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Jugendstrafverfahren

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Präsentation zum Thema: "Jugendstrafverfahren"—  Präsentation transkript:

1 Jugendstrafverfahren
Grundsätze und JStPO

2 Leitideen des Jugendstrafverfahrens
Wenn das materielle Jugendstrafrecht mit seiner täterbezogenen, spezialpräventiven Ausrichtung zum Tragen kommen soll, muss auch das Ver-fahren entsprechend ausgestaltet sein. Ein jugendgerechtes Verfahren sollte innert kurzer Frist und ohne unnötige Formalien abgewickelt werden, für den Jugendlichen verständlich sein und ihm das Gefühl vermitteln, ernst genommen und fair behandelt zu werden.

3 Diskrepanz der Wahrnehmungen
Nicht selten gehen die Intentionen, von denen sich Mitarbeitende der Jugendstrafrechtspflege leiten lassen, und die Erwartungen der betroffenen Jugendlichen diametral auseinander. Dementsprechend können auch ihre Wahrnehmungen stark von einander abweichen. Das zeigt eine von Hauser in Deutschland durchgeführte Untersuchung, in der Jugendrichter und von ihnen beurteilte Jugendliche zur selben Jugendgerichts-Verhandlung befragt wurden. Harald Hauser, Der Jugendrichter – Idee und Wirklichkeit, MSchrKrim 1980, S.1 ff.;

4 Verbesserte Akzeptanz
Die mit der JStPO verbesserte Rechtsstellung hat offen-sichtlich auch zu einer verbesserten Akzeptanz der Verfahren durch die verurteilten Jugendlichen geführt. Das zeigt eine im Rahmen der Evaluation (S.165) durch-geführte Befragung. Danach äusserten 60% der befragten Jugendlichen nach dem Verfahren eine kritische Einstel-lung zu ihrem Delikt, 62% hielten das Urteil für fair. Allerdings kritisiert die gleiche Evaluation, dass die Ent-scheide und Rechtsmittelbelehrungen vielfach in einer nicht jugendgerechten Sprache erfolgen und deshalb für die Beschuldigten schwierig zu verstehen sind (S.162).

5 Verfahrensgrundsätze
Das rechtsstaatliche Strafverfahren ist von Grund-sätzen geleitet, welche die Verwirklichung des materiellen Rechts gewährleisten sollen. Da sich das materielle Recht im Jugendstrafrecht deutlich vom Erwachsenenstrafrecht unterscheidet, müssen auch die Verfahrensgrundsätze nach jugendspezifischen Kriterien auf das Jugend-strafrecht ausgerichtet werden. Mit diesem Thema befasst sich der folgende Teil.

6 Erziehungsmodell Das Erziehungs- oder Wohlfahrtsmodell verfolgt das Ziel, Erziehungsdefizite festzustellen und bestmöglich zu kompensieren. Es versteht die Sanktion als erzieherischen Eingriff im eigenen Interesse des Jugendlichen. Die Verantwortlichen sehen sich als pädagogische Fachleute, die dem Wohl des Jugendlichen verpflichtet sind. Das Verfahren wird bereits als Teil der erzieherischen Intention eingesetzt, es soll den Jugendlichen durch seine moralische Qualität beeindrucken. In dieser Sicht sind rechtsstaatliche Instrumente eher Störfaktoren. Das Erziehungsmodell steht bei der Ahndung leichterer Straftaten im Vordergrund

7 Justizmodell Das rechtsstaatliche oder Justiz-Modell geht davon aus, dass jugendstrafrechtliche Interventionen trotz ihrer erzieherischen Ausrichtung Eingriffe sind, mit denen ein Übel zugefügt wird. Mit der Sanktion werden der Jugend-liche und seine Erziehungspersonen auf ihre Verantwor-tung angesprochen. Die Strafe ist als solche keine Erziehung, aber sie soll in der Auseinandersetzung erzieherisch genutzt und verarbeitet werden. Der Jugendliche wird in einem gerichtlichen oder gerichts-ähnlichen Verfahren als Rechtssubjekt verstanden, dem gleichartige Rechte zustehen wie einem Erwachsenen. Angestrebt wird Gerechtigkeit durch ein faires Verfahren. Das Justizmodell kommt zur Anwendung, wenn schwere Sanktionen angeordnet werden.

8 Umstritten ist das Mittelfeld
Umstritten ist, welches Modell im Mittelfeld der Sanktionen (kürzere Freiheitsstrafen, ambulante Massnahmen) vorherrschen soll. In der Tradition der schweizerischen Jugendstrafrechtspflege findet auch im Mittelfeld das Erziehungsmodell Anwendung. Dagegen sollte nach den von den Menschenrechten geprägten internationalen Standards das Justiz-modell schon im Mittelfeld zum Zug kommen, d.h. überall dort, wo es um Sanktionen mit Eingriffscharakter geht.

9 Modelle sind Idealtypen
Auch wenn sie am richtigen Ort eingesetzt werden, müssen beide Modelle nicht in reiner Form durchgeführt werden. So soll auch ein rechts-staatliches Modell jugendgerecht ausgestaltet sein. Entsprechend verlangt Art.40 KRK aus-drücklich Sonderregeln für das Jugendverfahren. Umgekehrt müssen auch im Erziehungsmodell Mindestrechte verwirklicht sein, z.B. Verteidi-gung sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel.

10 Jugendverfahren ist ein Strafverfahren
Zum Schutz der Betroffenen müssen auch im Jugendverfahren der staatlichen Eingriffs-ermächtigung Grenzen gesetzt werden. Trotz der erzieherischen Ausrichtung ist das Jugend-verfahren ein Strafverfahren, kein Jugendschutz-verfahren, kein Jugendfürsorgeverfahren. Vom 15. Altersjahr an werden Sanktionen ange-ordnet, die der Bewährung der Rechtsordnung dienen und massive Eingriffe in die Entwicklung und in die Freiheit der Jugendlichen darstellen können.

11 Prinzipien des Strafverfahrens
Der im Jugendstrafrecht wegweisende Erziehungs-gedanke darf nicht bewirken, dass die Errungen-schaften eines rechtsstaatlichen Verfahrens auf dem Altar eines wohl gemeinten pädagogischen Fürsorgedenkens geopfert werden. Die im Strafprozessrecht massgeblichen Prinzipien des Strafverfahrens, müssen deshalb weitgehend Anwendung finden, doch erfahren sie als Folge der spezialpräventiven Zielsetzung eine beson-dere Ausrichtung. Einige wichtige Prinzipien werden nachfolgend aus der speziellen Per-spektive des Jugendstrafverfahrens abgehandelt.

12 Opportunitätsprinzip
Schon das materielle Recht ist durchdrungen von Opportunitätsregeln. Deshalb muss dem Oppor-tunitätsprinzip auch im Verfahrensrecht eine grosse Bedeutung zukommen. Das Verfahren soll nie als Selbstzweck durchge-führt werden und in jeder Phase ein individu-elles Vorgehen, Flexibilität und rasche Erledi-gung ermöglichen. Es soll sich auf das Notwen-dige beschränken. Auch wenn das Verfahren erzieherische Ziele ver-folgt, sollen die Eltern möglichst weitgehend für die Erziehung verantwortlich bleiben.

13 Akkusations-/Inquisitionsprinzip
Nach dem Akkusationsprinzip werden die Funktio-nen der Strafverfolgung und der richterlichen Be-urteilung personell und organisatorisch getrennt. Das Akkusationsprinzip und die damit verbundene Einführung der Staatsanwaltschaft gehen zurück auf die französische Revolution und gehören zu den wichtigsten Errungenschaften der im 19.Jh. vollzogenen Prozessreform. Die Trennung von Strafverfolgung und richterlicher Beurteilung hat sich im ordentlichen Verfahren gegen Erwachse-ne weitgehend durchgesetzt. Umso erstaunlicher ist die Tatsache, dass das erst im 20.Jahrhundert entstandene Jugendstrafver-fahren teilweise wieder zum Inquisitionsverfah-ren zurückgekehrt ist.

14 Nur bei leichten Sanktionen gerechtfertigt
Die aus dem Erziehungsgedanken abgeleiteten Gründe für ein inquisitorisches Verfahren über-zeugen nur dort, wo es sich um Übertretungs-verfahren oder um geringfügige Sanktionen mit Warncharakter handelt, also insbesondere beim Verweis, bei der persönlichen Leistung und bei Bussen. In diesem Bereich steht die erzieherische Grenz-ziehung im Vordergrund, das Schutzbedürfnis des Jugendlichen verlangt bei Vorliegen eines liquiden Sachverhalts nicht zwingend nach einer zusätzlichen Beurteilung durch ein unbefangenes Gericht.

15 Unparteiische Richter gefordert
Jugendliche sollten, soweit es um Sanktionen mit Eingriffs-charakter geht, wie Erwachsene in einem fairen Ver-fahren ernst genommen und von einer unbefangenen richterlichen Instanz beurteilt werden. Die Kinderrechte-Konvention, garantiert in Art.40, Abs.2 das Recht, strafrechtliche Vorwürfe „durch eine zuständige Behörde oder ein zuständiges Gericht, die unabhängig und unparteiisch sind, in einem fairen Verfahren ... entscheiden zu lassen.“ Personen, die zuvor für die Strafuntersuchung verant-wortlich waren, wie das im Jugendrichtermodell der Fall ist, erfüllen diese Anforderung nicht. Das Inquisitions-prinzip ist im Bereich von einschneidenden Sanktionen nicht mehr zeitgemäss.

16 „Wer den Ankläger zum Richter hat, braucht Gott zum Advokaten“
Eberhard Schmidt: „Wer den Ankläger zum Richter hat, braucht Gott zum Advokaten“

17 Ermittlungsprinzip Nach dem Ermittlungs- oder Instruktionsprinzip liegt die Beweislast bei den Behörden. Sie sind verpflichtet, objektiv den wahren Sachverhalt zu ermitteln und die Beweise zu sammeln, die zur Beurteilung erforderlich sind. Dabei haben sie belastende und entlastende Gesichtspunkte gleichermassen abzuklären. Wenn Zweifel an der Strafbarkeit bestehen, müssen diese zu Gunsten des Angeschuldigten gewertet werden (in dubio pro reo).

18 Unschuldsvermutung In einem engen Zusammenhang mit dem Ermittlungsprinzip steht die Unschulds-vermutung. Dass sie selbstverständlich auch im Jugend-strafrecht gilt, ergibt sich insbesondere aus der Kinderrechtskonvention, Art.40.

19 Rechtliches Gehör Der Anspruch auf rechtliches Gehör stellt sicher, dass die Beschuldigten sich am Strafverfahren beteiligen, sich verteidigen, ihre Rechte wahr-nehmen können. Er soll verhindern, dass die Betroffenen zum blossen Objekt werden. Das rechtliche Gehör umfasst den Anspruch auf volle Information, das Recht sich zu äussern, die Möglichkeit, an Beweiserhebungen teilzuneh-men, das Recht, Beweisanträge zu stellen, und das Recht auf Akteneinsicht. Mit dem Anspruch auf Verteidigung wird abgesichert, dass der Grundsatz der Waffengleichheit gewahrt wird.

20 Strafbefehl ohne zwingende Einvernahme
Problematisch ist im Hinblick auf das rechtliche Gehör, dass das Strafbefehlsverfahren als einzige Erledigungsart für alle Verfahren vorgesehen ist, die nach Art.32 und Art.34 JStPO in die rich-terliche Zuständigkeit der Untersuchungsbehörde fallen. Damit werden sogar Freiheitsstrafen und Schutz-massnahmen per Strafbefehl verhängt, und das ohne zwingend vorgeschriebene Einvernahme, und teilweise sogar ohne Eröffnung eines Straf-verfahrens.

21 Fair Trial Der Grundsatz von Fair Trial wird aus EMRK 6 Zff.1 abgeleitet. Er ist in der Bundesverfassung in Art.29 Abs.1 ausdrücklich geregelt. Dieser Grundsatz konkretisiert das in Art.5 Abs.3 und Art.9 BV allgemein vorgeschriebene Handeln nach Treu und Glauben für das Strafverfahren. Er garantiert den Verfahrensbetroffenen eine gleiche und gerechte Behandlung. Er verlangt von den Strafverfol-gungsbehörden, das Strafverfahren fair, korrekt und sachlich zu führen, die Würde der Angeschuldigten zu wahren und ihre Privatsphäre zu schonen. Die Behörden haben die Verfahrensbeteiligten über ihre Rechte aufzuklären und ihnen im Sinne der sog. Waffen-gleichheit zu ermöglichen, diese Rechte wahrzunehmen.

22 Beschleunigungsgrundsatz
Der Beschleunigungsgrundsatz verpflichtet alle Behörden der Strafrechtspflege, die Straf-verfahren ohne Verzug einzuleiten und zu Ende zu führen. Im Jugendstrafrecht hat der Grundsatz ein noch grösseres Gewicht. Jugendliche können keinen Zusammenhang mit ihrem Verhalten mehr herstellen, wenn die Reaktion verspätet eintritt. Die Sanktion sollte deshalb möglichst unmittel-bar auf die Tat folgen, wenn sie eine präventive Wirkung haben soll.

23 Die Schweizerische Jugendstrafprozessordnung
. vom 20.März 2009

24 Schweizerische Jugendstrafprozessordnung
Die JStPO regelt das Verfahren zur Beurteilung der im JStG geregelten Sanktionen und hat gleichzeitig die dort ursprünglich enthalten gewesenen Verfahrens- und Vollzugsregeln ersetzt. Mit der JStPO wurde das Verfahrensrecht erstmals ein-heitlich im Bund geregelt. Kantonal geregelt bleibt die Behördenorganisation (Jugendanwaltsmodell in der Deutschschweiz, Jugendrichtermodell in der übrigen Schweiz) Die JStPO ist lex specialis, sie ist gekoppelt an die für die Erwachsenen geltende StPO, die gleichzeitig in Kraft getreten ist.

25 Verhältnis zur StPO Umgekehrt als beim JStG, wo Art.1 eine abschlies-sende Liste der anwendbaren Bestimmungen aus dem StGB formuliert, sind alle Regeln der Erwachsenen-StPO vom sinngemäss anwendbar, soweit die JStPO keine besondern Bestimmungen enthält. Dank dieser ergänzenden Geltung konnte die JStPO als schlankes Gesetz mit nur 54 Artikeln formu-liert werden, doch ist dieser Vorteil teuer erkauft, weil die Rechtslage mit der gleichzeitigen An-wendbarkeit von JStPO, StPO und kantonalen Gesetzen ausgesprochen unübersichtlich ist.

26 Zweck Wie jede Verfahrensordnung verfolgt die JStPO den Zweck, dass sich die Ziel-setzungen und Grundsätze des materiellen Rechts (vor allem Schutz und Erziehung) auch im Verfahren entfalten sollen. Zudem wird mit der JStPO angestrebt, die im internationalen Recht vorgegebenen Min-destnormen zu erfüllen.

27 Entstehungsgeschichte
Mit der Botschaft vom wurde ein Entwurf vorgelegt, der auf breite Ablehnung stiess. Der Ständerat wies ihn zurück. Am präsentierte der Bundesrat einen Ent-wurf „mit Änderungen“ (eigentlich einen neuen Entwurf). Dieser passierte die Beratung in den Räten ohne grundsätzliche Korrekturen. Streit-punkte waren die Beschleunigung und die in Art.13 vorgesehene Vertrauensperson. Die JStPO wurde am verabschiedet und am in Kraft gesetzt.

28 Gliederung der JStPO 1. Gegenstand und Grundsätze Art.1-5
2. Jugendstrafbehörden Art.6-8 3. Allgemeine Verfahrensregeln Art.9-17 4. Parteien und Verteidigung Art.18-25 5. Zwangsmittel, Schutzmassnahmen, Beobachtungen Art.26-29 6. Verfahren (Untersuchung, Strafbefehl, Anklage, Hauptverhandlung) Art.30-37 7. Rechtsmittel Art.38-41 8. Vollzug von Sanktionen Art.42-43 9. Kosten Art.44-45 10. Schlussbestimmungen Art.46-54 Gesetzesbestimmungen sind blau/kursiv gesetzt.

29 Grundsätze Art.4 Der Hauptgrundsatz (Abs.1) entspricht Art.2 JStG:
Für die Anwendung dieses Gesetzes sind der Schutz und die Erziehung der Jugendlichen wegleitend. Weitere Grundsätze: Entwicklungsstand und Persönlichkeitsrechte beachten Verfahrensbeteiligung, Anhörung (mit Vorbehalt) Eingriffe möglichst schonend durchführen Einbezug von gesetzlicher Vertretung und VB Allgemeines Prinzip: Erziehungsmodell bei leichten, Justiz-modell bei einschneidenden Sanktionen (Art.32/34).

30 Beschleunigungsgrundsatz Art.5 StPO
Leider konnte sich der Nationalrat nicht auf ein gegenüber dem Erwachsenenverfahren ver-schärftes Beschleunigungsgebot einigen, das als Art.4, Abs.5 hätte formuliert werden sollen. Der allgemeine Beschleunigungsgrundsatz gemäss Art.5 der StPO gilt aber auch im Jugendstraf-verfahren (und gestützt auf Art.3Abs.3 eigentlich in gesteigerter Form): Die Strafbehörden nehmen die Strafverfahren unverzüglich an die Hand und bringen sie ohne Verzögerung zum Abschluss. Befindet sich eine beschuldigte Person in Haft, so wird ihr Verfahren vordringlich durchgeführt.

31 Verzicht auf Strafverfolgung Art.5
Absehen von der Strafverfolgung: Wenn Strafbefreiungsgründe nach Art.21 JStG vorliegen (entspricht Art.7 aJStG) Wenn ein Vergleich oder eine Mediation erfolg-reich abgeschlossen wurden (entspricht Art.8 aJStG) Wenn Gründe gemäss Art.8 (Erw-)StPO vorliegen (Opportunität): StGB 52-54, vor allem im Fall von geringfügigen Zusatzstrafen

32 Strafverfolgungsbehörden Art.6
Strafverfolgungsbehörden sind: die Polizei; die Untersuchungsbehörde; die Jugendstaatsanwaltschaft, sofern der Kanton eine solche Behörde vorsehen muss (trifft nur für das Jugendrichtermodell zu). Neu ist der Begriff „Untersuchungsbehörde“ für Jugendanwalt/in oder Jugendrichter/in. Damit wurde es möglich, die beiden Modelle gleich-berechtigt auszugestalten (der frühere Entwurf hatte auf dem Jugendrichtermodell aufgebaut).

33 Untersuchungsbehörde, Art.6 Abs.2
Die Kantone bezeichnen als Untersuchungsbehörde: a. eine oder mehrere Jugendrichterinnen oder einen oder mehrere Jugendrichter; oder b. eine oder mehrere Jugendanwältinnen oder einen oder mehrere Jugendanwälte. Die Jugendrichterinnen und Jugendrichter sind Mitglieder (Präsidien) des Jugendgerichts. Die Jugendanwältinnen und Jugendanwälte vertreten vor dem Jugendgericht die Anklage.

34 Gerichte Art.7 Gerichtliche Befugnisse im Jugendstrafverfahren haben:
a. das Zwangsmassnahmengericht; b. das Jugendgericht; c. die Beschwerdeinstanz in Jugendstrafsachen; d. die Berufungsinstanz in Jugendstrafsachen. Das Jugendgericht setzt sich zusammen aus dem Präsidenten oder der Präsidentin und zwei Beisitzerinnen oder Beisitzern.

35 Organisation Art.8 Die Kantone regeln Wahl, Zusammen-setzung, Organisation, Aufsicht und Befugnisse der Jugendstrafbehörden ... Die Kantone können interkantonal zustän-dige Jugendstrafbehörden vorsehen.

36 Verfahrensregeln: Ablehnung Art.9
Die oder der urteilsfähige beschuldigte Jugendliche und die gesetzliche Vertretung können verlangen, dass die Jugendrichterin oder der Jugendrichter, die oder der bereits die Untersuchung geführt hat, im Hauptverfahren nicht mitwirkt. Die Ablehnung bedarf keiner Begründung. Diese Bestimmung bezieht sich ausschliess-lich auf das Jugendrichtermodell. Mit ihr wird angestrebt, das Recht auf unbefange-ne und unabhängige Richter umzusetzen.

37 Genügt die Ablehnungslösung?
Die Möglichkeit der Ablehnung trägt den Interessen der Jugendlichen Rechnung (zumindest wenn sie verteidigt sind). Laut Trechsel dient der Grundsatz des unbefangenen Richters aber nicht nur dem Parteiinteresse, vielmehr handle es sich um ein öffentliches Interesse, indem schon der Anschein von Befangenheit vermieden werden sollte. Riedo und Trechsel bezweifeln, ob die Ablehnungslösung vor dem EGMR Bestand haben werde, weil Art.6 EMRK ohne Einschränkung auch für Jugendliche gelte. Jositsch/Murer erachten die Garantie der unbefangenen Richter als „wahrscheinlich unverzichtbar“; wenn schon, müsste der Verzicht ausdrücklich, nicht implizit erfolgen.

38 Örtliche Zuständigkeit Art.10
Die Bestimmung ersetzt Art.38 aJStG. Für die Verfolgung von Verbrechen und Ver-gehen ist die Behörde am Ort des gewöhn-lichen Aufenthalts (in der Regel Wohnsitz) zuständig. Übertretungen werden am Ort der Begehung verfolgt, ausser wenn Schutzmassnahmen in Betracht kommen.

39 Mitwirkung der gesetzl.Vertretung Art.12
Die Eltern haben mitzuwirken, wenn die Behörde dies anordnet. Eine Verweigerung kann mit einer Anzeige an die Kinds-schutzbehörde oder mit einer Ordnungs-busse bis 1‘000 Franken geahndet werden. Kritisch zur Elternbusse Murer Mikolásek/ Analyse S.187 ff. Zudem können Eltern laut Art.44 auch für die Verfahrenskosten als solidarisch haft-bar erklärt werden.

40 Vertrauensperson Art.13 Die oder der beschuldigte Jugendliche kann in allen Verfahrensstadien eine Vertrauensperson beiziehen, sofern die Interessen der Untersuchung oder über-wiegende private Interessen einem solchen Beizug nicht entgegenstehen. Über diese Bestimmung bestand in den Eidg.Räten die letzte Differenz. Die Vertrauensperson soll dem Jugendlichen den Rücken stärken und ihm helfen, das Verfahren besser zu verstehen. Sie darf aber nicht intervenieren. Das inter-nationale Recht verlangt eigentlich nur die Begleitung durch Anwalt, Eltern oder durch eine Vertrauensperson. Murer Mikolásek/Analyse,192ff.: Unmündige seien generell ausgeschlossen. Eltern haben Parteistellung und können deshalb nicht in dieser Rolle auftreten.

41 Rolle der Vertrauensperson
Die Vertrauensperson kann den Jugendlichen begleiten und bei Einvernahmen anwesend sein, darf aber nicht inter-venieren. Sie soll dem Jugendlichen den Rücken stärken und ihm helfen, das Verfahren besser zu verstehen. Sie hat weder Rechte noch Pflichten und benötigt keine spezielle Ausbildung. Der Beizug kann wegen überwiegenden privaten Interessen, insbesondere von Opferseite, wegen eines störenden Ver-haltens sowie im Interesse der Untersuchung ausge-schlossen werden, z.B. wegen Kollusionsgefahr oder weil die Person als Zeuge auftreten soll. Ein Ausschluss kann auch in Betracht kommen, wenn der Verdacht besteht, die Person sei von der Familie eingesetzt, um den Jugendlichen zu bespitzeln. Damit allfällige Ausschlussgründe geprüft werden können, muss die Person rechtzeitig bezeichnet werden. Die im Vorfeld formulierten Bedenken haben sich nicht be-wahrheitet.

42 Öffentlichkeit Art.14 Das Strafverfahren findet unter Ausschluss der Öffent-lichkeit statt. Die Untersuchungsbehörde und die Gerichte können die Öffentlichkeit in geeigneter Weise über den Stand des Verfahrens informieren. Das Jugendgericht und die Berufungsinstanz können eine öffentliche Verhandlung anordnen, wenn: a. die oder der urteilsfähige beschuldigte Jugendliche oder die gesetzliche Vertretung dies verlangt oder das öffentliche Interesse es gebietet; und b. dies den Interessen der oder des beschuldigten Jugendlichen nicht zuwiderläuft. Die Berechtigten müssten über dieses Recht informiert werden, in der Praxis geschieht das nicht immer.

43 Mehr öfffentliche Information wäre sinnvoll
Art.6 EMRK verlangt die Öffentlichkeit grund-sätzlich auch im Jugendstrafverfahren, lässt aber Ausnahmen im Interesse der Jugendlichen zu. Der Ausschluss der Öffentlichkeit dürfte als Grundsatz richtig sein. Doch sollten die Gerichte die Öffentlichkeit vermehrt zulassen oder auf andere Weise informieren, um den verbreiteten Fehlinformationen und Vorurteilen über das Jugendstrafrecht besser entgegenwirken zu können.

44 Informationen an Erziehungsverantwortliche?
Eine Lücke besteht bezüglich der Weitergabe von Infor-mationen, auf die verantwortliche Institutionen oder Personen für die Erfüllung eines Erziehungsauftrags und zur Beurteilung von Risiken angewiesen sind, z.B. Schulen, Pflegeeltern, Erziehungsheime. Eine umfassende Information ist nicht sinnvoll, doch sollten Erziehungsverantwortliche über wichtige Sachverhalte informiert werden können. Art.74 StPO regelt nur die Orientierung der Öffentlichkeit, Art.75 StPO bloss die Mitteilung an Behörden. Laut Art.75 Abs.4 können die Kantone Mitteilungen an weitere Behörden als die in Abs.1-3 erwähnten vorsehen, nicht aber an Private. Lit. Masterarbeit von Rebekka Mattli

45 Mediation Art.17 Die Untersuchungsbehörde und die Gerichte können das Verfahren jederzeit sistieren und eine auf dem Gebiet der Mediation geeignete Organisation oder Person mit der Durchführung eines Mediationsverfahrens beauftragen, wenn: a. Schutzmassnahmen nicht notwendig sind oder die Be-hörde des Zivilrechts bereits geeignete Massnahmen angeordnet hat; b. die Voraussetzungen von Artikel 21 Absatz 1 JStG nicht erfüllt sind. Gelingt die Mediation, so wird das Verfahren eingestellt. Deckt sich weitgehend mit Art.8 aJStG.

46 Was ist Mediation? Strafrechtliche Mediation, in Deutschland Täter-Opfer-Aus-gleich (TOA), in Österreich Aussergerichtlicher Tataus-gleich (ATA) genannt, ist ein Mediations-Verfahren, in dem unter Anleitung durch eine speziell ausgebildete Fachperson der zugrunde liegende Konflikt zwischen Täter und Opfer bearbeitet wird. Sowohl die Täter und deren gesetzliche Vertretung als auch die Opfer müssen der Eröffnung zustimmen. Letztere verweigern nicht selten die Zustimmung. Gelingt der Ausgleich (z.B. durch eine Entschuldigung und eine Wiedergutmachungsleistung), und erklärt sich das Opfer in einer Vereinbarung als befriedigt, wird das Strafverfahren eingestellt. Andernfalls wird es wieder aufgenommen und zu Ende geführt.

47 Mediation meist im Untersuchungsverfahren
Sowohl die Untersuchungsbehörde als auch die Gerichte können das Verfahren sistieren und eine geeignete Person oder Organisation mit der Mediation beauftragen. Gelingt die Mediation, wird das Verfahren definitiv eingestellt. Allerdings kommt die Mediation im gerichtlichen Verfahren selten vor, weil die Mediation sinnvoller Weise bereits im Untersuchungsverfahren angestrebt wird. Doch kann es sein, dass die Untersuchungsbehörde die Situation anders eingeschätzt hat, oder dass Hinderungsgründe (z.B. die fehlende Bereitschaft der Jugendlichen, der Eltern oder der Geschädigten) nachträglich weggefallen sind. Deshalb muss auch im gerichtlichen Verfahren noch die Möglichkeit bestehen, die Mediation einzuleiten.

48 Tatumstände müssen geklärt sein
Die ursprünglich in Art.8 Abs.1 lit.c aJStG enthal-tene Umschreibung sah die Klärung der Tat-umstände ausdrücklich vor. In Art.17 JStPO ist sie nicht mehr genannt, doch gilt sie als imma-nente Voraussetzung auch weiterhin. Insbesondere muss eine grundsätzliche Aner-kennung des Sachverhalts durch den Beschul-digten vorliegen. Ein Geständnis im prozessualen Sinn darf jedoch nicht verlangt werden, da sonst das Verbot der Selbstbezichtigung und damit die Unschuldsvermutung verletzt würde.

49 Blosse Kann-Vorschrift
Leider ist die Mediation nur als fakultative Möglichkeit vorgesehen. Damit sie umfassend und gleichmässig zum Tragen kommen kann, wäre ein doppeltes Obligatorium sinnvoll, indem die zustän-digen Behörden verpflichtet wären, alle Verfahren auf ihre Eignung zu prüfen und gegebenenfalls die Mediation anzuordnen.

50 Praxis in den Kantonen Mediation wird speziell in Zürich häufig angewendet. Von 213 im Verlauf von vier Jahren erledigten Fällen endeten über 95% mit einer Einigung. Pro Fall wurden durch-schnittlich 1,5 Mediations-Sitzungen benötigt. Die fest angestellte Mediatorin wendete nach eigenen Angaben durchschnittlich 11 Stunden für eine Mediation auf, was 618 Franken Lohnkosten entspreche. Die Kosten waren somit nicht höher, als sie im Fall der Fortführung des Strafverfahrens gewesen wären. Noch intensiver angewendet wird Mediation im Kanton Freiburg (156 Fälle in drei Jahren), etwas weniger oft in den Kantonen Genf, Wallis, Aargau, Basel-Land und Basel-Stadt. Information: Website des Dachverbands Mediation.

51 Widerstände gegen Mediation
In der Jugendstrafrechtspraxis bestehen teilweise Wider-stände grundsätzlicher Art, die dazu beitragen, dass Mediation äusserst uneinheitlich angewendet wird. So schreibt der Berner Jugendanwalt Hebeisen, Mediation sei „im Strafrecht, insbesondere im Jugendstrafrecht, nicht ganz unproblematisch“. Es bestehe die Gefahr, dass Strafverfahren über das Portemonnaie verhindert würden. Zudem könne nicht ausgeschlossen werden, dass auf die Opfer Druck ausgeübt werde, damit der Täter „unbe-fleckt“ bleiben könne. Die Evaluation zum JStG, S.161, kritisiert die „lückenhafte Verbreitung und geringe Intensität“ und sieht für die An-wendung der Mediation „noch viel Gestaltungspotential“.

52 Ausschlussgründe Ausgeschlossen ist Mediation bei schweren Verbre-chen, wo das öffentliche Interesse einer Bestrafung überwiegt. Zudem dürfte bei ehemals tabuisierten Delikten (häus-liche Gewalt, sexuelle Übergriffe im Nahbereich, Ge-walt gegen Kinder) ein Absehen von Strafe in der Regel dem öffentlichen Interesse widersprechen. Denn ein solches Vorgehen würde der Zielsetzung zuwider laufen, diese Verhaltensweisen nicht mehr wie früher als Privatangelegenheit zu behandeln. In diesem Sinn hat das Bger im Erwachsenenstrafrecht entschieden, Wiedergutmachung sei bei sexuellen Handlungen mit Minderjährigen nicht möglich (Hirschmann-Urteil 6B_215/2013).

53 Literatur zur Praxis der Mediation
Veio Zanolini, in ZStrR125/2007, S.395ff. Schwarzenegger/Thalmann/Zanolini: Mediation im Strafrecht: Schlussbericht des Zürcher Pilotprojekts, Zürich 2006 Letizia Vezzoni: La médiation en droit pénal des mineurs, Jusletter vom

54 Art.18-22 Parteien / Privatkläger
Sowohl der Jugendliche als auch seine Eltern haben unabhängig von einander selbständige Parteirechte. Neben dem Jugendlichen, seinen Eltern und im gerichtli-chen Verfahren dem Jugendanwalt bzw. Jugendstaatsan-walt ist auch die Privatklägerschaft als Partei zugelassen, allerdings mit (sinnvollen) Ausnahmen: Vorbehalt der Interessen des Jugendlichen, in der Regel keine Teil-nahme an der Hauptverhandlung, Entscheid über Zivil-forderungen nur, wenn dies ohne zusätzliche Unter-suchungen möglich ist, Rechtsmittel nur bezüglich der eigenen Anträge. In diesem Rahmen sind Privatkläger auch beim Strafbefehl zugelassen (anders als im Erwachsenenstrafverfahren).

55 Verteidigung: BGE 118 Ia 81 ff.
Das Bundesgericht hatte schon unter der Geltung des alten Jugendstrafrechts in BGE 111 Ia 81 ff. festgehalten, die auf dem Erziehungs- und Besserungsgedanken beruhenden Besonderheiten des Jugendstrafverfahrens, namentlich dessen Vereinfachung und Konzentration, dürften nicht dazu führen, dem Jugendlichen den prozessualen Rechtsschutz vorzuenthalten, der dem erwachse-nen Angeschuldigten zustehe. Deshalb sei bei schweren und komplizierten Fällen die Verteidigung, notfalls unentgeltlich, schon in der Untersuchungsphase notwendig.

56 Wahlverteidigung Art.23 Die oder der urteilsfähige Jugendliche sowie die gesetzliche Vertretung können eine Anwältin oder einen Anwalt mit der Verteidigung betrauen. Es handelt sich (wie im vorher anwendbaren Art.40 aJStG) um eine Verteidigung der ersten Stunde (die schon bei der ersten Einvernahme teil-nehmen kann). Die Verteidigung muss durch eine patentierte Anwältin oder einen Anwalt geführt werden.

57 Notwendige Verteidigung Art.24
Die oder der Jugendliche muss verteidigt werden, wenn: a. ihr oder ihm ein Freiheitsentzug von mehr als einem Monat oder eine Unterbringung droht; b. sie oder er die eigenen Verfahrensinteressen nicht ausreichend wahren kann und auch die gesetzliche Vertretung dazu nicht in der Lage ist; c. die Untersuchungs- oder Sicherheitshaft mehr als 24 Stunden gedauert hat; d. sie oder er vorsorglich in einer Einrichtung unter-gebracht worden ist; e. die Jugendanwältin oder der Jugendanwalt bzw. die Jugendstaatsanwaltschaft an der Hauptverhandlung persönlich auftritt.

58 Notwendige Verteidigung
Der Katalog in Art.24 ist gegenüber dem früheren Art.40 aJStG leicht erweitert. Eine Verletzung der Vorschriften zur notwendigen Verteidigung bildet einen absoluten Kassations-grund, RStrS 2009,Nr.586. Laut einem Urteil des Kantonsgerichts St.Gallen vom bezieht sich der drohende Freiheits-entzug gemäss Art.24 lit.a nur auf einen unbe-dingten Freiheitsentzug von mehr als einem Mo-nat oder einen bedingten von mehr als 3 Mten. In der Evaluation (S.162) wurde kritisiert, dass Verteidigung auch in völlig unbestrittenen Fällen eingesetzt werden müsse und so die Kosten für mittelständische Familien verteure.

59 Kein Rückzug des Vorbehalts
Art.40, Abs.2, lit.b (iii) der Kinderrechte-konvention verlangt, dass Jugendliche in allen Strafverfahren durch einen rechts-kundigen Beistand vertreten sein sollen. Die Schweiz hatte bei der Ratifizierung einen Vorbehalt im Hinblick auf die kantonalen Verfahrensregelungen ange-bracht. Obwohl das Prozessrecht neuer-dings vom Bund geregelt ist, kann der Vorbehalt nicht zurückgezogen werden.

60 Amtliche Verteidigung Art.25
Eine amtliche Verteidigung (Offizialverteidigung), wird ein-gesetzt, wenn die Betroffenen im Falle einer notwendi-gen Verteidigung keine Wahlverteidigung bestimmen, oder wenn sie nicht über die nötigen Mittel verfügen. Die Beschränkung auf Fälle notwendiger Verteidigung ist laut Riedo (S.244) problematisch: Art.132 Abs.1 lit.b StPO müsste auch im Jugendstrafverfahren gelten: (Amtliche Verteidigung, wenn) «die beschuldigte Person nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und die Verteidigung zur Wahrung ihrer Interessen geboten ist.» Problematisch ist die in vielen Kantonen bestehende Rege-lung, wonach die Untersuchungsbehörde die amtlich Verteidigung selbst einsetzt und damit über ihre Gegen-partei entscheidet. Sinnvoller Weise setzt ein Verfahrens-Gericht die amtliche Verteidigung ein.

61 Zwangsmassnahmen Art.26 im Rahmen der Strafuntersuchung
Die Untersuchungsbehörde ist zuständig zur Anordnung: a. jener Zwangsmassnahmen, die gemäss den Bestimmungen der StPO durch die Staatsanwaltschaft angeordnet werden können; b. der Untersuchungshaft; c. der vorsorglichen Schutzmassnahmen nach den Artikeln 12–15 JStG; d. der Beobachtung im Sinne von Artikel 9 JStG.

62 Umfassende Machtfülle
Die Machtfülle der Untersuchungsbehörde ist fast unbe-grenzt und geht sogar über diejenige der Staatsanwalt-schaft im Erwachsenenverfahren hinaus.. Beispiele für Zwangsmassnahmen (StPO 196 ff.): Vorla-dung, Vorführung, Fahndung, körperliche Untersuchung, Hausdurchsuchung, andere Durchsuchungen, DNA-Analysen, ED-Behandlung, Beschlagnahme, Über-wachungen, verdeckte Ermittlung. Im Erwachsenenverfahren entscheidet nach Art.224 StPO das Zwangsmassnahmengericht über die Anordnung der UH, hier die Untersuchungsbehörde (lit.b). Nach herrschender Meinung gilt die in Art.224 StPO fest-gelegte Frist von 48 Stunden seit der Festnahme sinn-gemäss auch im Jugendstrafrecht.

63 Untersuchungshaft Art.27 Abs.1
Untersuchungs- und Sicherheitshaft werden nur in Ausnahmefällen und erst nach Prüfung sämtlicher Möglichkeiten von Ersatzmass-nahmen angeordnet. Zuständig ist nach Art.26 die Untersuchungs-behörde; anders als in 224 Abs.2 StPO ist keine Frist vorgesehen. Laut Riesen-Kupper müssen die 48 Stunden auch hier gelten. Haftvoraussetzungen sind in Art.221 StPO geregelt. Ersatzmassnahmen: Electronic Monitoring, Meldepflicht, Schriftensperre. .

64 Voraussetzungen der UH Art.221 StPO
1 Untersuchungs- und Sicherheitshaft sind nur zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist (dringender Tatverdacht als allgemeiner Haftgrund) und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie: a. sich durch Flucht dem Strafverfahren oder der zu erwartenden Sanktion entzieht (Fluchtgefahr); b. Personen beeinflusst oder auf Beweismittel einwirkt, um so die Wahrheitsfindung zu beeinträchtigen (Kollusions- oder Verdunkelungsgefahr); oder c. durch schwere Verbrechen oder Vergehen die Sicherheit anderer erheblich gefährdet, nachdem sie bereits früher gleichartige Straftaten verübt hat (erhebliche Gefährdung). BGE 137 IV 84: richtig wäre „Verbrechen oder schweres Vergehen“. Zusätzlich zum allgemeinen Haftgrund muss mindestens ein spezieller Haftgrund vorliegen. Präventivhaft (Abs.2) spielt bei Jugendlichen kaum eine Rolle.

65 Untersuchungshaft Art.27 Abs.2
Soll die Untersuchungshaft länger als sieben Tage dauern, so stellt die Untersuchungsbehörde spätestens am 7.Tag ein Verlängerungsgesuch an das Zwangsmassnahmengericht. Dieses ent-scheidet unverzüglich, spätestens aber innert 48 Stunden nach Eingang des Gesuchs. ... Abs.3 Das Zwangsmassnahmengericht kann die Untersuchungshaft mehrmals verlängern, jedoch jeweils um höchstens einen Monat. ... Die Art.27f. JStPO ersetzten den Art.6 aJStG.

66 Benachteiligung der Jugendlichen
Jugendliche sind bei der richterlichen Überprüfung der UH (9 Tage nach der Anordnung der UH; falls die Festnahme nicht mitzählt, was umstritten ist, sogar 11 Tage nach der Festnahme) deutlich weniger geschützt als Erwachsene: Nach Art.224 StPO entscheidet bei Erwachsenen von An-fang an das Zwangsmassnahmengericht spätestens 96 Stunden (2 mal 48 Stunden) nach der Festnahme zwin-gend über die Anordnung der Untersuchungshaft. Art.31,Abs.3 der Schweizerischen Bundesverfassung: Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden. Internationale Garantien für eine unverzügliche Haftprüfung finden sich insbesondere in Art.5,Abs3 EMRK, in Art. 37 lit.d. KRK und zuletzt in der Empfehlung des Europarats Rec(2006)13. .

67 Zum Vergleich Das Bundesgericht hat in neuen Entscheiden festgehalten, dass Erwachsene, die (im Zu-sammenhang mit einer unbewilligten 1.Mai-Demonstration) während 3 1/2 Stunden po-lizeilich festgehalten (und danach entlassen) wurden, gestützt auf Art.31 Abs.3 BV Anspruch auf unmittelbare Anrufung eines Richters haben, 1C_350, 352 und 354/2013. Grundsätzlich Überlegungen zu diesem Anspruch in BGE 136 I 87, Erw.6.5.

68 BGE 121 IV 208 Das BGer hatte die Schlechterstellung in einem alten Ent-scheid (vor Erlass der neuen BV und des JStG bzw. der JStPO) zugelassen, weil Art.5 Ziff.3 EMRK angeblich nicht für Jugendliche gelte (zu Recht in Frage gestellt von Riedo S.266 und in der Masterarbeit Gertsch S.36). Allerdings empfand selbst das BGer das Fehlen der haft-richterlichen Garantien im Sinn von Art.5 Ziff.3 EMRK für Jugendliche als fragwürdig: „Es ist in der Tat nicht selbstverständlich, dass Jugendliche über einen wesent-lichen Schutz vor missbräuchlicher Freiheitsentziehung nicht sollen verfügen können. Da sich ein solcher Schutz nicht aus der EMRK ableiten lässt, müsste er allenfalls auf eine andere Grundlage abgestützt werden.“ Spätestens beim (später erfolgten) Erlass der JStPO wäre es angebracht gewesen, eine solche Grundlage zu schaffen.

69 UH als pädagogische Massnahme?
In der Botschaft zur JStPO wurden die einheitliche Behand-lung und die Spezialisierung im Jugendstrafrecht als Hauptgrund für den Verzicht auf den Haftrichter genannt: Die Jugendanwälte und Jugendrichter seien spezialisiert und fühlten sich „vor allem andern der Aufgabe verpflichtet, die Kinder und Jugendlichen sowie deren Rechte und Freiheiten zu schützen“. In der Vernehmlassungs-Stellungsnahme des Kantons Aargau hiess es gar: „Die Inhaftnahme eines Jugend-lichen ist ein äusserst wichtiger Moment im Verfahren mit besonderen pädagogischen Chancen.“ Die Haft wurde so zur pädagogischen Massnahme, obwohl damals fast alle verhafteten Jugendlichen ohne Trennung in Erwachsenen-Gefängnissen untergebracht wurden. Lit. Luzerner Masterarbeit von Barbara Gertsch

70 Beispiel zur früheren UH-Praxis
Der heute noch massgebliche Entscheid BGE 121 IV 208 aus dem Jahr 1995 betraf ein Verfahren aus dem Kanton Basel-Stadt. Der Sprechende reichte als Grossrat in jener Zeit eine Interpellation im Parlament des gleichen Kantons ein, weil ein 14-jähriger wegen Diebstählen inhaftierter Jugendlicher mit einem erwachsenen mehrfachen Mörder nicht nur im gleichen Gefängnis, sondern auch in der gleichen Zelle untergebracht war.

71 Missbrauch der UH als Strafe?
Seit der Einführung der JStPO hat die An-ordnung von Untersuchungshaft, wie die Evaluation, S.161, zu Recht kritisch festhält, zugenommen. In einzelnen Kantonen werde die Untersu-chungshaft bis zu 7 Tagen, deren Anord-nung in der ausschliesslichen Kompetenz der Untersuchungsbehörde liegt, nach Aussagen von Insidern auch als Ersatz-strafe missbraucht.

72 Trennungsregel Art.28 Abs.1 JStPO
Untersuchungs- und Sicherheitshaft werden in einer für Jugendliche reservierten Einrichtung oder in einer besondern Abteilung einer Haftanstalt vollzogen, wo die Jugendlichen von erwachsenen Inhaftierten getrennt sind. Eine angemessene Betreuung ist sicherzustellen. Die Untersuchungshaft für Jugendliche stellt in der schweizerischen Strafrechtspraxis ein dunkles Kapitel dar. Die in den verschiedensten Menschenrechts-Deklarationen geforderte Trennung von Jugendlichen und Erwachsenen (CPT-Standards, Mindestgrundsätze, Pakt über bürgerliche und politische Rechte, Kinderrechte-Konvention) konnte bis zur Einführung des JStG nicht garantiert werden.

73 BGE 133 I 286 Das Bundesgericht legt die Trennungsvorschrift gemäss Art.28 sehr streng aus, es duldet keine Ausnahmen. Deshalb hob es eine in der Baselstädtischen Jugendstrafprozessordnung enthaltene Be-stimmung auf, wonach Jugendliche ausnahms-weise in Einrichtungen für Erwachsene unter-gebracht werden konnten, wenn der Zweck der Untersuchung (v.a. wegen Kollusionsgefahr) nicht anders zu erreichen war. (Ausnahmen im Interesse der Untersuchung wären auch gemäss Art.37 lit.c KRK ausgeschlossen, nicht aber solche im Interesse des Jugendlichen).

74 Vollzug der UH Art.28 Abs.2 Vorgeschrieben sind neben der Trennung von Erwachsenen eine „angemessene Betreuung“ (was speziell ausgebil-detes Betreuungspersonal sowie regelmässige Gespräche mit erzieherischen und psychologischen Fachpersonen voraussetzen würde, Riedo S.272). „Einrichtung“ oder „Abteilung“ müsste eigentlich bedeuten, dass Jugendliche nicht isoliert untergebracht werden. Eine Beschäftigung ist auf Gesuch hin nur dann vorgesehen, wenn das Verfahren dadurch nicht beeinträchtigt wird und die Verhältnisse der Haftanstalt es erlauben. Die Anforderungen an den Vollzug des Freiheitsentzugs als Strafe (JStG Art.27, Abs.2) resp. der UH klaffen weit auseinander.

75 Zum Vergleich Art.27 JStG: Vollzug des Freiheitsentzugs
Abs.2: Der Freiheitsentzug ist in einer Einrichtung für Jugendliche zu vollziehen, in der jeder Jugendliche entsprechend seiner Persönlichkeit erzieherisch betreut und insbesondere auf die soziale Eingliederung nach der Entlassung vorbereitet wird. Die Einrichtung muss geeignet sein, die Persönlichkeits-entwicklung des Jugendlichen zu fördern. Ist ein Schul-besuch, eine Lehre oder eine Erwerbstätigkeit ausserhalb der Einrichtung nicht möglich, so ist in der Einrichtung selbst der Beginn, die Fortsetzung und der Abschluss einer Ausbildung oder Erwerbstätigkeit zu ermöglichen. Eine therapeutische Behandlung ist sicherzustellen, sofern der Jugendliche ihrer bedarf und für sie zugänglich ist.

76 Gesetzliche Mängel Bedauerlicherweise nicht ins Gesetz aufgenommen haben die eidgenössischen Räte zusätzliche Schutzbestim-mungen für Jährige und für Untersuchungshaft-Dauern von mehr als 14 Tagen, wie sie der Bundesrat in der Botschaft (S.250) vorgeschlagen hatte. Dass die JStPO keine Mindestaltersgrenze für die Inhaftie-rung von Kindern ab 10 Jahren und keine maximale Haft-dauer vorsieht, stimmt bedenklich. Riedo (S.263) kri-tisiert diesen Mangel insbesondere im Hinblick auf das internationale Recht. Queloz (FP 2011/162 ff.) hält Untersuchungshaft für Unter-15-Jährige überhaupt für unzulässig, weil auch Freiheits-entzug für diese Altersgruppe nicht verhängt werden könne. In der Praxis werden dennoch auch Unter-15-Jährige inhaftiert.

77 Praxis der UH In einzelnen Kantonen (insbesondere ZH, BE und BS) gibt es neuerdings besondere Abteilung für die UH an Jugendlichen. Andere Kantone behel-fen sich mit der Unterbringung in Jugendheimen. Die meisten verhafteten Jugendliche werden aber nach wie vor in Erwachsenen-Gefängnissen inhaftiert. Die absolut geltende Trennungsregel führt vielerorts dazu, dass sie dort völlig isoliert untergebracht sind, was eher noch schädlicher sein dürfte als die gemischte Unterbringung.

78 Untersuchung zur Praxis der UH
Eine im Jahr 2005 vom Bundesamt für Justiz durchgeführte Erhebung hat gezeigt, dass von 1005 inhaftierten Jugendlichen 726 in Gefäng-nissen, 273 in Jugendheimen und 6 in Spitälern untergebracht waren. Von den 38 erfassten Gefängniseinrichtungen konnten nur 8 eine Betreuung durch Fachkräfte, nur 9 ein Sport- oder Freizeitprogramm, nur 3 ein Arbeitsprogramm anbieten. Besonders alarmie-rend ist die Situation in der Westschweiz. Rumo Wettstein/Kalbermatter Redmann in InfoBull 1/2007, S.3 ff.

79 Anrechnung der UH Auch bei Jugendlichen wird UH auf die Strafe angerechnet. Das ergibt sich aus Art.1,Abs.2 lit.b JStG, der den Art.51 StGB als anwendbar erklärt. Auch Art.12 Abs.3 StPO, wonach Untersuchungs- und Sicherheitshaft nicht länger dauern dürfen als die zu erwartende Strafe, gilt für Jugendliche. Über die Anrechnung einer vorsorglich angeord-neten Schutzmassnahme wird allerdings erst bei deren Beendigung entschieden, BGE 137 IV 7 ff.

80 Vorsorgliche Anordnung von Schutzmassnahmen Art
Vorsorgliche Anordnung von Schutzmassnahmen Art.29 Wie im Erwachsenenstrafrecht können Schutzmassnahmen vor-sorglich angeordnet werden. Allerdings ist hier keine Einwilligung des Beschuldigten erforderlich und keine zwingende Anrechnung auf die Strafe vorgeschrieben. Eine Befristung ist nicht vorgesehen. Leider hat das BGer in 1B_437/2011, E.5.6. zugelassen, dass die vorsorgliche Unterbringung in der ersten Zeit im Gefängnis durch-geführt werden könne. Damit verschlechtert sich die Rechtsstellung des Beschuldigten (im Vergleich zur UH Art.27), weil keine regel-mässige Haftprüfung mehr stattfindet und die Rechtsmittel schwächer ausgestaltet sind (höchstensr Beschwerde gestützt auf Art.31 BV und Art.5 EMRK ohne aufschiebende Wirkung und ohne Befristung).

81 Strafbefehl: Kompetenz für das Strafbefehlsverfahren
Alle Verfahren werden entweder im Strafbefehlsverfahren oder im Verfahren vor dem Jugendgericht abgeschlossen. Das für Erwachsene vorgesehene Übertretungsstrafver-fahren (StPO 357) und das abgekürzte Verfahren (StPO 358 ff.) sind bei Jugendlichen nicht anwendbar. Die Abgrenzung zwischen den beiden Jugend-Verfahren ist in Art.34 im Zusammenhang mit den dort geregelten ge-richtlichen Kompetenzen formuliert. Mit Strafbefehl werden folgende Sanktionen angeordnet: Freiheitsentzüge bis und mit drei Monate, Bussen bis und mit 1000 Fr., alle andern Strafarten, alle ambulanten Schutzmassnahmen.

82 Art. 34 Zuständigkeit 1 Das Jugendgericht beurteilt als erste Instanz alle Straftaten, für die in Frage kommt: a. eine Unterbringung; b. eine Busse von mehr als 1000 Franken; c. ein Freiheitsentzug von mehr als drei Monaten. 2 Es beurteilt Anklagen im Anschluss an Einsprachen gegen Strafbefehle.

83 Rechtsnatur des Strafbefehls
Der Strafbefehl ist kein Urteil, er ist ein Vorschlag, wie das Verfahren erledigt werden kann. Er wird erst zum Urteil, wenn die Berechtigten keine Einsprache erheben (Stillschweigen oder ver-schuldete Unkenntnis gelten als Zustimmung). Falls eine Einsprache erhoben wird, entfällt der Strafbefehl, es kommt in der Regel zum gerichtlichen (erstinstanzlichen) Verfahren. Strafbefehl ist ein abgekürztes Verfahren und als solches im Grundsatz nur bei einem liquiden Sachverhalt zulässig.

84 Allgemeine Problematik
Der Strafbefehl ist im Bagatellbereich (z.B. leichte SVG-Delikte oder kleinere Ladendiebstähle) unver-zichtbar, wenn es sich um eindeutig nachgewiesene Verstösse handelt. Er dient in diesen Fällen auch dem Interesse der Betroffenen. Der Strafbefehl ist bedenklich bei schwereren oder bestrittenen Verstössen, zumal nach einer Unter-suchung von Gilliéron/Killias im Zusammenhang mit Strafbefehlen sehr häufig Fehlurteile zu ver-zeichnen sind. Die häufigste Fehlerquelle sind Per-sonenverwechslungen. Lit. Gwladys Gilliéron, Strafbefehlsverfahren und plea bargaining als Quelle von Fehlurteilen, Zürich 2010

85 Spezielle Problematik
Meistens ist der Jugendliche mit dem Entscheid, ob er den Strafbefehl akzeptieren soll, überfordert. Zudem ist die Frist von 10 Tagen sehr kurz. Die Gründe, warum auf eine Einsprache verzichtet wird, können vielfältig sein. Oft entscheidet das Kostenrisiko, oder die Betroffenen verstehen das juristisch abgefasste Formular nicht, oder sie wollen nicht mehr an den unangenehmen Vorfall erinnert werden. Wer auf Einsprache verzichtet, stimmt deshalb längst nicht immer zu. Nach Art.88,Abs.4 StPO gilt der Strafbefehl auch als zugestellt, wenn die Zustellung gescheitert ist.

86 Unterschied zur (Erwachsenen-) StPO
In der JStPO ist der Strafbefehl in allen Fällen, die nicht in die Kompetenz des Gerichts fallen, die ordentliche und einzig mögliche Erledigungsart. In der Erw-StPO Art.352 liegt die Obergrenze bei 6 Monaten Freiheitsstrafe. Massnahmen können nicht per Strafbefehl angeordnet werden. Der Strafbefehl ist somit bei den Erwachsenen nur für leichte Sanktionen vorgesehen.

87 Vergleich zwischen Jugendlichen und Erwachsenen am Beispiel Drogenhandel
Erwachsene: Höchststrafe laut Art.19 Abs.2 BetmG: Jahre Freiheitsstrafe (Mindeststrafe 1 Jahr) Obergrenze Strafbefehl: 6 Monate = 1/40 der Höchststrafe Jugendliche: Höchststrafe für den gleichen Tatbestand laut Art.25 Abs.1: 1 Jahr Freiheitsentzug (keine Mindeststrafe) Obergrenze Strafbefehl: 3 Monate = 1/4 der Höchststrafe

88 Vorbehalt des liquiden Sachverhalts gemäss Art.352 StPO?
In der StPO Art.352 ist der Strafbefehl an die eigentlich selbstverständliche Voraussetzung geknüpft, dass der Sachverhalt eingestanden oder anderweitig ausreichend geklärt ist. Hug/Schläfli und Riedo vertreten zu Recht die Auffassung, diese Einschränkung müsse auch im Jugendstrafrecht gelten[1]. Allerdings bleibt unklar, was mit den nicht aus-reichend geklärten und vor allem mit den be-strittenen Sachverhalten geschehen soll, wenn nicht eine der in Art.34 JStPO genannten Sank-tionen beantragt wird. Denn die in Art.34 JStPO genannten Sanktionen sind nach herrschender Meinung abschliessend formuliert. [1] Hug/Schläfli, Basler Kommentar Art.32 N 2, Riedo S.297

89 Lösungsversuche Die Oberjugendanwaltschaft des Kantons Zürich hat einen Grundsatzbeschluss gefasst, wonach nicht ausreichend geklärte oder bestrittene Sachverhalte eingeklagt werden, auch wenn keine der Sanktionen gemäss Art.34 beantragt wird. Art.34 gilt demnach nicht mehr als abschliessend. Eine Anklage erfolgt dann gestützt auf Art.324 StPO. Einzelne Kantone behelfen sich damit, dass sie mit dem be-streitenden Jugendlichen eine Einvernahme durchführen und dabei die Einsprache empfehlen oder ihm das die Einsprache herbeiführende Formular bereits in dieser Einvernahme zur Unterschrift vorlegen. Andere Kantone untersuchen so lange weiter, bis der Sach-verhalt trotz einer Bestreitung ausreichend geklärt ist. Laut Riedo (S.297) gelte der Vorbehalt des liquiden Sach-verhalts auch im Jugendstrafverfahren. Gegenüber dieser Maxime sei der Wortlaut von Art.34 JStPO unbeachtlich.

90 Erlass des Strafbefehls Art.32
Die Untersuchungsbehörde schliesst die Unter-suchung ab und erlässt einen Strafbefehl, wenn die Beurteilung der Straftat nicht in die Zu-ständigkeit des Jugendgerichts fällt. Die oder der beschuldigte Jugendliche kann vor Erlass des Strafbefehls einvernommen werden. Obwohl eine Einvernahme nicht vorgeschrieben ist, sollte sie zumindest bei Freiheitsentzügen und Schutzmassnahmen zwingend vorgesehen sein und in diesen Fällen immer durchgeführt werden (zwecks Klärung, Konfrontation, Begründung, Erläuterung).

91 Einsprache gegen Strafbefehl
Art.32, Abs.5: Gegen den Strafbefehl können bei der Untersuchungsbehörde innert 10 Tagen schriftlich Einsprache erheben: a. die oder der urteilsfähige beschuldigte Jugendliche und die gesetzliche Vertretung; b. die Privatklägerschaft hinsichtlich des Zivilpunktes sowie hinsichtlich der Kosten- und Entschädigungsfolge; c. weitere Verfahrensbeteiligte, soweit sie in ihren Interessen betroffen sind; (Definition in Art.105 StPO) d. die Jugendstaatsanwaltschaft, sofern das kantonale Recht dies vorsieht.

92 Folgen der Einsprache StPO 355
Die Einsprache führt nicht automatisch zum gerichtlichen Verfahren. Vielmehr entscheidet die Untersuchungsbehörde nach Abnahme weiterer Beweise, ob sie am Strafbefehl festhält das Verfahren einstellt einen neuen Strafbefehl erlässt Anklage beim Jugendgericht erhebt. Die Anklage ist in der Praxis dennoch die Regel. Die nachträgliche Beweisabnahme und Korrektur-möglichkeit verleitet dazu, einen Strafbefehl als Versuchsballon zu starten.

93 Gerichtliches Verfahren Art.34 ff.
In Art.34 findet sich die Grenze zwischen Strafbefehls- und gerichtlichem Verfahren: Das Jugendgericht beurteilt als erste Instanz alle Straftaten, für die in Frage kommt: a. eine Unterbringung; b. eine Busse von mehr als 1000 Franken; c. ein Freiheitsentzug von mehr als drei Monaten. Es beurteilt zudem alle Anklagen im Anschluss an Einsprachen gegen Strafbefehle.

94 Ausnahme im Jugendanwaltsmodell
Art.34, Abs.3 Die Kantone, welche Jugendanwältinnen oder Jugendanwälte als Untersuchungs-behörde bezeichnen, können vorsehen, dass die Präsidentin oder der Präsident des Jugendgerichts Anklagen im Anschluss an Einsprachen gegen Strafbefehle beur-teilt, welche Übertretungen zum Gegen-stand haben.

95 Statistik zum Anwendungsbereich
Die in Art.34 genannten Sanktionen kamen nach der Jugendstrafurteilsstatistik 2013 mit folgender Häufigkeit vor (in insgesamt 13‘073 Urteilen): Unterbringungen: 95 Urteile Freiheitsentzüge über 3 Monate: - mit bedingtem Vollzug 49 Urteile -mit unbedingtem Vollzug 43 Urteile Bussen über 1000 Franken werden nicht separat ausgewiesen, kommen aber fast nie vor. Mehr als 98% aller Fälle wurden somit zunächst per Strafbefehl entschieden. Einsprachen gegen Strafbefehle sind nicht ausgewiesen, aber selten.

96 Rechtsmittel: Beschwerde Art.39
Mit Beschwerde können alle Verfügungen und Verfahrenshandlungen angefochten werden, nach Art.43 JStPO auch Vollzugsentscheide. Art.39,Abs.2 nennt zudem einige spezielle Ver-fahrensentscheide, insbesondere die Anordnung von Untersuchungs- oder Sicherheitshaft. Für den Entscheid zuständig ist die Beschwerde-instanz; bei Beschwerden gegen die Anordnung der Untersuchungs- und Sicherheitshaft das Zwangsmassnahmengericht. Definition der gerichtlichen Behörden in Art.7.

97 Rechtsmittel: Berufung Art.40
Die Berufungsinstanz entscheidet über: a. Berufungen gegen erstinstanzliche Urteile des Jugendgerichts; b. die Aussetzung einer vorsorglich angeordneten Schutzmassnahme. Appellation: Weiterzug an die zweite kanto-nale Instanz (Obergericht, Kantonsgericht)

98 Vollzug von Sanktionen Art.42
1 Für den Vollzug von Strafen und Schutz-massnahmen ist die Untersuchungs-behörde zuständig. 2 Für den Vollzug können öffentliche und private Einrichtungen sowie Privatper-sonen beigezogen werden.

99 Änderungen im aJStG Aufgehoben wurden im aJStG folgende Bestimmungen:
Art. 1 Abs.1b (Verfahrensgrundsätze) Art. 6-8 (UH, Einstellung, Mediation) Art. 21 Abs.3 (Mediation) Art (Verfahren und Vollzug) Neu anwendbar sind laut Art.1 Abs.2 lit.n JStPO die Art StGB (3. Buch).

100 Redaktionelle Änderung im JStG
Eine redaktionelle Änderung, die nicht mit der JStPO im Zusammenhang steht, betrifft Art.1,Abs.2,lit.k JStG: Laut einer durch die Redaktionskommission der Bundesversammlung am beschlossenen Berichtigung heisst es dort nicht mehr „ .... Art.105 Absatz 1“, sondern „.... Art.105 Absatz 2“ (StGB). Damit ist die widersprüchliche Regelung behoben, wonach für Übertretungen keine Bussen mit bedingtem Vollzug angeordnet werden konnten.

101 Beurteilung Die JStPO ist für die Praxis eine brauchbare Ordnung. Allzu viel hat sich nicht geändert. Positiv kann Folgendes hervorgehoben werden: Einheitliche Regelung mit ausdrücklich formuliertem Vorrang des Erziehungsziels Stärkere Umsetzung des Opportunitätsprinzips Beschränkte Beteiligung der Privatklägerschaft als Kompromisslösung. Trotz der verbesserten Rechtsstellung der Jugend-lichen hat die JStPO entgegen einer ursprünglich geäusserten Befürchtung nicht zu einer Verlänge-rung der Verfahren geführt, sondern diese sogar leicht verkürzt, Evaluation S.161.

102 Kritik Kein Entscheid in der Organisationsfrage, das fragwürdige Jugendrichtermodell bleibt zulässig. Die vorgesehene unbegründete Ablehnung der vorbefassten Richter/innen trägt dem Parteiinteresse, aber nicht dem öffentlichen Interesse nach Unbefangenheit der Justiz Rechnung. Die Anordnungskompetenz der Untersuchungsbehörde für die Untersuchungshaft ohne richterliche Haftprüfung während 9 Tagen ist höchst bedenklich. Dadurch sind Jugendliche deutlich schlechter gestellt als Erwachsene. Der Anwendungsbereich des Strafbefehls, der im Bagatell-bereich ein unerlässliches Instrument darstellt, ist nach oben zu weit. Zudem ist das fehlende Obligatorium der Einvernahme bei ernsthaften Delikten problematisch. In der Folge kann bei steigender Arbeitsbelastung politi-scher Druck entstehen, Verfahren ohne Einvernahme und damit ohne die sinnvolle Konfrontation abzuschliessen.

103 Ist das Verfahren jugendgerecht?
Das Gesetz formuliert in Art.4 Grundsätze, setzt diese aber nicht konsequent um. Der Strafbefehl ist abgesehen von den vielen geringfügi-gen Fällen kaum jugendgerecht, vor allem wenn er nur schriftlich zugestellt wird. Persönliche Einvernahme und Konfrontation sind beim Strafbefehl selbst bei einschneidenden Sanktionen nicht zwingend vorgeschrieben. Das Beschleunigungsgebot ist ungenügend umgesetzt. Betreffend Untersuchungshaft bestehen zu wenig Ga-rantien für die richterliche Haftprüfung und eine jugendkonforme Durchführung. Das Gesetz formuliert keine Anforderungen an die Aus- oder Weiterbildung der Praktiker/innen.


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