaft
= Eigenschaft, ganz persönlich – und nicht als Inhaber eines Amtes – Herr über andere zu sein Begründungsmöglichkeiten / Erscheinungsformen Mann über Frau und Gesinde (vgl. Aristoteles: Unterscheidung von Oikos und Polis) Vater über Kinder (vgl. Robert Filmer, , Hauptwerk ‚Partriarcha‘, wo dieses Verhältnis von ‚Gott über die Menschen‘ bis hin zu ‚Monarch über Untertanen‘ ausgearbeitet wird) Führer über – mehr oder minder freiwillige – Gefolgschaft (z.B. germanisches Heerkönigtum, Lehensbeziehung mit Dialektik von Treue und Huld, ‚Pate‘ über ‚cosa nostra‘ …) TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

20 Protektorat Begriff Begründungsmöglichkeiten / Erscheinungsformen
von lat. protégere = beschützen, protéctor = Beschützer; also: ein von einem Beschützer verwaltetes / gesichertes Gebiet Begründungsmöglichkeiten / Erscheinungsformen ein Gebiet braucht ein Mindestmaß an politischen Gütern, schafft aber nicht den Aufbau oder Erhalt eines Institutionensystems, das diese zu produzieren in der Lage ist – weswegen ein anderer Träger von Herrschaftsmacht aus eigenem Interesse dafür sorgt Beispiele: Bosnien-Herzegowina, Kosovo; perspektivisch vielleicht Afghanistan Form der Annexion anderer Staaten Beispiele: ‚Schutzgebiete‘ wie im Kolonialismus/Imperialismus; Reichsprotektorat Böhmen und Mähren TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

21 Reich Begriffshintergrund Definition Erscheinungsformen
germanisches Wort ‚Reich‘: von ‚reichen‘ im Sinn einer Ausdehnung von etwas, hier: des Reichens von Regeln, Zuständen, Verhältnissen romanisches Wort ‚empire‘ (engl. u. franz.): von lat. imperium, d.h. Befehlsgewalt, Befugnis. Definition Verständnishilfe: Definiton beim mittelalterlichen Historiker Wipo, nach welchem ein Reich ein politisches Gebilde ist, das mehrere Königreiche umfaßt Reich = eine politische Organisationsform, welche mehr oder minder lose eine Mehrzahl von gleichwie strukturierten politischen Systemen umfaßt (Staaten ebenso wie persönliche Herrschaften oder Protektorate) und genau so weit ‚reicht‘, wie eine wenigstens symbolisch akzeptierte Herrschaftsbefugnis besteht d.h.: Ein Reich ist einesteils ‚mehr‘ als ein Staat, insofern es eine höhere Systemebene politischer Integration darstellt, und andernteils ist ein Reich ‚weniger‘ als ein Staat, insofern es weder selbst ein Staat sein muß noch seinerseits Staaten umfassen muß Erscheinungsformen Reiche der Hethiter, Perser, Römer, Franken, Deutschen, arabischen und osmanischen Kalifen, Mongolen, Chinesen, Engländer (im Imperialismus) und US-Amerikaner (heute!) TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

22 Ursachen für Entstehung des modernen Staates
Realpolitische Erklärung: Im Grunde ein nicht-beabsichtigter, evolutionärer Prozeß, bei dem die Gewährleistung von (minimaler) Sicherheit durch politische Eliten mit (wachsender) Bereitschaft der Gesellschaft einherging, dafür die Ressourcen aufzubringen – was sich im Lauf der Zeit immer mehr verfeinerte und das Institutionensystem des modernen Staates hervorbrachte. Liberale Erklärung: Ein auf wechselseitige Einsicht gegründeter ‚kontraktualistischer‘ Prozeß, bei dem politische Eliten und Bürgerschaft übereinkamen, daß die erstgenannten solange Privilegien haben dürften, wie sie sich als als Treuhänder der Bürgerschaft verstünden und für sie Sicherheit und Wohlfahrt gewährleisteten. Politisch-ökonomische Erklärung: Moderner Staat entsteht als effizienter Mechanismus, der Märkte möglich macht und Eigentumsrechte sichert und dergestalt jenes Mehrprodukt zu realisieren erlaubt, das die Finanzierung differenzierter staatlicher Institutionen und deren Legitimation über – auch nur ansatzweise – ‚Sozialstaatlichkeit‘ erlaubt. TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

23 Vorzüge von Staatlichkeit
Bannung der Gefahr des Bürgerkriegs, Chancen friedlicher Entwicklung im Inneren. Effektivierung der Steuerungs- und Gestaltungsmöglichkeiten des Staates: wirksame Fiskalsysteme rationale Verwaltungsstrukturen Erzeugung eines – ggf. nach Gerechtigkeitsgesichtspunkten staatlich umzuverteilenden – ‚Mehrprodukts‘. Klare institutionelle Ansatzpunkte für die Bändigung und Begrenzung von Staatsmacht. TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

24 ‚Kosten‘ von Staatlichkeit
politische Kosten: Durchsetzung eines staatlichen Waffen- und Bewaffnetenmonopols, Notwendigkeit der Unterdrückung von Aufständen, Mißlingen ‚guten Regierens‘ mit erheblichen Folgelasten für die Legitimitätslage soziale Kosten: schwer durchzusetzender oder durchzuhaltender Verzicht auf Sozialstrukturen und Kulturmuster, die sich schlecht mit einem hierarchischen Institutionengefüge vertragen (z.B. stets Nomadentum, oft auch auf Eigenleben bedachte ethnische Vielfalt) wirtschaftliche Kosten: teuer sind Armeen und Verwaltungen (‚harter Kern‘ von Staatlichkeit), desgleichen jene sozialstaatlichen Leistungsstrukturen, nach deren Umfang heute oft die Legitimität von Staatsgewalt bemessen wird. das heißt: Staatlichkeit ‚funktioniert‘ ohnehin erst ab einem Mindestmaß an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit! Transaktionskosten sowohl von Verfassungsstaatlichkeit als auch von Diktatur TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

25 Warum sind autoritäre Diktaturen so häufig?
wenig anspruchsvolle und darum oft gegebene Voraussetzungen, weil Beschränkung auf Sicherung von Machtstrukturen (Info) wenig Verlangen nach Alternativen in ‚traditionellen‘ Herrschaftssystemen (Info) gut stabilisierbar durch ‚Zuckerbrot und Peitsche‘ (Info) von Regierten oft begrüßt als Überwindung nationaler Machtlosigkeit (‚Modernisierungs-diktatur‘), bürgerkriegsartiger Zustände oder von totalitärer Herrschaft (Info) Und was geschieht wohl, wenn es weder Voraussetzungen für den Übergang zur Verfassungsstaat gibt noch die Stabilitätsgrundlagen bisheriger autoritärer Herrschaft weiterbestehen? … Eben! TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

26 Erster Grund: wenig anspruchsvolle und darum oft gegebene Voraussetzungen, weil Beschränkung auf Sicherung von Machtstrukturen. Beispiele: germanische Eroberungsstaaten der Völkerwanderungszeit ‚Personenverbandsstaaten‘ des Hochmittelalters viele postkoloniale Staaten des 20. Jhdts., darunter fast ganz Schwarzafrika TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

27 ‚traditionale‘ Legitimierung, nicht ‚rationale‘ oder ‚charismatische‘!
Zweiter Grund: wenig Verlangen nach Alternativen in ‚traditionellen‘ Herrschaftssystemen. Beispiele: ‚Häuptlingsverfassungen‘ neolithischer oder eisenzeitlicher Kulturen pharaonisches Ägypten, kaiserliches Rom abendländischer dualistischer Ständestaat, Absolutismus chinesisches Kaiserreich, Reiche der Azteken und Inka ‚traditionale‘ Legitimierung, nicht ‚rationale‘ oder ‚charismatische‘! TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

28 Dritter Grund: gut stabilisierbar durch ‚Zuckerbrot und Peitsche‘, d.h.: Eine den Regierten als ausreichend erscheinende staatliche Daseinsvorsorge in Verbindung mit verläßlich wirksamer Repression rät auch Unzufriedenen davon ab, sich auf eine Herausforderung der Regierenden einzulassen. Beispiele: Franco-Spanien, Salazar-Portugal, Obristen-Griechenland, Pinochet-Chile realsozialistische Staaten nach ihren offen totalitären Phasen, darunter: DDR TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

29 Vierter Grund: von Regierten oft begrüßt als Überwindung
nationaler Machtlosigkeit (‚Modernisierungsdiktatur‘) Beispiele: Türkei Attatürks, Ägypten Nassers, Syrien Assads bürgerkriegsartiger Zustände Beispiele: aufsteigender Absolutismus im Frankreich des späten 16. Jhdts., PRI-Diktatur in Mexiko im frühen 20. Jhdt., Spanischer Franco-Faschismus von totalitärer Herrschaft Beispiele: Herrschaft Napoleons nach der Instabilität von jakobinischem Terror und Directoire, Chrustschow- und Beschnew-Zeit der SU, Deng-Periode Chinas, derzeit: Islamische Republik Iran TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

30 Ordnende Begriffe (nach Robert I. Rotberg)
starke Staaten (‚strong states‘) schwache Staaten (fragile Staaten, marginale Staaten, ‚weak states‘) gescheiterte Staaten (‚failed states‘) zusammengebrochene Staaten (‚collapsed states‘) TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

31 starke Staaten kontrollieren wirkungsvoll ihr Territorium
stellen ihren Bürgern die ganze Bandbreite politischer Güter zur Verfügung: Sicherheit nach außen und im Inneren; Rechtsstaatlichkeit; persönliche Freiheit und praktizierten Pluralismus; gute sowie nachhaltige Gesundheits-, Bildungs-, Infrastruktur-, Finanz- und Wirtschaftssysteme; Demokratie Haben gute Performanz in allen diesen Dingen, gemessen etwa mit … Bruttosozialprodukt pro Kopf Human Development Index Transparency International Corruption Perceptions Index Freedom House Index TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

32 schwache (fragile, marginale) Staaten
schwach, weil … schwierige geographische oder wirtschaftliche Grundsituation interne Spannungen (ethnische, religiöse, sprachliche, kulturelle, soziale Konflikte) und / oder Kleptokratie übliche äußere Anzeichen: reduzierte oder sich verringernde Fähigkeit, politische Güter (von innerer Sicherheit bis zur Demokratie) in ausreichendem Umfang herzustellen Anzeichen von Vernachlässigung bei Infrastruktur, Bildungssystem, Rechtssystem sinkendes Bruttosozialprodukt, steigende Korruption Beeinträchtigungen der Selbstorganisation und Eigenaktivität der Zivilgesellschaft Sonderform: autoritäre Diktaturen einesteils: stabiles Herrschaftssystem andernteils: Bereitstellung von nur wenigen politischen Gütern Beispiele: Kambodscha unter Pol Pot, Irak unter Saddam; heutiges Weißrußland, Turkmenistan, Nordkorea und Libyen an die 40 Fälle, darunter etwa Haiti und Niger, Tschad und Papua-Neuguinea TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

33 vom schwachen zum gescheiterten Staat
leicht Absinken zu gescheiterten Staaten bei inkompetenter, korrupter und zugleich arroganter politischer Führung Anzeichen für solches Absinken im Verhalten politischer Führer: Ausbeutung / Beraubung der eigenen Bevölkerung sich intensivierende autoritäre Herrschaft Einschränkung bürgerlicher Freiheitsrechte Wahlbetrug steigende Zahl politischer Gefangener und unaufgeklärte Morde Weitere Anzeichen für solches Absinken: Abnahme des Bruttosozialprodukts pro Kopf Inflation samt Gebrauch ausländischer Währungen im Inland schlechter werdende Infrastruktur Absinken der durchschnittlichen Lebenserwartung Zunahme von Auswanderung ‚Kandidaten‘ dafür: Zimbabwe, Nepal, vielleicht auch Bolivien TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

34 = ‚ausgehöhlte Form, in deren Rahmen die grundlegenden Aufgaben eines Staates eben nicht mehr erfüllt werden gescheiterte Staaten z.B. Liberia, Nepal, Sierra Leone, Kongo, Elfenbeinküste … stellen nur noch in geringem Umfang politische Güter (von innerer Sicherheit bis zur Demokratie) bereit verwirken dadurch ihre Rolle als erstrangige Anbieter politischer Güter, so daß Clan- und Bandenführer und sonstige nicht-staatliche Akteure (z.B. INGOs) ihrerseits in diese Rolle rücken. staatliche Institutionen sind defekt: Bürokratie verliert an Professionalität und wird zum – oft auch noch korrupten – Unterdrückungsinstrument Gerichte agieren auf Weisung der Regierung und werden für den rechtssuchenden Bürger unnütz Parlamente, falls existent, sind ‚Abnickorgane‘ demokratische Willensbildung fehlt Es verfallen: Infrastruktur verfällt: Wasser- und Stromversorgung, Telefon, Eisenbahn Gesundheitssystem, mit Zunahme von Aids und Kindersterblichkeit Bildungssystem, mit steigenden Raten von Analphabeten Für Reiche bieten sich spektakuläre Profitmöglichkeiten: Währungsspekulation, passive Korruption Arme werden immer ärmer: sinkendes Bruttosozialprodukt pro Kopf, Wirtschaf schrumpft, Zunahme von Versorgungsengpässen und Hunger Folge: Aufständische organisieren sich und bedrohen die wohlhabenderen Städte und Personen TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

35 Folgeprobleme des Scheiterns von Staaten
‚Export‘ eigener Instabilität in das staatliche Umfeld: Sierra Leona – Liberia – Guinea – Elfenbeinküste Kirgisien – Tadschikistan – Afghanistan Stützpunkte und Rekrutierungspools von internationalem Terrorismus z.B. Somalia, Irak nähren internationales Waffen- und Rauschgiftgeschäft Vermutung: Es ist vielleicht billiger, dem Scheitern von Staaten vorzubeugen, als nach dem Scheitern von Staaten in humanitäre Hilfe und in Maßnahmen zur Wiederherstellung von Staatlichkeit zu investieren TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

36 zusammengebrochene Staaten
sind sehr seltene und extreme Formen gescheiterter Staaten typisch: Absenz von zentraler politischer Autorität; im Grunde nur noch geographische Begriffe Kennzeichen: politische Güter (v.a. Sicherheit) durch private Mittel bzw. fallweise beschafft ‚Sicherheit‘ läuft hinaus auf ‚Recht des Stärkeren‘ nicht-staatliche Akteure übernehmen das Kommando (von Clans bis zu INGOs) falls noch Teile der früheren Staatsmacht bestehen, arbeiten sie unorganisiert und schwer erkennbar. einzige Chance des Wiederaufstiegs zur Form des (bloß) ‚gescheiterten‘ Staates: Wiedererlangung von Sicherheit im Inneren und – davon abgeleitet – von Legitimität einer Zentralmacht. Eben das ist die Kernaussage der politischen Analyse von Thomas Hobbes! TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

37 Warum brechen Staaten zusammen? (I)
Achtung: Keine einfachen Zusammenhänge zwischen diesen Faktoren und dem Zusammenbruch von Staatlichkeit! Letztlich naives Aufpfropfen der europäischen Form von Staatlichkeit auf Gesellschaften, die dafür weder eine Notwendigkeit noch die Voraussetzungen haben und denen auch noch die Idee einer festen Einheit von Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt fremd ist (= mangelnde ‚governmentality‘) So entsteht im Grunde nur ‚Pseudo-Staatlichkeit‘, deren Fiktivität man – kurzfristiger Einfachheit halber – als Faktizität behandelte (z.B. meiste postkoloniale Staaten) Trifft zu auf fast ganz Afrika und auf Teile Asiens. In Afrika wurde der ‚Staat‘ meist zum Hemmschuh weiterer Entwicklung; in Asien gab es mitunter einen Übergang zu ‚echter‘ Staatlichkeit ( Info) Zusammenbruch der dortigen ‚Quasi-Staatlichkeit‘ bei Einschränkung von materieller und militärischer Unterstützung der jeweils regierenden Eliten zu kurze Zeiten einer ‚geschützten‘ Entwicklung, bei der die einmal implementierten ‚europäischen‘ Institutionen ihrerseits ein sich ihnen anpassendes gesellschaftliches und kulturelles Umfeld hätten schaffen können in Europa: 350jähriger Staatswerdungsprozeß zwischen Hochmittelalter und Neuzeit! Vor allem: Befreiungskriege, sozialistische Revolutionsversuche, Invasionen von Nachbarstaaten, Bevölkerungsdruck, Zerstörung des traditionellen Sozialgefüges durch neue industrielle und urbane Siedlungen, Zerstörung des regionalen Wirtschaftsgefüges durch dichten Anschluß an den Weltmarkt und seine Dynamik ungünstiges Verhältnis zwischen dem Nutzen und den Kosten von Staatlichkeit gerade während solcher – so die Hoffnung – ‚Übergangsperioden‘ Wegfall von innerem Stabilisierungsdruck, wie ihn eine Diktatur ermöglicht etwa: Sowjetunion, Jugoslawien, Afghanistan, Irak … TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

38 ‚Modernisierungsursachen‘ mißlingender und gelingender Staatlichkeit außerhalb ‚Europas‘
Aufbau von ‚Staatlichkeit‘ nach Zweitem Weltkrieg allenthalben versucht durch ‚staatszentrierte Modernisierung‘ Aufbau effektiver staatlicher Strukturen Modernisierung der Infrastruktur und Industrialisierung durch den – aufzubauenden bzw. zu festigenden – Staat nötige Kapitalbeschaffung durch … Aufbau von importsubstituierenden eigenen Industrien prohibitiven Protektionismus: Einfuhrverbote oder hohe Zollschranken für Güter, die man künftig selbst produzieren wollte Überbewertung nationaler Währungen, um im Land nicht herstellbare Güter leichter erwerben zu können ‚Einwerben‘ von Entwicklungshilfegeldern seitens anderer Regierungen oder internationaler Organisationen In vielen Fällen mißlungen: ineffektiv bleibende staatliche Strukturen, die wegen der von ihnen zu treffenden Allokationsentscheidungen korrupt und wegen des einströmenden Entwicklungshilfegeldes kleptokratisch wurden Marktverzerrungen und nicht-nachhaltige Wirtschaftsstrukturen, weil ‚politisches angemaßtes Wissen‘ über die künftige Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung nicht die Leistungsfähigkeit von Wissenserwerb über freie Märkte und das dortige Wechselspiel von privatem Versuch und Irrtum, privatem Risiko und Profit besitzt Instrumentalisierung der staatlichen Institutionen durch private Kapitalinteressen, Elitenbereicherung und Klientelismus Gelungen, wo … lange Tradition bürokratischer Strukturen integrierte, funktionierende ländliche (!) Gesellschaften – ohne ‚Megacities‘ mit ihren politischen Folgeschäden dominierende Rolle eines nicht-kleptokratischen Staates mit geringer Korruption TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

39 Warum brechen Staaten zusammen? (II)
unzulängliche Fähigkeit, ein stabiles politisch-rechtliches Rahmenwerk zu sichern, innerhalb dessen humanes, soziales und wirtschaftliches Kapital akkumuliert und investiert werden kann. Anzeichen: fehlende oder nicht verläßlich durchgesetzte Regeln Einmal zusammengebrochen, ist ein derartiges Rahmenwerk besonders schwer wieder herzustellen. nicht-nachhaltiges Wohlfahrtssystem erfolgreiche westliche Staaten: gründeten es auf ein vergleichsweise effizientes Besteuerungssystem und einen – vergleichsweise! – fairen Umverteilungsmechanismus schwache post-koloniale Staaten: gründen es meist auf … Subventionen für Preise und öffentliche Güter, die aber nicht aus einem selbstverantworteten Besteuerungs- und Umverteilungssystem aufgebracht werden, sondern die aus äußeren Hilfsquellen finanziert werden: Entwicklungshilfe, Leistungen von NGOs usw. Das führt zu das eigene Wirtschaftssystem zerstörenden Marktverzerrungen und einer nicht mehr zu beseitigenden Kluft zwischen der auch ohne fremde Unterstützung möglichen Leistungsfähigkeit des Staates und den – meist ohnehin sehr geringen – Leistungserwartungen der Bürger. TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

40 Warum brechen Staaten zusammen? (III)
Globalisierung erzeugt – über Entstehung eines echten Weltmarkts – wirksame Allokationsmechanismen jenseits des staatlichen Gestaltungsrahmens Folgen: verringerte innerstaatliche Steuerungsmöglichkeiten von Wirtschaft und Gesellschaft Delegitimierung aufgrund von ‚Leistungsdefiziten‘ des Staates Ausdünnung der Wirkungsmöglichkeiten von Demokratie, weil diese – so wie wir sie bislang zu institutionalisieren vermochten – den Ordnungsrahmen des Staates voraussetzt Delegitimierung aufgrund von ‚Wertverwirklichungsdefiziten‘ des Staates Während starke Staaten diese Probleme vergleichsweise gut abpuffern und vielleicht sogar Einfluß auf die Ausgestaltung von Globalisierung gewinnen können, geraten schwache Staaten durch die ‚Umweltturbulenzen‘ der Globalisierung leicht aus dem – wenn überhaupt bestehend, dann labilen – Gleichgewicht: sinkende Exporterlöse verschärfen die wirtschaftlichen und sozialen Probleme solche Problemverschärfung vergrößert die kulturellen, ethnischen usw. Probleme … was alles zum Scheitern eines Staates führen kann, der sich unter den Bedingungen der Globalisierung dann auch nicht mehr leicht ‚sanieren‘ läßt TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

41 analytische Dimensionen von ‚Staatszerfall‘
institutionelle Dimension: ‚Die Institutionen funktionieren an sich nicht mehr (gut)!‘ Ursachen: Fehlkonstruktionen; Legitimitätsmängel; Ressourcenmangel; kontraproduktive Reformen, welche wichtige Träger ‚memetischer Bürden‘ beseitigen funktionelle Dimension: ‚Die Institutionen erbringen nicht (mehr) die Leistungen, die sie erfüllen sollen!‘ Ursachen: nicht ausreichende Adaption der Institutionen an das gesellschaftliche, wirtschaftliche, kulturelle oder politische Umfeld; Ressourcenmangel; kontraproduktive Reformen, welche wichtige Träger ‚funktioneller Bürden‘ beseitigen Achtung: Es kann sein, daß immer noch (gut) funktionierende Institutionen nicht mehr die erforderlichen Funktionen erfüllen! Es kann sein, daß erforderliche Funktionen trotz nicht mehr funktionierender staatlicher Funktionen erfüllt werden – nur eben von ‚nicht-staatlichen‘ Institutionen! TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

42 Einige Einsichten Staatlichkeit entsteht aus dem Zusammentreffen sehr spezieller und keineswegs allenthalben verfügbarer Vorbedingungen. Staatlichkeit ist darum keine universell anwendbare politische Ordnungsform, sondern hat – vielleicht! – lebensfähige Alternativen. Problem: Wir kennen bislang nur die traditionelle Formen von ‚Staatlichkeit‘ oder ‚Reichsbildung‘ und wissen nicht, was von ihnen auch künftig akzeptabel oder wirksam ist (etwa wegen der Verfügbarkeit von ABC-Waffen und optimalen Bedingungen für international agierenden Terrorismus) ‚Scheitern von Staaten‘ ist darum vielfach keine Abweichung von einem Normalfall, sondern entweder ein ohnehin ganz normaler Prozeß oder sogar das Ende einer geschichtlichen Ausnahmesituation. Stimmt das, so … sollten wir von bisherigen entwicklungspolitischen Vorstellungen Abschied nehmen, wonach es ‚Entwicklungsstaaten‘ immer besser zum ‚richtigen Vorbild‘ des westlichen Staates zu ‚modernisieren‘ gelte sind bereits die normativen Grundlagen unserer internationalen Ordnung brüchig kehren als ‚geschichtlich überwunden‘ geglaubte Formen zwischenstaatlicher Politik wieder als aktuelle Herausforderungen zurück: Bildung einesteils von Protektoraten, andernteils von Reichen langfristige Zusammenarbeit von freiheitlichen Staaten mit Diktaturen ohne Versuche, dort auf Systemwechsel hinzuwirken Versuche einer Abschottung gegen die nicht beseitigbaren ‚Slums der Weltpolitik‘ TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

43 Züge traditionellen Staatsdenkens, die derzeit als defizitär erkennbar werden
Staat = eine letztlich allmächtige und ganz einfach moderne ‚Organisationstechnologie‘ Anwendungsbereiche dieser ‚Organisationstechnologie‘: nationalstaatliche Integration Industrialisierung und Staatswirtschaft staatliche Transzendenzbefriedigung durch Staatsreligion oder Staatsideologie Sozialstaat mit gesicherter sozialer Gerechtigkeit von der Wiege bis zur Bahre Im Grunde ist das Scheitern von solchem staatlichen ‚Verantwortungs-imperialismus‘ samt staatlich genährter ‚Politikillusion‘ auch schon im unproblematischen Anwendungsbereich europäischer Staatlichkeit offenkundig: ‚multikulturelle Gesellschaft‘ statt Nationalstaat – freilich mit eher rückschrittlicher Wirkung Zusammenbruch der Staaten mit Zentralverwaltungswirtschaft bei Reliberalisierung der kapitalistischen Wirtschaftsstrukturen Rückbau des Sozialstaates Also muß erst recht nicht wundern, daß außerhalb der westlichen Kultur das europäische Staatsmodell erst recht immer wieder scheitert. Höhepunkte: Faschismus, Kommunismus TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

44 Besonderes Problem: ‚Nation & Staat‘
Besonderheit der voll entfalteten europäischen Staatlichkeit des 19. Jahrhunderts: Verbindung von Nation (= Sprößling von ‚Rousseau & Romantik‘) und Staat (= Sprößling des Absolutismus) zum ‚Nationalstaat‘ Scheitert schon in Europa: ‚mild‘ in Deutschland: Was tun mit der Donaumonarchie? ‚scharf‘ in Mittel- und Osteuropa nach Erstem Weltkrieg Problematisch erst recht in Weltgegenden, in welchen das ganze Konzept der ‚Nation‘ keine Wurzeln hat und keinen handlungsleitenden Sinn besitzt, v.a. : in Afrika Dort Anschlußfragen: Kann dort das europäische Nationalstaatsmodell überhaupt sinnvoll sein – oder ist es an sich schon ein Sprengsatz für ‚Staatlichkeit‘? Welche Form von ‚Nationalismus‘ entsteht, wo der staatliche Rahmen eine ‚Nation‘ voraussetzt, die Bedingungen für das Entstehen von (Staats-) Nationen ‚europäischer‘ Art aber nicht gegeben sind? Und wie fatal ist genau dies dann für einen formal bestehenden ‚National‘-Staat? Welche institutionellen Formen politischer Repräsentation könnte es für die Vielfalt von ‚nicht-europäischen Nationen‘ geben, die nun einmal bestehen und von einem stabilen, legitimen politischen System vielfachen Nutzen ziehen könnten? TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

45 Nachfolgeprobleme des einstigen Siegeszugs ‚europäischer Staatlichkeit‘
Zerstörung der Tradition alternativer politischer Ordnungsformen seit dem imperialistischen Institutionentransfer und den kommunistischen Revolutionen auf allen vom europäischen Kolonialismus und Imperialismus betroffenen Kontinenten ‚problemlos‘ nur dort, wo lange Zeit auch eine neu und vor allem aus Europa zugewanderte Bevölkerung dominierte: USA, Kanada, Australien; mit Einschränkungen: Südamerika Verbindung ‚europäischer‘ Institutionenruinen mit regionalen Traditionen zu wenig lebensfähigen politischen Systemen, v.a. in Afrika Fehladaptation des internationalen Staatensystems auf die sehr brüchige Voraussetzung gesicherter Staatlichkeit in weiten Teilen der Erde Umsetzung des Glaubens an den Wert europäischer Staatlichkeit (mit u.a. Gewaltenteilung, weltanschaulichem Pluralismus und Demokratie) in abenteuerliche Programme der Staatenbildung und Demokratisierung, die … ihrerseits den ‚clash of civilizations‘ auslösen (können): arabische Welt, China mangels gegebener oder willentlich schaffbarer Voraussetzungen scheitern: Afghanistan, Irak, viele afrikanische Staaten Das heißt: ‚scheiternde Staaten‘ sind (auch) Opfer des Scheiterns der europäischen Staatsidee unter Bedingungen, für die sie wenig geeignet ist ! TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

46 Obendrein ist unklar, wohin, wie weit und wie gut die Reise mit ‚poststaatlichen Strukturen‘ gehen wird! Ende des westlichen Traums einer ‚demokratischen Staatenwelt‘; freilich: kein schönes Erwachen! Folgerungen Die vorrangige Aufgabe ist es wohl weniger, gescheiterte Staatlichkeit ‚wiederherzustellen‘, als vielmehr Möglichkeiten zu finden, mit Weltgegenden zurechtzukommen, in denen … es keine Staatlichkeit gibt Staatlichkeit so schlecht funktioniert, daß die zentralen Staatsfunktionen eben nicht erfüllt werden (v.a.: Durchsetzung von Recht und Ordnung im Inneren). Es ist einzusehen, daß dieses Problem kleiner ist, als es zunächst erscheint: ‚Staatlichkeit‘ ist kein Entweder/Oder, sondern es gibt immer schon Übergangsstufen. Also ist ein eher traditionelles Problem zu lösen, für das wir viele geschichtliche Erfahrungswerte besitzen. ‚Entstaatlichung‘ muß nicht zu sozialer Unordnung führen. Im Gegenteil scheint erst die Einführung des Staates in Gesellschaften ohne staatliche Tradition viele Formen sozialer Unordnung erzeugt zu haben. Also kann vermutet werden, daß sich jenseits von Staatlichkeit aufs neue stabile Ordnungsformen einspielen werden. Viele wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozesse brauchen gar keinen staatlichen Ordnungsrahmen ‚vor Ort‘: etwa benötigen Technik, Währung und Gerichtsbarkeit nur irgendwelche funktionierenden Staaten zur ihrer Nutzbarkeit, nicht aber notwendigerweise den Staat, in dem man sich gerade aufhält. Bei Bedarf läßt sich seitens von NGOs oder von Staaten mit oder ohne UN-Mandat zur Behebung dringender Probleme zweckbezogen und begrenzt in staatsfreien Regionen intervenieren. TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

47 Damit sollte klar sein, daß der Typ europäischer Staatlichkeit eine sehr voraussetzungsbedürftige und darum kulturspezifische und nicht einfach verallgemeinerbare politische Ordnungsform ist welche schlimmen Folgen der selbstsichere Export dieser Ordnungsform in vielen Teilen der Erde angerichtet hat warum es immer wieder zum Scheitern von Staaten kommt was angesichts dessen wohl zu unternehmen ist TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

48 Ende bei beobachtungen und fragen
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